Schöne Gefühle?

Coverbild Nacht über dem Tal von Wendelgard von Staden, ISBN-978-3-423-25114-3Derletzt also Hedwig von Stadens autobiographisches „Nacht über dem Tal“ gelesen.

Es spielt nur etwa zwanzig Kilometer östlich von meinem Wohnort. Die Autorin beschreibt ihre Jugend als Landadelige von 1933 bis 1946. Die KZ-Gedenkstätte zum von ihr beschriebenen Lager verbirgt sich im Wald, neben der heutigen Zufahrt zum Bahnhof von der B10 aus.

 

Von Staden schreibt über ihre Emotionen nach Kriegsende:

„Denn verworren waren die deutschen Gefühle, die von der deutschen Größe, der deutschen Ehre, dem schönen Land der Treu, dem Sterbenmüssen für’s Vaterland. Diese alten Gefühle waren vermischt worden mit etwas anderem, etwas Grauenhaftem, das wir bei uns im Täle gesehen hatten. Es war ein so schönes Bild gewesen, das wir von uns als Deutsche in uns getragen hatten. Nur – es war eine andere Seite gewachsen, die berechnete Vernichtung einer ganzen Rasse, die Unmenschlickeit.“

Über manche Sachen wunderst du dich, dass sich manche wundern: Denn es wäre 1933 absehbar gewesen. (Für Kinder nicht, zugegeben, aber es haben sich wohl auch Erwachsene gewundert.)

Die so beschriebenen „alten Gefühle“ waren zu dem Zeitpunkt gar nicht so alt. Verkürzt erklärt: Der Nationalismus der Nazizeit war ein direktes Erbe der deutschen Romantik als Kunst- und Denk-Epoche. Deren Idee einer Sprach- und Kultureinheit wurde von der deutschsprachigen Politik eingesetzt, um Ressentiments gegen Napoleons Eroberungszüge zu schüren.

Menschenrassen waren gleichfalls etwas, das sich das 19. Jahrhundert anhand von Darwins Theorien ausgedacht hat, um (wieder verkürzt) die Kolonialherrschaft zu legitimieren. Überhaupt wurden und werden sowohl die Geschichtsschreibung als auch die Biologie sehr häufig dazu herangezogen, zu beweisen, dass irgendwas immer schon so war und damit „natürlich“ sei.

Ohne dieses damals nicht sehr alte Denken vom deutschen Volk wäre es für die Nazis unmöglich gewesen, die ariosophische Idee der „arischen Herrenrasse“ des Guido List aufzugreifen und damit Politik zu machen.

Bei der Ariosphie handelt es sich um einen Abkömmling der Theosophie, einer esoterischen Lehre, deren „Rassen“-Rhetorik ohne die oben genannte Vorarbeit ebenfalls nicht möglich gewesen wäre. Die ariosophische Theorie fantasiert übrigens von aus Atlantis stammenden Ariern und einem Armanen-Orden, der seit Jahrtausenden Geheimnisse tradiert. Wie Hitlers wiederholte Lächerlichmachung esoterischer und heidnischer Bestrebungen beweist, muss eins solcherlei Geschwurbel nicht einmal glauben, um es zu verwenden.

Jedenfalls war ab etwa 1900 der Nährboden dafür da, dass die eher willkürlich anhand ihrer (imaginierten) Ahnenreihe, Sprache und Religion zu solchen bestimmten „Deutschen“ das Geschwurbel glaubten. Und sich an ihrer eigenen eingebildeten Größe derartig berauschten, dass sie ihrem Führer jubelnd in den Abgrund folgten.

Weshalb der Antifa aus gutem Grund alle verdächtig sind, die irgendwas von „gesundem Nationalstolz“ und „Volk“ salbadern. (Oder auch vom „wahren Sowieoso-Tum“, „Make America Great Again“, etc. pp. Deutschland hat kein Urheberrecht auf völkisches Denken und Nationalismus.)

Ich stimme ja selten mit der katholischen Kirche überein, aber dass Stolz sich zu einer Todsünde auswachsen kann, hat die Geschichte oft genug bewiesen. Der „gesunde“ Stolz darauf, zufällig passende Eltern im passenden Staat zu haben, wird jedenfalls so schnell krank, dass es besser ist, diesbezüglich keinen Stolz zu entwickeln.


Bildchen von der verlinkten Webseite, dtv

Internationaler Tag der Asexualität

Ich bin faul und teile einfach das, was ich auf der Vereinsseite geopstet habe. Mich finden Sie morgen ab 19:30 Uhr bei einer Zoom-Lesung.