Silvester/ Gelesen 2018

Wie im letzten Jahr auch: Ein Rückblick in Büchern.

Meine stressbedingte Beinahe-Depression vom Frühjahr habe ich bemerkt insofern, als dass ich mich weniger auf neue Texte eingelassen habe und stattdessen letzten Winter und im Frühling lieber Fanfiction neben den Korrektoraten für Jinntöchter und das Albenerbe wälzte. Mittlerweile habe ich den Job gewechselt und es geht mir wieder besser, aber ich war schon mal stärker belastbar.

Egal, wie 2018 für euch alle war: Ich hoffe, 2019 wird besser. Guten Rutsch und so.

Und damit zu den Büchern und den Meinungen dazu.

Das habe ich verursacht:

Ich muss gestehen, auf Die A-Karte und Jinntöchter bin ich stolzer als auf Albenherz, weil ich da am Ende hauptsächlich froh war, dass ich es fertig hatte und es trotzdem Sinn ergab. Eindeutiges Zeichen, dass ich mit diesen Jungs erstmal durch bin.

Das habe ich gelesen:

Ältere Edda — Diverse Unbekannte: Nachdem ich genug Thor-Fanfiction und etwas Sekundärliteratur (Bonnetain: Loki, Beweger der Geschichten, unbedingte Empfehlung für Interessierte) konsumiert hatte, im zweiten Anlauf durchgelesen. Tatsächlich eröffnet ein Blick in die Sekundärliteratur einige mögliche Deutungsweisen vor allem der Götterlieder. Ohne das Wissen um die langen Nächte im winterlichen Skandinavien kann eins das alles aber auf keinen Fall durchblicken, meine ich.

The Dark Forest — Liu Cixin: Gelesen mit einer Unterbrechung, denn der zweite Teil dieser Zukunftsvision nimmt in der ersten Hälfte nur langsam Fahrt auf. Dafür endet er aber mit einem umso größeren Knalleffekt. Wiederum besticht der Autor mit klugen Beobachtungen und deren Extrapolation in eine nahe bis fernere Zukunft. Das Ende ist aber so passend, dass ich nicht weiß, ob ich den dritten Band auch noch lesen will. Und ich weiß nicht mehr, ob ich will, dass uns jemand da draußen hört.

Lagoon — Nnedi Okorafor: Was würdest du tun, wenn plötzlich ein Alien mit deinem Präsidenten sprechen möchte? Eine kluge Betrachtung über Menschen (und wie sie mit Veränderungen umgehen) im Allgemeinen und über die Menschen von Lagos, Nigeria, im Besonderen. Außerdem eine Liebeserklärung an selbige Stadt.

Die Buchmagier — Jim C. Hines: Rasantes Nerdabenteuer mit überraschenden Wendungen. Positiv zu vermerken: Der Autor macht sich Gedanken über die Neigung anderer Männer, Frauen als Objekte zu sehen. Eine Beziehung zwischen zwei Frauen und eine angedeutete schwule Liebe werden mit angenehm wenig Aufhebens behandelt.

Gylfaginning/Gylfis Täuschung — Snorri Sturluson: Ein Wettstreit um zu beantwortende Fragen, wie sie schon in der Älteren Edda vorkommen. Dabei füllt Snorri Sturluson die Lücken zwischen dem einen oder anderen sogenannten Götterlied der Älteren Edda (s.o.). Das reicht von einer Aufzählung von Fakten und Namen bis zu ausführlichen Geschichten, wobei die Berichterstattung durchaus als tendenziös erkennbar ist, also christlich eingefärbt.

I Bring the Fire 1: Wolves — C. Gockel: Für Kenner:innen als Verwurstung einer Loki/Darcy-MCU-Fanfic noch erkennbar. Teil 1 ist kostenlos, der Rest dann zahlungspflichtig. Ich bin in Teil 1 bis zur Hälfte gekommen. Ohne die zufällig ins Bild fahrende Protagonistin mit extremer Oberweite wäre die Story wohl temporeicher ausgefallen. Was interessiert mich eine Studentin der Tiermedizin, wenn Loki seine Söhne retten muss?

Der Weg nach Vinland Margaret Elphinstone: Historischer Roman anhand einiger isländischer Sagas, wie meine Jinntöchter verschachtelt als Geschichte in der Geschichte. Eine alte isländische Pilgerin erzählt einem jungen Mönch, wie sie wegen der sie umgebenden Mannsbilder erst nach Grönland kam und es sie dann für drei Jahre nach Vinland (also heute Neufundland, Kanada) verschlug. Gut recherchiert und spannend, obwohl wir wissen, dass sie heil heimgefunden hat.

