Mittwinter/Feierdäg/(Zehn-)Jahresrückblende, 2011-2021

Meineeine hatte dieses Jahr im Sommer zehnjährige WordPressanmeldung. Erster Eintrag damals: Mal schauen, wie lange ich durchhalte

Aber selbst so ein seltenes Tier wie ich möchte lieber nicht nur existieren, sondern leben.

(Manchmal schreibt die DeWinter DOch erstaunlich haltbares Zeug)

Damals hatte ich viel Ambition und erst drei Kurzgeschichten unter meinem Klarnamen veröffentlicht.

Die Titel-Eule war jedoch schon ein paar Jahre früher für mein fanfiction.net-Konto in Gebrauch. Aber ich mag diese schlechtgelaunte Eule so sehr, dass ich sie immer noch gern verbreite. Spezies unbekannt, geknipst 2007 im Zoo von Calgary. Carmilla DeWinter wurde übrigens 2005 als Pseudonym für Fanfiction gefunden und ist damit bereits sechzehn.

Eule im Blechrohr, mittäglich mies gelaunt

Ansonsten war 2021 ein Sachbuch zu feiern. Die gesammelte Presselandschaft hat den Verlag, Das asexuelle Spektrum und mich gezielt ignoriert, umso netter ist es natürlich, dass trotzdem Menschen das Buch gelesen und besprochen haben (merci hier an den Blog des Queer-Lexikons, dessen andere Artikel ebenfalls empfehlenswert sind).

Mit der Ko-Konspirantin Carmen Keßler/DasTenna habe ich eine Anthologie herausgegeben. Das Beweisstück A hat gute 700 Exemplare verkauft und für das Projekt 100% Mensch ein hübsches Sümmchen eingespielt.

Außerdem habe ich total verpeilt zu erwähnen (Grund die Wolken von unten), dass da noch eine Kurzgeschichte war, ebenfalls als Benefiz, aber diesmal für die Weissenburg, ein queeres Zentrum in Stuttgart. Nämlich One Track Mind – Immer nur das Eine in Die Melodie zwischen uns. Wer noch ein bisschen Gay-Romanzen für die Feiertage sucht: Es sind ein paar sehr hübsche dabei.

Als ich One Track Mind im letzten Herbst abgeliefert hatte, wollte Svea Lundberg, die Herausgeberin, unbedingt wissen, was weiter passiert. Daraus erwuchsen einige zehntausend Wörter, die noch nicht fertig sind. Es werde Corona-verarbeit-Seifenoper! Diesmal komplett ohne Fantasy.

Ansonsten war das Jahr eben Pandemiejahr zum Zweiten. Irgendwo zwischen medialer Aufregung und dem privaten Gefühl, dass wenig passiert, wenn du deinen Kram (Sachbuch etc.) nicht so recht mit Leuten feiern kannst. Weil online ist zwar nett, aber halt ohne Umarmung. Und Lesungen, so selten ich sie sonst bestreite, haben doch gefehlt.

So gesehen waren die immer mal wieder auftauchenden Depri-Gewitterwolken erstaunlich milde und kurz. Nachdem ich im November die anthologische Ko-Konspirantin nach einem Wochenendbesuch verlassen musste, war dann auch erst mal ein paar Wochen nix mit großen Lichtblicken. (Der Ko-Konspirantin ging es wohl ähnlich, bloß hat sie ein Monster und ich habe Gewitterwolken, die sind nicht ganz gut geeignet, um Leuten Schuldgefühle einzureden.)

