Lektüre mit Fragezeichen

Ich habe 2023 zu viel Fanfiction gelesen (aber immerhin auch welche veröffentlicht). Eins der Bücher, die ich zur Hand nahm, war Christian von Asters „Harem der verschleierten Geschichten“. Grober Inhalt: Ein Dichter wird von einem offenbar begüterten, aber namenlosen Fremden beautragt, Geschichten aus dem Harem des Sultans zu erzählen. Nach einigen Wirrungen gelingt es dem Dichter, den verbotenen Ort zu erspähen. Er lauscht den darin lebenden Damen und schreibt von sechs die Geschichte auf (oder zumindest, was wer glaubt, dass ihre Geschichte ist).

Ab jetzt Spoiler, wer also lieber selbst liest, klicke „zurück“.

CN: Alles, was ein „Harem“ so impliziert.

Wie von Herrn von Aster gewohnt ist die Prosa so gedrechselt wie sinnenfroh, und die farbigen Illustrationen dazu können sich ebenfalls gut sehen lassen.

Am Ende stellt sich heraus, dass der Sultan selbst den Auftrag gab, da er in seiner Position nicht in der Lage ist, mit den Frauen in seinem Harem auf Augenhöhe zu sprechen und daher auch nicht sicher sein kann, dass sie ihm ihre ehrliche Meinung sagen bzw. ihre wahre Lebensgeschichte erzählen. (Wobei wie gesagt offen bleibt, ob der Dichter sich nicht einfach was zusammendichtet.)

So weit ist die Lehre daraus nachvollziehbar. Machtgefälle laden nicht gerade zu offener Kommunikation ein. Trotzdem lässt mich der Text etwas kopfkratzend zurück. Die Atmosphäre eines „orientalischen Märchens“ ist mir grade ein bisschen zu Karl-May-artig und zu wenig märchenhaft erzählt, um sie nicht als ernst gemeint (und damit für meinen Geschmack wacklig auf dem Grat des Orientalismus) zu lesen. Zumal „Harem“ — tja. In der Story sitzen die meisten beschriebenen Damen da freiwillig drin. Wie das im 19. Jahrhundert in echt war, ist schwer zu beurteilen, da die Geschichte ja nicht von den Insassinnen geschrieben wurde. Wir haben keine Ahnung, wer da freiwillig war, wer sich dreinschickte und wer lieber woanders gewesen wäre. Hort der Romantik oder Verklärung sexualisierter Gewalt? Beides vermutlich in wechselnden Anteilen. Derlei Ambivalenz fehlt mir bei dem Handlungsort ein wenig.

Angeblich ist das Buch auch ein poetisches Gleichnis über Tücken und Zauber der Schönheit. Bei der Sache stehe ich auf dem Schlauch, muss ich sagen. Könnte daran liegen, dass ich ace bin und auf menschliche „Schönheit“ wohl anders reagiere als das Zielpublikum. Verzaubern muss mich anderes.

Ein Gedanke zu „Lektüre mit Fragezeichen

  1. Pingback: Jahresabschluss / Gelesen 2023 | Carmilla DeWinter

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