Die Naturgeschichte der Drachen (Lady Trents Memoiren 1) — Marie Brennan: Die alte Lady Trent aus einer Alternativwelt mit völlig anderer Geographie erzählt in ihren Memoiren, wie ihre Begeisterung für Drachen sich entwickelte und wie ihre erste Forschungsexpedition verlief. Ähnlich wie Naomi Novik schlägt Marie Brennan hier absolut gekonnt einen altertümlichen Tonfall an. Auch zu erwähnen: Dieser Text ist wegen seines Settings und der Drachen Phantasitk — aber der Fokus liegt tatsächlich auf Naturgeschichte, was einen besonderen Reiz entwickelt. Wer allerdings Elfen, Zauberei und dergleichen erwartet, muss woanders hingehen.

Der Wunschtraum — Dana Brandt: Dana Brandt verehrte mir eine Druckausgabe ihrer Weihnachtsgeschichte 2017. Die ist kurz und so herzerwärmend, dass ich über die Kommafehler locker hinweglas.

Aussen – Asgard – Tag (Die unverfilmten Drehbücher von Loki & Thor) — Axel Hildebrandt: Zwischen Schenkelklopfern und feiner Beobachtungsgabe angesiedelte Szenen zweier heidnischer Gottheiten, die sich mit dem modernen Leben herumschlagen. Hab mich im Zug kringelig gelacht.

Geistkrieger — Sonja Rüther: Ein Alternativwelt, in der Nordamerika nie Kolonie war, also von den First Nations selbst verwaltet wird. Ein schottischer Zuwanderer, der in einer Polizeieinheit für spirituellen Missbrauch landet, gerade, als eine unappetitliche Mordserie beginnt. Eine spannende Was-wäre-wenn-Geschichte, die leider nicht komplett in sich abgeschlossen ist beziehungsweise mit einem recht offenen Ende aufwartet. Würde sich prima für eine Mystery-Crime-Serie bei Netflix eignen. Ansonsten haben wir es eher mit einem handlungs- als einem figurenbezogenen Plot zu tun. Ein bisschen sauer stößt mir auf, dass europäischer Rassismus eher so ein Rand-Ding ist und die Story daher nicht ausreicht, unsereins einen Spiegel vorzuhalten.

Boschs Vermächtnis — Christian von Aster (Hrsg.): Eine Sammlung Kurzgeschichten zu dem opulenten wie rätselhaften „Garten der Lüste„. Wie immer bei so etwas gibt es Geschichten, die mich berührt haben und welche, bei denen ich mich am Kopf kratzte. Um den Platz als Liebling streiten: Luci van Orgs „Vogeltränke“, „Spannerhase“ von Sonja Rüther, „Flügel“ von Tom Daut und „Nachtmahr“ von Robin Gates. Ansonsten empfehlen kann ich „Azurit“, „Serge wohnt hier nicht mehr“, „Dem Berg die Buße“, „Die Muse des Meisters“, „Am Baum der Erkenntnis fault die Frucht“, „Damenwahl“, „Der wilde Hannes“, „Die Krüppel von Burgos“, „Fliegenfische“ und „Die Parabel vom Zwielicht.“ Also: Wenig Ausfälle dabei, vor allem nicht, wenn eins sich auf Nicht-Phantastisches und waschechten Horror einlassen kann.

The Girl on the Train — Paula Hawkins: Gelesen im englischen Original und sehr schnell weggeputzt, da dieser hochspannende Psychothriller wirklich meisterhaft gleich drei unzuverlässige Ich-Erzählerinnen im Tagebuchstil verwebt. Es hat einen Grund, warum die drei Erzählerinnen unzuverlässig sind, aber den zu verraten wäre spoilern. Nebenbei watscht die Autorin ganz locker aus dem Handgelenk den alltäglichen Sexismus ab.

Die lange Reise zu einem kleinen, zornigen Planeten — Becky Chambers: Eine Space Opera im wahrsten Sinne des Wortes: Weltraum und Beziehungen. Statt viele Explosionen treffen wir eine ehrlich diverse Multi-Spezies-Crew und den am wenigsten machohaften Captain, der mir je begegnet ist. Wie diese Truppe sich immer wieder zusammenrauft und ihre mehr oder weniger alltäglichen Probleme bewältigt, ist verflucht sehens- und liebenswert.