Und Migräne war sowieso (und ist heute schon wieder). Wenn das Wetter per Klimawandel so bleibt, kann ich mich zu jedem Jahreszeitenwechsel wohl auf drei bis vier Wochen Naratriptan- und Thomapyrin-Dauerfeuer einstellen. Es sei denn, die Menopause rettet mich rechtzeitig. Klar kann ich mich nun fragen, ob dieses Jahr Depri-Wolken und Migräne miteinander zusammenhängen. Nur, weil die Tablette den Schmerz wegmacht, heißt das ja nicht, dass der Migräneanfall vorbei ist, und Migräneanfälle sind prima Energieräuber. Mit Schmerzen habe ich üblicherweise nicht mal die Energie mich darüber aufzuregen, dass ich Schmerzen habe. Und manchmal schaffe ich es kaum aus dem Bett, um eine Tablette einzuwerfen. Prost!

Mit Triptanen wird dann die Antidepressivasuche auch lustig (nicht), weshalb ich noch nicht so weit bin, die Ärzteschaft damit zu behelligen. Immerhin: Ich schlafe durch, ich kann mich noch über Zeug freuen, ich fange nicht aus Überforderung an zu heulen, und ich kriege mehr als das Nötigste gebacken. Zimmerpflanzen sind auch noch keine gestorben. Also isses zwar nervig, aber nicht lebensbedrohlich.

Jedenfalls. Nein, ich möchte bitte hier nicht über Sinn und Unsinn von manchen Regelungen und die Existenz von Coronaviren diskutieren. Bringt nichts. Eins kann nur hoffen, dass wir beim nächsten Mal klüger sind, und das nächste Mal wird uns garantiert nicht erspart bleiben. 2009 hatten wir halt Glück, dass zwar Pandemie war, aber halt keine, die den hiesigen Stadtrat innerhalb von 18 Monaten gleich um zwei Menschen erleichtert hat.

Ansonsten: Es war immerhin richtig CSD! Bloß ist dank Pandemie die Stammtisch-Infrastruktur zusammengebrochen, weshalb es schwieriger war, Menschen zu rekrutieren.

Juni 2021, CSD Karlsruhe, als das Wägelchen und ich noch trocken waren

Während die Seifenoper noch wächst, wird im Frühjahr bei Edition Roter Drache Lokis Fesseln erscheinen. Cover-Freude dann separat nach den Feiertagen. Ich hoffe, wie die eine oder anderen Blog- und Schreibkollegin, dass 2022 mal wieder Buchmesse Leipzig wird.

Den Rohentwurf für dieses Posting habe ich einen Tag vor Jul / Wintersonnenwende 2021 getippt. Heute ist Jul, und gleich beginnt die längste Nacht des Jahres. Grade bei so Mistwetter im Hirn ist das ein schönes Datum, und irgendwie auch ein bisschen konkretere Hoffnung als so ein Kind, das dich vor einer Hölle rettet, an die du vielleicht Schwierigkeiten zu glauben hast. In meiner Hölle sitzt Hel jedenfalls mit Baldr am Tisch in ihrer Halle und hebt gemütlich einen.

Kürzester Tag des Jahres 2021, Pforzheim, ziemlich genau 12 Uhr mittags.

Wie auch immer, egal, ob und wie und was ihr feiert, ich hoffe, ihr könnt die Feiertage genießen.

Löffel und Prioritäten

Es gibt die oft zitierte Weisheit, dass du erst merkst, wie wichtig etwas ist, wenn du es verlierst oder wenn es bedroht ist. Und es gibt Tage, da zweifle ich an meiner Berufswahl.

dr dewinter in heroischer pose

Heute ist so eine Gelegenheit. Etwas kurzfristig dieses Jahr, wie alles eben kurzfristig ist – in diesem Fall Anfang Mai – fing ich ernsthaft an, nach dem CSD Stuttgart zu schauen. Was war am berühmten letzten Samstag im Juli geplant?

