Captain ohne (gescheite) Fanfiction

Mit einiger Verspätung habe ich am Freitag „Captain Marvel“ gesehen.

Ich war hin und weg und, ganz Fangirl, suchte am selben Abend noch nach Fanfiction — die USA hatten ja durchaus schon mehr als fünf Wochen Zeit, selbige zu produzieren.

Und nun schreibe ich hier über das, was nicht geschrieben wird.

Auf Archive of Our Own (AO3) gab es am Samstag um 0:15 266’464 Werke zum Thema „Marvel Cinematic Universe“ (kurz MCU). Damit ist das MCU eins der produktivsten Fandoms. „Captain Marvel“ ist der neueste Film aus dieser Filmreihe.

Ich musste auf die zweite Seite der Ergebnisse blättern, um eine Fanfiction zu finden, die „Captain Marvel (2019)“ getaggt hatte. Insgesamt findet AO3 546 Werke (0,2%). Davon enthält mehr als die Hälfte eine Romanze zwischen zwei Frauen („F/F“), was Fandom-Rekord sein dürfte. (14’665 MCU-F/F-Fictions zum Zeitpunkt des Nachschauens, macht 5,5%).

Das „Captain-Marvel (2019)“-Fandon enthält außerdem etwa zu einem Viertel eine Romanze mit einer Frau und einem Mann („M/F“). Das entspricht etwa dem MCU- und damit dem Gesamtdurchschnitt für Fanfiction bei AO3. (Das lesen Sie richtig. Im Gegensatz zu jeder anderen Art von Geschichten sind die Heten hier in der Unterzahl.)

Die F/M-Romanzen für Captain Marvel finde ich sehr schräg, da die Heldin, Carol Danvers, keine Chemie mit irgendeiner männlich konnotierten Figur hat. Und auch für das F/F-Gedöns muss ich echt die Augen zusammenkneifen und eine Lupe zur Hand nehmen.

Marvel versucht ausnahmsweise nicht einmal, uns von einer Romanze zu überzeugen. Und das tun sie ja gern, ohne dass die Figuren irgendeine Chemie entwickeln. (Ich sag nur, Steve/Sharon. Glaubt das irgendwer? Ehrlich? Loki und Iron Man haben mehr Chemie, trotz des Fensters. Und die Steve/Bucky-Fans muss man gar nicht erst fragen.)

Nein, wir haben hier erstaunlicherweise eine Heldin, deren Lebenstraum es ist, richtig schnell durch die Gegend zu zischen. Sehnsucht nach einem Mann oder Familie? Sehen wir nicht. Tatsächlich vergeht sogar der halbe Film, bis die Heldin mal entspannt lächelt.

Die Frau hat ein Resting Bitch Face, und der einzige Typ, der das kommentiert, bekommt das Motorrad gestohlen. Das finde ich sagenhaft geil.

Wir sehen aber auch eine Figur, die am Ende des Films halbwegs stabil und mit einer Lebensaufgabe rauskommt. Da hat sie quasi sämtlichen anderen Figuren mit eigenen Filmen außer Ant-Man und Dr. Strange was voraus. Carol Danvers ist kein gequälter Typ, der gemobbt wurde/den sein Vater gehasst hat/dessen Eltern gestorben sind/der auf der Flucht ist/gefoltert wurde/unter Depressionen oder PTSD leidet. (Mix’n’Match für Iron Man, Captain America, Thor, Loki, Bucky Barnes, Natasha Romanov, T’Challa, Spiderman und Bruce Banner. Und Hawkeye, laut den Comics.)

Solche ungequälten Figuren laden nicht dazu ein, ihnen die Welt besser zu schreiben.

Offenbar ist es aber auch hier in 75% der Fälle unmöglich, sich die Figur ohne Romanze zu denken. Die Tags „asexual character“ und „aromantic“ werden daher mit Stand vom Samstag nur je zweimal benutzt, in insgesamt zwei Geschichten von derselben Autor*in.

Wahrscheinlich finden nur andere Menschen aus dem asexuellen oder aromantischen Spektrum es seltsam, dass der Frau ohne Flirt so viele Romanzen angedichtet werden.

 

 

 

 

 

Nachtrag: Über Minderheiten schreiben

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Zum Thema „Frauen schreiben M/M-Texte“, über das ich mir und andere sich ebenfalls schon die Köpfe heiß geredet haben, zunächst ein Zitat.

Gefunden in der Meta-Fanfic „The Fallen Son“ von radialarch. Das Teil ist leider nur für Menschen mit AO3-Konto einsehbar.

(…) and as a queer person i can’t help feeling that i’m being — sensationalized, almost, that my queerness is being used as a marketing tool.

like, the people involved with this movie aren’t gay (i guess i should say as far as we know, but.) and it almost rubs me the wrong way that they’re able to profit from queerness while not being impacted by any consequence of it.

Zu deutsch etwa:

(…) und als queerer Mensch fühle ich mich beinahe, als würde mit mir — Effekthascherei betrieben, dass mein Queer-Sein als eine Vermarktungsstrategie benutzt wird.

Jedenfalls, die Leute, die an diesem Film beteiligt sind, sind nicht homosexuell (ich sollte wohl sagen, soweit wir wissen, aber.) und es stört mich fast, dass sie vom Queer-Sein profitieren können, ohne mit den Konsequenzen leben zu müssen.