Verdrängter Verdacht — Mary Westmacott (Agatha Christie): Ein nicht besonders hoffnungsvoller Gesellschaftsroman, der es schafft, so spannend zu sein wie jeder Krimi der Grand Dame desselben. Eine in der Wüste festsitzende Reisende hat viel Zeit zum Nachdenken über Mann und Nachwuchs. Dabei fördert sie Erstaunliches zutage. Nebenbei ein treffend böses Sittengemälde der späten 1930er Jahre. Erschienen 1944, deutsche Übersetzung von 1988.

S. (oder: Das Schiff des Theseus) — JJ Abrams und Doug Dorst: Ohne die Randbemerkungen wäre „V.M. Strakas“ Romantext nur eine surreal anmutende Betrachtung von Identität, denn einen Mann ohne Erinnerungen verschlägt es auf ein Albtraumschiff und zu einer selbstgewählten, grimmigen Aufgabe. Aber ein Doktorand stiehlt ein Exemplar des Romans aus einer Bibliothek und macht am Rand Notizen. Eine Studentin findet das Buch, fügt ihre eigenen Notizen hinzu und gibt es zurück. Das Resultat ist eine meisterlich nicht linear erzählte Schnitzeljagd nach V.M. Strakas Identität, dem S., der Übersetzerin F.X. Caldeira und der Frage, was ich von einer Person wissen muss, um sie zu lieben. Zu empfehlen ist, sich ein leeres Wochenende dafür vorzunehmen, denn wer lange unterbricht, verliert den Faden. Sollte außerdem nicht im Bett, bei starkem Wind, im Zug oder auf dem Klo gelesen werden.

Fiese Deals — Claudia Konrad (mit Ernst Merz und Uschi Gassler): Eine Sammlung von zehn Lokal-Kurzkrimis und drei Gedichten. Ein paar Fälle machen wirklich Spaß bzw. warten mit originellen Täter*innen auf, vor allem die vier Joint Ventures mit Uschi Gassler, außerdem „Peractum est“ und „Chemie“. „Wahlkampf“ hätte eine pointierte Betrachtung der hiesigen Politik sein können, versteigt sich dann aber in den Giftanschlag einer schizophrenen Migrantin, was doch eher sauer aufstößt. Genauso wird in einem anderen Fall ausgerechnet die einzige Person of Colour zum Täter.

Ich habe ihn getötet — Keigo Higashino: Wie bei Paula Hawkins oben lesen wir in diesem Krimi drei unzuverlässige Ich-Erzählende. Das Verwirrspiel um den Tod eines menschlich unzulänglichen Autors ist schnell und spannend, wartet aber mit keiner klaren Lösung auf — dazu braucht es die Anleitung am Ende des Buchs. Ein Mitratekrimi auf hohem Niveau, der trotz aller menschlichen Abgründe aber nicht an Hawkins‘ Geniestreich heranreicht. Vielleicht auch, weil er sehr typenzentriert ist.

Perfect Rhythm — Jae: Lesbischer Liebesroman, solide Unterhaltung. Rezension ist beim Verein.

Der Wendekreis der Schlangen (Lady Trents Memoiren 2) und Die Reise der Basilisk (Lady Trents Memoiren 3) — Marie Brennan: Die Autorin versteht weiterhin rein naturgeschichtlich zu unterhalten und besticht mit zielgenauen Beobachtungen über (Forschungs-)Reisende im Besonderen, Menschen und ihre Kulturen im Allgemeinen und ihrem steampunkig angehauchten Einfallsreichtum. Die Spannung hält sie aufrecht mithilfe von Andeutungen und wohldosierten Erkenntnissen aus der Archäolgie und der Biologie von Drachen. Kein Gekloppe um Throne, kein fieser Endgegner-Bösewicht, sondern Wissenschaft als Mittel zum Suspense. Das ist etwas, das muss man Marie Brennan erstmal nachmachen. Andererseits ist es halt eine Serie, also sind die Texte alle typähnlich.

Der Orkfresser — Christian von Aster: Keine Ahnung, wie dieser Roman zu seinem Titel gekommen ist. Es handelt sich durchaus um Phantastik, aber die Orks dienen als Aufhänger, nicht als Gegner. Einige ausführliche Gedanken dazu hatte ich schon. Die Nachtbibliothek ist jedenfalls ein Ort, den muss ich mal suchen gehen.

Und hier war ich Hebamme/Lektorin:

Die Schleier der Welt — R. A. Prum und S. C. Kreuer: Das geneigte Publikum trifft eine bisexuelle, mäßig erfolgreiche Privadetektivin, die eine verschwundene junge Frau sucht und dabei über ein gefährliches Geheimnis samt einiger Werwölfe stolpert.