Sie hoffen auf eine Demo und echte, anfassbare Infostände. Demo am Samstag, Infostände diesmal Samstag und Sonntag. Allein dass ich dieses Jahr zwei Tage Infostand organisieren müsste statt einen Sonntag, ließ mich erst mal hilflos mit den Armen rudernd zurück. Bis ich das mit dem finanzierenden Verein abgesprochen hatte (zwei Tage kosten logischerweise mehr Miete als einer, und ich brauche einen Parkplatz für je mindestens 20 Euro) und mit dem Orga-Team in Stuttgart geklärt hatte, dass wir bei einem Randplatz auch nur samstags kommen dürften, waren zehn Tage vergangen. Das ist etwas langsamer als mein übliches Tempo. Offenbar ist mit mein Energiekonto doch leerer, als ich gern glauben möchte.

Und selbst, wenn der Infostand nicht klappt wegen der Leute, die ich dafür brauche: Die Demo startet um 14 Uhr statt wie üblich um 16 Uhr. Das ist bei Feierabend um 13 Uhr (plus hinterher Kasse zählen) nicht mal als Zuschauerin pünktlich zu schaffen von meiner Provinzgroßstadt aus.

Dann brauchte ich drei Tage, um mich so weit zu pimpen, dass ich der Apotheker-Kollegin mitteilen konnte, dass ich am Stuttgarter CSD-Samstag gern frei hätte.

Warum pimpen? Weil wir schon einiges an Diskussionen zu Terminplänen hatten dieses Jahr. Derzeit ist die Kollegin nämlich wegen Long Covid in Wiedereingliederung, darf maximal fünf Stunden am Tag arbeiten und hat verständlicherweise keinen Bock, mehr als zwei Samstage hintereinander zu übernehmen.  (Ich hab auch keinen Bock, was aber während ihrer vier Wochen Krankheit auch niemand gestört hat.)

Weil ich außerdem den Karlsruher CSD-Samstag am 5. Juni frei will, bot ich an, am Samstag vor meinem Urlaub vormittags zu arbeiten. Und ach, da ist ja noch Notdienst, der ab 18 Uhr zu leisten wäre. Und weil Notdienst plus Wiedereingliederung halt so eine Sache ist, sage ich Idiotin, dass wir uns das ja teilen können, mit dem tariflich vorgesehenen Split um 22 Uhr. Was im schlechtesten Fall heißt, dass ich am Sonntag frühestens um 9:30 Uhr daheim bin und den kompletten Tag als Zombie verbringe, weil ich nachts rausgeklingelt wurde und selbst ohne Kundschaft die Nacht neben einem brummenden Kommisionierautomaten geschlafen habe. Also gute Aussichten auf einen super erholsamen Urlaubsanfang./Sarkasmus Ende.

Die DeWinter ist nett und rücksichtsvoll und versteht natürlich, wenn jemand krank ist.

Dann frage ich vorgestern, am Pfingstsamstag, die Kollegin, ob ich den Stuttgarter CSD-Samstag freihaben kann. Der halt zufällig vor dem Urlaub der Kollegin liegt. Die da gern frei hätte und dann verspricht, dass sie mal bei der Filiale fragt, ob wir wen ausgeliehen bekommen.

Und weil das abends nach einem anstrengenden Vortrags- und Kongresstag ist und vor einem Sonntagsnotdienst (von 8:30 bis 20:30 bis zur Ablöse), habe ich keinen Nerv, per Messengerdienst oder am Telefon deswegen eine Diskussion anzufangen, sondern fühle mich dankbar, dass sie bereit ist, nach Ersatz zu fragen.

Und heute bin ich nach dem lebhaften Notdienst müde und habe außerdem dank Wetter einen Migräneschädel. Zum Wütendsein über mich und die Ironiefreiheit der Kollegin reicht die Energie nicht, aber traurig geht. Jedenfalls kann ich mich gerade über das asexy Bullshit-Bingo nicht so richtig freuen, das fink erstellt hat.

Warum überhaupt so viele Gefühle? Weil so ein CSD mir halt doch wichtig ist, obwohl er auch beschissen viel Arbeit macht, selbst wenn du nicht die komplette Veranstaltung, sondern nur einen Stand organisierst.

