Pride Month 2020

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Pride Month also. Ist halb durch. Hier in Deutschland wird das ja nicht so publiziert wie in den USA. Der Stonewall-Aufstand war im Juni, also ist dort der gesamte Monat Anlass, sich mit den Rechten der diversen Buchstaben-Menschen auseinanderzusetzen.

Als einige europäische Länder gerade eben so zögerlich darüber nachdachten, dass man ja Männer, die Männer lieben, nicht unbedingt einsperren muss, gab es in New York City sowohl eine sehr hohe Dichte an queerem Volk als auch eine repressive Gesetzgebung. Bei einer Razzia im Stonewall Inn hatten ein paar Menschen endgültig genug, von der Polizei gegängelt zu werden, es folgten einige Tage Unruhen.

Überrascht es, dass da weniger die Polohemd tragenden netten weißen Kerls von nebenan auf die Barrikaden gingen, sondern trans Frauen und Menschen in Drag? Ein Haufen junge Leute zudem, die kaum Geld hatten und oft keine feste Adresse?

Aber ohne feste Adresse ist es schwierig, sich zu organisieren, und die Organisationen, die es gab und die die Aufstände in politisches Kapital verwandelten, waren nicht besonders gut darin, Personen of Color, von den Eltern rausgeworfene Jugendliche und Leute einzubinden, die das Bild des braven schwulen Nachbarn mit ihrer Feminität und ihren Fummeln störten.

(Nachzulesen unter anderem in „Stonewall“ von David Carter.)

Jetzt ist wieder Pride Month, und in den USA hat sich ein neuerlicher Aufstand etwas beruhigt, aber der Aufstand fand aus anderen Gründen statt. Oder aus ähnlichen? Ist ja nicht so, als hätten nicht wenige weiße Buchstabenmenschen egal welcher Nationalität ein Problem mit Rassismus.

(Wir müssen uns daran erinnern, dass der Vorwurf von Homosexualität bereits erfolgreich von Faschisten verwendet wurde, um die Morde an anderen Faschisten zu rechtfertigen. Übrigens hat das restriktive Waffengesetz der Bundesrepublik seine Wurzeln wohl mit im Naziregime — sollten also tatsächlich in den USA Faschisten an die Macht kommen, täte sich die NRA wohl wundern, wer auf einmal alles überprüft wird, bevor sie eine Waffe rumtragen dürfen.)

Das ist der Witz an solchen Verwerfungen: Es gibt sehr viele. Und während manche Menschen es einfach halten und alles verachten, was nicht weiß, mindestens Kleinbürgertum, cis-männlich, gesund, able-bodied und heterosexuell ist, haben wir alle unsere Vorurteile aufgesaugt. Frausein schützt unter keinen Umständen vor Frauenverachtung, Rassismus, Hass auf queere Menschen, Klassismus oder Behindertenfeindlichkeit.

Homo- wie Heterosexuelle üben sich in Bifeindlichkeit. Und so weiter. Und so weiter.

Die a_sexuelle Community leidet übrigens unter einem eklatanten Mangel an gut sichtbaren Menschen, die nicht weiß sind.

(Aber das weiterzuverfolgen, ist hier nicht zielführend, zumal ich noch keine Ideen diesbezüglich habe.)

Zwar bringt es die Menschheit in ihrer derzeitigen Situation nicht weiter, immer „Wir“ und „Die“ gegeneinanderzusetzen (kein Planet B und so). Aber über Jahrhunderte eingeübte Verhaltensweisen und liebgewonnene Glaubenssätze legen sich nicht so schnell ab, wie es nötig wäre.

Und wenn schon der bewohnbare Teil des Planeten langsam in den schmelzenden Eismassen von den Polen versinkt, ist es wohl tröstlich, sich an Etiketten zu klammern. In der Hoffnung, dass die schwimmen?

Bürger*innenrechte: Theorie vs. Praxis

Ich hatte kürzlich zum Thema internalisierter Sexismus geschrieben.

In eine andere Richtung von Unterdrückung geht mein jetziger Post, nämlich Rassismus. (Dementsprechend die zitierte Sprache.)