Einerseits: Ich kann das Gefühl verstehen. Zumal die mir bekannten Geschichten über Männer, die Sex mit Männern haben, selten, dann aber extrem treffsicher an der queeren Wirklichkeit vorbeizielen. Oder exakt das Vorurteil zum Plot haben, gegen das du dich in der Aufklärungsarbeit vehement verwehrst. (Und manchmal das mit der informierten Zustimmung nicht so genau nehmen, weil’s sexy ist – meine persönliche No-go-area.)

Andererseits: Derzeit sind wir als Minderheiten noch drauf angewiesen, dass Allys (Verbündete) uns unterstützen. Nicht nur, indem sie Geschichten schreiben, sondern auch, indem sie aus einer Machtposition heraus Geschichten eine Chance zur Veröffentlichung geben, die der heilen „Alle sind Hetero“-Welt widersprechen.

Wir müssen außerdem feststellen: Nicht alle Autor*innen von Gay-Sonstwas sind heterosexuell. (Die, die ich kenne: Winkt.) Die wenigsten reden allerdings so fleißig drüber wie ich.

Und selbst, was die mir bekannten Familienmütter angeht: Solange ich nicht frage, kann ich nur vermuten. Bisexualität und Pansexualität sind nicht eindeutig darstellbar, genauso wenig wie A_sexualität. Du musst drüber reden, sonst wirst du nicht gesehen.

Außerdem ist das M/M-Ding (und auch Fanfiction) was, das beinahe ausschließlich von Frauen für Frauen produziert wird, und zum Teufel mit dem, was Männer denken: So was ist auch in dieser angeblich so aufgeklärten Welt ohne Sexismus ein Affront.

Um Francesca Coppa aus dem Vorwort des „Fanfiction Reader“ zu zitieren:

One of the most derided figures in Western culture is the woman in sweatpants watching television and eating ice cream out of the carton, and I’ve often thought about why that woman is so detested. I think it’s because she is not objectified in that moment. She is not dressed to please. That woman is enjoing herself …

In etwa:

Eine der meistverspotteten Figuren der westlichen Kultur ist die Frau im Jogginganzug, die fernsieht und Eiscreme direkt aus dem Karton isst, und ich habe oft darüber nachgedacht, warum diese Frau so verabscheut wird. Ich denke, es liegt daran, dass sie in diesem Moment kein Objekt ist. Sie hat sich nicht angezogen, um jemandem zu gefallen. Diese Frau hat einfach nur ihren Spaß …

Und irgendwo zwischen einer entsetzten Männerwelt, die nicht verwinden kann, dass es in manchen Geschichten nur am Rande um ihre Befindlichkeiten geht, und niemals darum, ihr zu gefallen, zwischen dem poltischem Unverstand mancher Schreibender und dem Wunsch nach Repräsentation von Minderheiten liegt dann wohl irgendwo die jeweils individuelle Wahrheit.

Was nicht heißen soll, dass ich meine werten Kolleg*innen aus ihrer Verantwortung entlassen werde. Wenn mir was nicht passt, mecker ich … wozu hab ich den Blog?

Die Inkonsistenz von Erinnerung

Gegenwärtig feile ich unter anderem an einer Fanfiction im Captain-America-Fandom, die gepostet sein will, bevor mir „Age of Ultron“ einen Strich durch die Gedanken macht.

Die andere Feilerei findet für’s Bundesamt für magische Wesen statt.

Jedenfalls erweitert Fanfic manchmal den Horizont: Ich höre mich gerade durch eine Liste von „awesome russian metal“, der (ohne Betrachtung der Texte) wirklich Spaß macht. Grund ist meine Hauptfigur des „Winter Soldier“, der im zweiten Captain America-Film unter von Elektroschocks verursachter Amnesie leidet.

Mehr erzähl ich jetzt nicht, falls irgendwer keine Ahnung vom Marvel Filmuniversum hat, das aber irgendwann ändern möchte. Ich mag die Captain America-Filme, weil Steve Rogers teilweise eine Punk-Attitüde an den Tag legt, die eins dem Genre allgemein und der Figur im Besonderen nicht zutraut. Und das Fandom hat was, sogar Analysen, warum Steve Rogers kein Übermensch im Nietzschen Sinne ist.

Aber zurück zum Winter Soldier. Die Fanfic-Schreiberei hatte außerdem ein bisschen Nabelbeguckung zur Folge, denn: Wer unfreiwillig den größten Teil des eigenen Lebens vergessen hat, sich nun aber in Fetzen erinnert, hat kein Narrativ, um alles zu einer Lebensgeschichte zusammenzuknüpfen. Eins schaut zurück und erkennt die Person nicht wieder, die eins damals war.

Wobei, wenn ich so zurückschaue, frage ich mich manchmal, wie viele meiner Erinnerungen modifiziert sind, um ins Narrativ zu passen. Manchmal verstehe ich mein 16 Jahre altes Ich nicht, und mein 33 Jahre altes Ich befindet sich so weit außerhalb der Komfortzone meines 18 Jahre alten Ichs, dass dieses sich bei einer exakten Zukunftsvorhersage wohl an den Kopf getippt hätte, obwohl die Basis-Charaktereigenschaften dieselben sind.

So viel also zu zuverlässigen Erzähler*innen …