Und weil das ja kein religiöser Feiertag ist, muss ich außerdem erst mal erklären, warum ich das überhaupt wichtig finde. Was mich ankäst. Und weil garantiert nur die Mitlesenden mit Minderheiten-Buchstabe blicken, wie kacke das sich anfühlt, überhaupt erkären zu müssen, warum das wichtig ist.

Die Erklärerei wäre natürlich nicht nötig, wenn ich mir einen Job gesucht hätte, bei dem die Samstage nicht als Arbeitstag gewertet werden.

(Und mal wieder die Beobachtung, dass die fünf Tage arbeitende Bevölkerung es zwar selbstverständlich findet, dass andere am Samstag die Läden für sie öffnen, aber sich dann wundern, warum ich für ihre Frage nach „dem Brückentag“ nach einem Donnerstags-Feiertag mittlerweile eher einen gestreckten Mittelfinger übrig habe.)


Bildchen freundlicherweise zur Verfügung gestellt von JJ Link.

Weise Worte

Wenn ich nicht fleißig am Druckfahnenkorrekturlesen bin und nebenher versuche, den vorerst letzten Band der Alben-Reihe in druckbare Form zu bringen, dann ist der nächste CSD nicht mehr so weit hin.

homolobby membership

Im Zuge der Planungen sagte eine Person eine ziemlich kluge Sache über Querelen innerhalb der Szene, wobei ich mich auf den genauen Wortlaut nicht festnageln lassen möchte:

Was auch nicht hilft, ist, dass da viele sehr verletzte Persönlichkeiten unterwegs sind. Wenn du nicht aufpasst, trittst du voll in eine Fleischwunde, und dann ist die Kacke am Dampfen.

Klassentreffen?

In der Siegessäule vom Juli 2017 postuliert Dirk Ludigs, dass diejenigen, die sich zur LSBTTIQAetc.-Buchstabensuppe gehörig fühlen, eine Familie seien – nicht ausgesucht, sich nicht immer grün, verschiedenartig und verschiedener Meinungen sowieso, aber doch mit der Gemeinsamkeit, dass wir alle als Minderheiten oftmals damit zu kämpfen haben, dass unsere Blutsverwandschaft das mit dem Minderheitenstatus nicht nachvollziehen kann (anders beispielsweise als bei Marginalisierung aufgrund von Rassismus oder Klassismus, aber ähnlich wie Marginalisierung aufgrund von Ableismus).

dr dewinter in heroischer pose

Ich persönlich finde, dass sich CSD wie Klassentreffen anfühlt. Eins sucht sich ja die Klasse nicht aus, sondern wird einsortiert – in der Schule wie mit der LSBTTIQAetc.-Sache.

Die Gesellschaft hat irgendwann beschlossen, was die Norm sei, und unsereins landet dann in der Out-Group, bei den „Anderen“ aufgrund von sehr ähnlichen Vorstellungen. Also, normal sei, dass es zwei Geschlechter, nämlich Männer und Frauen, aber nichts anderes gäbe, diejenigen hätten einen von zwei festgelegten Chromosomensätzen und äußerliche Merkmale und müssten zwingend das jeweils andere Geschlecht sexuell begehren und mit diesem dauerhafte monogame Partnerschaften eingehen wollen (vulgo „Heteronormativität“).

Fällst du aus diesen Annahmen raus, bist du nicht mehr normal. Aufgrund der Tatsache, dass die Menschheit für alles Ungewöhnliche eine Erklärung sucht, wird es als gegeben und gutes Recht angesehen, dass dieses Nicht-Normal-Sein bemerkt, hinterfragt und gegebenenfalls abgestraft wird.