Einen Rosengarten versprach ich nie — Diverse/Bundesamt für magische Wesen (Hrsg.): Hier habe ich „Stadt, Land, Jinn“ beigesteuert und mich ansonsten als Lektorin betätigt. Herausgekommen ist eine meiner Ansicht nach runde Mischung zum Thema „Liebe“. Leider reichte bei der einzigen lesbischen Einsendung die Qualität nicht.

 

Wohlbekömmlich?/Vorsätze

Falls noch wer was zum Lesen für zwischen den Jahren sucht: Christian von Aster hat da was geschrieben.

Nehmen wir den Erfolgsautor einer Fantasy-Reihe. Selbiger mit seinem eigenen Schaffen unzufriedener Autor legt sich auf der Buchpremiere mit einigen Orks an. Ein Foto der Prügelei landet in der Zeitung, und auf einmal reiht sich eine absurde Begebenheit an die andere. Dies führt zu Begegnungen mit Menschen, die auf den ersten Blick Stereotype sind und auf den zweiten eben Menschen. Und zwar solche, die sich noch daran erinnern, dass Geschichtenerzählen „zärtliches Lügen“ ist.

Dazwischen: Anspielungen auf großartige Literatur und archetypische Figuren. Anregungen, was mensch noch lesen könnte. Bösartige bis feinsinnig-nachsichtige, aber immer treffende Beobachtungen der Welt im Allgemeinen und des Buchmarkts im Besonderen. Und Batman, der vielleicht alles richten könnte, lässt auf sich warten.

Außerdem fand ich in „Der Orkfresser“ folgendes Zitat:

Laut lesend blättere ich weiter und merke, wie beängstigend gut dieses Buch funktioniert. Die Geschichte ist unterhaltsam, brennt sich ein, macht neugierig und gewinnt, kaum dass man zu lesen gewinnt, so schnell an Fahrt, dass man förmlich hineingesogen wird und ich mich wieder erinnere, warum sich diese Mischung aus Engel-SM, Zombieselbstfindung und ätherischer Wunderlanddystopie derart gut verkauft: weil sie in aller Überfülle an Motiven, Symbolen und Gleichnissen so sackdumm und leer ist, dass ein Leser am Ende dieses Buchs noch hungriger ist als am Anfang. Das ist es vermutlich, was ein erfolgreiches Buch dieser Tage schaffen muss …

So etwas macht schon mal nachdenklich.

Das erinnerte mich an einen Kommentar von einer guten Freundin über die Bis(s)-Reihe:

Das ist wie Serie gucken. Du weißt genau, dass es bescheuert ist, aber du kannst nicht aufhören.

Es gibt ja durchaus Texte, die sind ultraspannend, und darüber merkt mensch nicht, dass sie völlig hohl sind. Es sind Geschichten, die keinerlei Bedeutung zu haben scheinen oder keine Aussage über das menschliche Dasein treffen. Und trotzdem verkaufen sie sich wie geschnitten Brot und werden sogar verfilmt. (Hust, Illuminati, hust. Dabei sind Verschwörungstheorien so was von Hexenverfolgung und Nationalsozialismus.)

Es gibt Geschichten, die sauge ich auf und nehme mir darauf gleich die nächste vor. Es gibt auch Geschichten, die lese ich und brauche hinterher erst mal eine Pause, weil ich sie verdauen muss. Oder weil ich mir an die eigene Nase zu fassen habe.

Beides hat wohl seine Berechtigung, ja nachdem, was mensch von einer Geschichte erwartet. Einfach mal nicht da sein müssen? Erkenntnisse über sich selbst und das Leben? Beides gleichzeitig?

So etwas geht, der Herr von Aster hat es mir vorgemacht.

Nun mag ein Text für die eine Person flache, wenn auch gut gemachte Unterhaltung sein, für die andere hingegen eine tiefere Wahrheit enthalten, die sie die gleiche Geschichte lieben lässt. (Meine „Albenbrut“ scheint so ein Text zu sein.) Einige haben Trost-Geschichten, die sie zum x-ten Mal lesen, wenn’s grade draußen hart auf hart kommt. Individuen sind da sehr verschieden gestrickt. Glücklicherweise.

Trotzdem lässt „Der Orkfresser“ mich mit einem gewissen Ehrgeiz zurück, Geschichten zu verfassen, an denen Menschen ein bisschen was zu kauen haben, ohne dass es schwer im Magen liegt.

So weit also zu guten Vorsätzen. Egal, ob sich die Mitlesenden hier etwas für das Neue Jahr vornehmen wollen oder nicht: Ich wünsche geruhsame Tage und einen guten Rutsch nach 2019.