
Via #schreibengegenrechts, geriet ich an eine Handvoll Blogposts von anderen Schreibenden. Also von solchen Menschen, die außer Blogposts noch andere Texte verfassen, ob fiktionale Prosa oder Poesie.
Zwei merkenswerte, die diesen Artikel mitverursacht haben, möchte ich hier verlinken, nämlich Matthias Engels darüber, wie mit der derzeitigen Lage umzugehen sei, und davon ausgehend Wolfgang Schnier über Freiheit.
Jedenfalls hielten einige dieser Autor*innen ihr Schreiben bis dato für unpolitisch.
Ja.
Ehrlich.
Ich finde das eine recht befremdliche Aussage von Menschen, die Geschichten erzählen, die nachher von anderen gelesen werden sollen.
Aber, werden manche einwenden, ich habe noch nie mit einem Gedicht gegen den Kapitalismus gewettert, oder noch nie einen Blogpost zum Klimawandel geschrieben, und noch nie in einer Geschichte eine politische Partei erwähnt.
Mag sein. Ich habe bis Mitte 2011 auch nicht politisch gebloggt. Trotzdem habe ich mir nur im Teeniealter den Luxus geleistet, zu glauben, meine Fiktion sei unpolitisch.
Irgendwann habe ich nämlich Folgendes begriffen, noch bevor Lisa Cron mit ihrem Schreibratgeber daherkam: Menschen leiten aus Geschichten Aussagen über die Natur des Menschen und der Welt her.
Stories erzielen einen Lerneffekt durch Mitleiden. Deswegen stehen die meisten von uns so auf Fiktion.
Schreibe ich zum Beispiel über Echte Kerle (TM), die den Tag retten, während ihre Treuen Frauen (TM) daheim auf sie warten, ist das eine politische Aussage. Sie bedeutet, dass ich nur Echten Kerlen (TM) zutraue, den Tag zu retten, und dass ich von deren Frauen erwarte, treu daheim zu bleiben und den Haushalt zu erledigen.
Eine einzelne solche Story mag ja nicht viel Gewicht haben, aber irgendwie … sind sie überall. Seit Jahrtausenden.
Logischerweise leitet sich dank reiner Masse das Publikum die Aussage her, dass Frauen und solche, die dafür gehalten werden, nicht so wichtig sind wie Männer und solche, die dafür gehalten werden.
Doch politische Aussagen finden auch subtilere Wege:
Hat das zerstrittene, gut situierte Ehepaar 50+ in meinem Gesellschaftsroman eine Reinigungskraft? Wie heißt die? Verdient sie in der Story überhaupt einen Namen? Woher kommt sie? Wieso geht sie putzen, obwohl sie mal in Irkutsk Kinderkrankenpflegerin war? Ist sie angemeldet?
Wieso erzähle ich überhaupt von einem zerstrittenen deutschen Ehepaar 50+ statt über Inna, die kürzlich ihren Mann verlassen hat und außerdem nicht weiß, wie sie ihrer begabten Tochter weiter den Gesangsunterricht finanzieren soll?
Schon mit der Wahl, über ein gut situiertes Ehepaar zu schreiben statt über eine Reinigungskraft, bewerte ich die Verhältnisse in diesem Staat. Reich = wichtig. Nicht sozialversicherte Putze = uninteressant.
Auch das ist eine politische Aussage. Und vielleicht ist sie gefährlicher als ein mies gereimter Protestsong, denn die Botschaft fällt ja nicht auf, sondern versteckt sich unter einem Haufen Ehedrama.
Selbiges funktioniert im übrigen auch mit Fantasy. Ist eigentlich schon mal wem aufgefallen, dass Harry Potter keine Fremdsprache in der Schule lernen muss, sich aber über die Aktzente der Schüler*innen aus Beauxbatons und Durmstrang lustig machen darf? (Aber wenigstens kommen die Hauselfen zu ihrem Recht …)
Insofern ist es durchaus angebracht, als Autor*in zu überlegen, welche Macht ich habe, und wie ich sie nutze.