An eine als Out-Group markiert bzw. geanderte Gruppe werden immer andere Maßstäbe angelegt als an die nicht weiter bemerkenswerte Mehrheit. Sobald du als anders markiert bist, kannst du machen was du willst, du hast schon verloren, egal ob du dich outest oder nicht, egal was du anziehst, egal ob du Fragen nett oder gar nicht beantwortest, egal ob du behauptest, du seist so geboren oder hättest dir es ausgesucht, egal ob du CSD feierst oder nicht. (Dazu später mal mehr.)

Diese Klassifizierung geschieht im gesellschaftlichen Konsens, diese Anderung hat sich das LSBTTIQAetc.-Volk nicht ausgesucht. Genauso wie eins sich die Klasse nicht aussucht.

Und wie es bei Klassen so ist – manche cliquen gleich zusammen, manche können sich  nicht riechen, und um schlimmsten Falle wird auch schon mal gemobbt, gern, um die eigene Unsicherheit zu überspielen.

Ähnlich mit Klassentreffen: Manche kommen immer, andere finden das Konzept nicht gut bzw. ihnen kann der Rest der Klasse gestohlen bleiben, manche haben auch nach Jahren nichts miteinander zu reden, einige streiten sich immer noch, andere verstehen sich erstaunlich gut.

Und ähnlich wie bei Klassen auch – manche heulen rum, dass sie lieber mit der Kindergartenbekanntschaft in der Parallelklasse gelandet wären. Bringt aber nichts, die Heulerei. Die da draußen haben dich sortiert. Einzige Lösung ist, mal mit dem Rest des Haufens zu reden. Eventuell ergeben sich ungeahnte Gelegenheiten.

Daher der Vergleich mit dem Klassentreffen. Bloß ist ein CSD größer, lauter und bunter und hat mit einen sehr viel grimmigeren Hintergrund als Abi 2001.

 

Verspätete CSD-Fragezeichen

CSD Koeln 2013 portrait

Wenn bei einem CSD die Zuschauer*innen wie bei einem Karnevalsumzug verkleidet sind …

Wenn sich Zuschauer*innen erst mit einer Drag-Queen ablichten lassen und hinterher über den „Homo“ lästern …

Wenn selbige Zuschauer*innen dann andere anpöbeln, die sie höflich darauf hinweisen, dass das keine angemessene Sprache ist …

Wenn Zuschauer*innen bei einem CSD völlig überrascht sind, dass die Nebensteherin nicht heterosexuell ist …

… dann fragst du dich schon manchmal, welche Botschaft wie bei wem ankommt.

Allerdings: Nix machen ist auch keine Lösung. Wie sagte schon Captain America: „You start running they’ll never let you stop.“ (Wenn du anfängst wegzurennen, lassen sie dich nicht mehr anhalten.)

Wenigstens der Nazgul hat was zu grooven…

… nämlich hier: Die Finanzierung für den Trailer des Bundesamts für magische Wesen steht.

Ansonsten ist diese Woche geschäftig. Zwei von drei Lagen Spitze an eine Leggings für einen Auftritt am 16. August genäht, und passende Stulpen dazu. Meine 20 Quadratmeter Gras gemäht, über die Minzen und ihre Mitbewohner*innen unklarer Natur verzweifelt (Scheißviechzeug, auch wenn’s vielleicht ein Pilz ist), zwei Handvoll Brombeeren geerntet – wenigstens die haben dieses Jahr nur Blattläuse. Bude auf einigermaßen Fordermensch gebracht mit Boden wischen und allem, da morgen die bezaubernde Fiammetta zu Besuch anrückt. (Freu.) Samstag steht dann der CSD Mannheim an, aller Wahrscheinlichkeit nach mit Regen.

Große Teile von Hanne Blanks „Straight“ geradezu verschlungen. 700 Wörter Text für die neue „Wer A sagt, muss nicht B sagen“ geschrieben. Die eigene Stellenbeschreibung getippt, weil der Chef net mag. Wahnsinnige drei volle Wordseiten für die neue Geschichte produziert.