Dennoch demonstriere ich hoffentlich, dass alle Theorie manchmal nicht so furchtbar viel nützt.

Meine Alphaleserin hatte mir „Ein Doppelleben im Kosmos“ von Robert A. Heinlein ausgeliehen. Original als „Double Star“ 1956 erschienen. (Ein Band von nur 200 Seiten, damit kommen heutige SciFi-Autor*innen selten durch.)

Worum geht’s in „Double Star“?

Ein erfolgloser Schauspieler wird überredet, den ehemaligen Ministerpäsidenten des Sonnensystems und Vorsitzenden der Expansionspartei zu mimen. Selbiger Bonforte ist auf dem Mars verschwunden, kurz vor einer Zeremonie, die für den Frieden im „Imperium“ von äußerster Wichtigkeit ist.

Der Expansionspartei geht es darum, den Weltraum firiedlich zu besiedeln und den fremden Zivilisationen mit Respekt zu begegnen. Im Gegensatz dazu steht die Menschheitspartei.

Okay, kapiert. Kolonial = böse. Wieso geht’s hier noch weiter?

Noah Sow definiert Rassismus in etwa: Rassismus ist der Glaube, dass es Menschenrassen gibt, oder ausführlicher: „der Glaube, dass Menschen aufgrund ihrer genetisch bedingten und als ethnisch interpretierbaren Merkmale bestimmte Prädispositionen (Veranlagungen) jedweder Art haben“. (Kursiv von der Autorin, zitiert aus „Deutschland Schwarz Weiß“, z.B. bei Amazon.)

Heißt, auch wenn wer bewundernd sagt: „Die Afrikaner*innen haben halt einfach den Rhythmus im Blut“? Dann ist das rassistisch.

Denn: Weiße Deutsche haben genausowenig angeborene Gründlichkeit wie Schwarze Menschen aus dem Senegal von Natur aus gut tanzen können. Beides ist ein Verhalten, und Verhalten wird häufiger gelernt als die meisten Leute glauben.

Soweit also zur Begriffsbestimmung.

Predigen ist einfach …

Jetzt lässt Heinlein seinen Bonforte folgende Worte sprechen:

„Aber, so hält mein Opponent dagegen, wir haben doch immerhin das gottgegebene Mandat, Licht in die dunkle Galaxis zu bringen und unsere eigene, ach so wertvolle Zivilisation zu den armen Wilden da draußen zu tragen. Diese Schule kennen wir zu genüge: der brave, kleine Schwarze, der singend seiner Arbeit nachgeht und dankbar an den Lippen des „guten Massa“ hängt, der ihm die Erleuchtung bringt! Es ist ein wunderschönes Bild, aber der Rahmen ist zu klein; er zeigt nicht mehr die Peitsche, den Sklavenblock – und den Sklavenmarkt!“

Wir dürfen davon ausgehen, dass Heinlein damit unter anderem die Bürgerrechtsbewegung der USA kommentierte – z. B. wurde Rosa Parks am 1. Dezember 1955 verhaftet, weil sie sich weigerte, ihren Platz im Bus für einen Weißen zu räumen. Zu diesem Zeitpunkt war auch Indien erst neun Jahre lang wieder ein eigener Staat, nach knapp zweihundert Jahren britischer Unterdrückung. Das Kolonialherrengebaren zumeist europäischer Staaten war daher den Leser*innen weitaus besser präsent als heute, wo es nur noch wenige Kolonien gibt, die aber mittlerweile anders heißen

Soweit die Theorie: „Double Star“ kann unter anderem als ein Unterfangen verstanden werden, für mehr Toleranz und gleiche Rechte zu werben.

… viel schwieriger ist es, Predigten umzusetzen.

In dem ganzen Text hat nur ein benamster Marsianer eine Sprechrolle, und er wird auf Seite 25 getötet. (Siehe auch das TV Trope: Black Dude Dies First – Der Schwarze Typ stirbt zuerst)

Wir sehen außerdem keine Wesen von Mars, Venus oder sonstwoher, die im „Imperium“, also in der Verwaltung des Sonnensystems, irgendeine Rolle spielen – nicht mal im Hintergrund beim Hofstaat oder irgendwo im Sekretariat oder am Empfang.