Und ich wundere mich, warum ich auf einem riesigen Blogpost zum Thema Aromantik sitze und nicht weiterkomme.

Pars pro toto

Oder: allgemeine Gedanken zu Repräsentation, Teil 2

Ich hatte ja schon darüber geschrieben, wie das ist, wenn mensch sich nicht in Mainstreammedien wiederfindet, und mir überlegt, wie ich Diversität abbilden kann und auf was ich dabei achten muss.

Abgesehen von den Stolperfallen und Fettnäpfen, in die mensch dabei als Autor*in treten kann, ist auch das Publikum trotz bester Bemühungen seitens der Autor*innen in Lage, Annahmen zu machen und zwar, wie der Titel schon sagt, vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen.

Die Sache hat drei Aspekte.

Erstens, Personen, die sich zu einem Thema äußern, werden als Sprachrohr einer Gruppe angesehen, zu der sie nicht gehören.

Eine derartige Verwechslung kommt nicht all zu häufig vor. Berühmtestes Beispiel: Mag Präsident Obama auch gewitzelt haben, als er Lady Gaga eine Anführerin der Schwulenbewegung nannte, so waren die Reaktionen der solcherart „Angeführten“ nicht ausnahmslos begeistert.

Zweitens, Personen, die zu einer Subgruppe gehören, werden als Sprachrohr derselben angesehen, obwohl sie es nicht sind, und auch nie behauptet haben, es zu sein.

So hat, wieder in Zusammenhang mit Lady Gaga, Ex-*NSYNCer Lance Bass hier kurz angerissen, warum er sein Outing auf einem Magazintitel nicht so toll fand: „…because it was the exact thing I didn’t want at the time, which was to be the next „face of gay.““ (… weil es genau das war, was ich zu der Zeit überhaupt nicht wollte, nämlich, das nächste „Gesicht der Schwulen“ zu sein.“)

Einen Artikel über das Youtube-Video über Cho Chang hatte ich bereits verlinkt. Reni Eddo-Lodge geht dabei auch ausführlich darauf ein, dass die Vloggerin …

“ … is aware that by speaking up she’s considered a deviation from the norm of whiteness and maleness, consequentially reducing her very distinctive and individual voice into some of sort of Asian women’s hegemonic hive mind.“

(„… sich bewusst ist, dass sie, sobald sie öffentlich spricht, als eine Abweichung von der weißen und männlichen Norm wahrgenommen wird, was in der Konsequenz ihre sehr eigene, individuelle Stimme reduziert auf eine Äußerung des alles beherrschenden Schwarmgehirns Asiatischer Frauen.“)

Nicht einmal Angela Merkel kann behaupten, das deutsche Schwarmgehirn zu vertreten, und die Kanzlerin ist gewählt worden. Denn: so etwas wie ein deutsches Schwarmgehirn existiert nicht.

Drittens, von der medialen Präsenz einer Einzelperson, die zu einer Gruppe gehört, wird auf Meinungen, Verhalten und Erscheinungsbild der gesamten Gruppe geschlossen.

Zum Beispiel …

Schwule erscheinen in den Nachrichten häufig nur im Zusammenhang mit CSDs, vulgo „Schwulenparaden“. Weil manche Bilder mehr Eindruck machen als andere, werden jedes Jahr vor allem gezeigt: Männer* in Drag oder sehr knappen Outfits. So was gräbt sich ein. Sofern mensch keine geouteten Bekannten hat, kann es schon vorkommen, dass mensch glaubt, keine Schwulen im weiteren Umfeld zu haben. Dummerweise lispeln die nicht alle, und nur wenige leiden am Syndrom des gebrochenen Handgelenks.

Diese bunten Bilder haben auch zur Folge, dass aus einer Demo für LesBiSchwule- und trans*-Rechte eine „Schwulenparade“ wird.