Heinlein erwähnt nur von einem einzigen Menschen die Hautfarbe: Selbiger „Jimmy Washington“ arbeite in Bonfortes Stab und wird als „Mulatte“ bezeichnet. Bei einer zweiten Person (Nachname Pateel) wird eine Herkunft aus Indien impliziert.

Insofern dürfen wir davon ausgehen, dass alle anderen namentlich erwähnten Menschen weiß sind.

Was lernen wir daraus?

Heinlein wusste, dass Schwarzen Menschen die gleichen Rechte zustehen wie allen anderen auch, obwohl er selbst von Kind an etwas anderes gelernt hatte. Die deutsche Wikipedia sagt, dass er für seinen Militarismus und seinen Hang zu autoritären Figuren kritisiert wird, aber nicht für seinen Rassismus, auf Englisch bekommen wir einen kleinen Aufsatz geliefert, wobei die Resultate nicht eindeutig scheinen. Offenbar hatte er mit Schwarzen Menschen weniger Probleme als mit Asiat*innen.

Warum er in „Double Star“ nicht die zur Predigt passenden Konsequenzen gezogen hat? Keine Ahnung.

Schlussfolgerung für Autor*innen:

Macht- und Denkstrukturen fressen sich so fest, dass sie nur mit äußerster Mühe und viel Rostentferner gelöst werden können.

Ob ich besser bin? Ich hoffe es, aber am Ende kann ich nur erst nachdenken, dann Schreiben, auf die Kritik warten, und dieser auch lauschen.

Linkspämmchen

Einige Fundstücke der letzten Zeit:

Der Zaunfink ist jetzt neu im Reader. Aktuell ist eine Anleitung zur Diskriminierungsumkehr, denn die armen sexistischen Hetero-Cis-Menschen rechnen damit, wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt zu werden, sobald in Deutschland die Ehe für Homosexuelle geöffnet wird.

Es ist offensichtlich wichtiger, den Kindern das Schimpfwort „schwul“ zu lassen, als selbige Blagen darauf aufmerksam zu machen, dass sie mit mindestens dreiprozentiger Wahrscheinlichkeit zu einer sexuellen oder Gender-Minderheit gehören und es dann gar nicht mehr cool ist, deswegen beschimpft oder bedroht zu werden.

Einige Leutchen geben gern zu, dass sie homophob sind, alle anderen werden behaupten, sie hätten nichts gegen „diese Leute“, und überhaupt, heute ist doch alles gut, und ich weiß gar nicht, was du immer hast.

Dass sich eins unabhängig von der Orientierung auch an die eigene Nase fassen muss, wenn eins in Deutschland kartoffeligen Eigeborenenstatus hat, ist mal wieder hier bewiesen:

Und nein, damit meine ich nicht, dass weiße Menschen abgrundtief böse sind. Das bedeutet lediglich, dass priviligierte Personen einfach kein Interesse daran haben, Privilegien abzugeben. Sie erkennen sie ja nicht mal als solche an. Das macht Rassismus zu keinem individuellen, sondern strukturellen Problem.

Nota bene: Das Problem ist universell. Geschimpft wird, dass die Meinungsfreiehit beschnitten wird, dabei sieht es doch so aus, dass mittlerweile gelegentlich Personengruppen zu Wort kommen, die früher gar nix zu melden und sich gefälligst zu schämen hatten. Wenn jetzt geringfügig Platz für Meinungen gemacht wird, die nicht weiß, männlich oder heterosexuell sind, ist Drama wegen vorgeblicher Zensur.

Lichtblick: Mein Geek-Herz erfreut haben einige Überarbeitungen von Comic- und Game-Heldinnen. Weniger sinnfreie Bikinis und „stech das Messer hier rein“-Öffnungen, dafür mehr Charakterisierung. Auch bei Figuren, die ich gar nicht kannte, ist mir teilweise die Kinnlade runtergefallen, was alles ginge, und wie hübsch die auf einmal sind.

Und, um des lieben Blödsinns willen, noch ein wichtiger Hinweis für Wesen, die dauernd oder zeitweise in Flaschen leben.