Genau diese Art mediale Präsenz erklärt aber auch, warum manche Leute sich zwar dem erweiterten Buchstabensalat QUILTBAGPIPE (oder GSRMs – gender, sexuelle und romantische Minderheiten) zuordnen, sich aber nicht auf CSDs vertreten fühlen oder vertreten sehen wollen. In der asexy Ecke des Internets wird zu Beginn jeder CSD-Saison diskutiert, und über gegenseitiges Augenrollen doch nicht hinausgekommen.

Im letzten Post war ich auch bei Sherlock und Sheldon. Beide werden in der Community als potentiell asexuell gehandelt, über Sherlock gibt es eine Menge Fanfiction diesbezüglich. Andere beliebte fandom-„Opfer“ sind Enjolras und der Doktor aus Dr. Who. Im Gegensatz zu Enjolras aus Les Misérables und dem literarischen Sherlock Holmes sind bei Sherlock und Sheldon die jeweiligen TV-Serienväter noch anzusprechen, und beide Figuren sind, im Gegensatz zum Doktor, keine Aliens. Nun weigern die Serienväter sich aber, eindeutige Aussagen zu treffen, oder dementieren grundsätzlich.

Nebenher gab es mal bei House ein asexuelles Paar, das sich aber nach ausführlicher Betrachtung als entweder krank oder als Lügner*in erwies.

Wie haben also einige kleinere Fernsehauftritte, über die ich mich nicht äußern kann, weil ich sie nicht kenne. Und wir haben: Eine Person, die lügt. Eine Person, die krank ist. Sowie, vielleicht, mit vielen Abstrichen, zwei sehr dünne, große Männer mit überdurschnittlichem IQ, aber so wahnsinnigen Schwierigkeiten, mit anderen Leuten zurechtzukommen, dass einer von John Watson als Person mit „Asperger“ fremddiagnostiziert wird („Hound of Baskerville“, Sherlock, Staffel 2, Episode 2). Was exakt den Reaktionen entspricht, mit denen ein*e Asexuelle*r sich bei einem Coming-out herumschlagen muss.

Meine Albenbrut hat ebenfalls eine asexuelle Figur. Wegen der genannten Gründe äußerte eine Beta-Leserin Besorgnis, dass nun alle meinen könnten, Asexuelle seien so wie Heilika. Und auch meine Frau Mama, die den Text kennt, äußerte den Verdacht, dass Heilika ich sein könnte. Weil wir zufällig beide ace/aro sind, schloss sie aus mir unerfindlichen Gründen daraus, dass ich auch genderqueer bin, und es bloß besser verberge. (Ähh, was?)

Dabei haben Heilika und ich, außer den weiblichen Pronomen und einer schon beinahe obsessiven Liebe zum geschriebenen Wort, nicht grauenvoll viele Gemeinsamkeiten. (Meine guten wie schlechten Eigenschaften sind gerecht auf meine Protags und Heilika verteilt, dankeschön.) Warum zur Hölle darf ich heterosexuelle Männer schreiben, wie ich es schon häufig getan habe, ohne dass irgendwer Schlüsse auf mich zieht, aber sobald eine Figur zwei Identitäten mit mir teilt, wird angenommen, dass ich über mich schreibe? /grummel ende.

Fazit: Die Leserschaft neigt zum Verallgemeinern, vor allem, wenn es um Menschen geht, die im öffentlichen Straßenbild, beziehungsweise der Medienlandschaft, nicht oder kaum sichtbar werden. Dadurch stehe ich als Autorin vor der undankbaren Aufgabe, nicht einfach Leute schreiben zu können, die zufällig ace/aro, oder bi, oder blind, oder weiß ich was sind, sondern ich muss mich damit auseinandersetzen, in welchem Kontext ich sie präsentiere, und was Leser*innen daraus im schlechtesten Fall extrapolieren.

Wenn ich es nicht tue, trage ich zur weiteren Marginalisierung von an den Rand gedrängten Gruppen bei.

Womit sich der Kreis schließt.