Neuerscheinung: Essay, nur echt mit geilem Poster

Selbst Autorinnen rudern manchmal wortlos vor Begeisterung mit den Armen. Ich hab euch mal das Cover des betreffenden Projekts hinkopiert. Ist das geil oder ist das geil?

Worum geht’s?

LOVE & SEX: Wer damit nichts anfangen kann, gilt schnell als langweilig und irgendwie gestört – selbst in queeren Kreisen. Ein MaroHeft gegen die Pathologisierung asexueller Lebenswelten, eine Streitschrift, die sich die Liebeskonzepte unserer Gesellschaft vorknöpft.

Gruppensex im Swingerclub, BDSM-Experimente und Rollenspiele im Darkroom – nichts mehr scheint die sexuell aufgeklärte Gesellschaft aus der Fassung zu bringen. Doch wer auf dem Sektempfang oder im Freundeskreis nicht von seiner polyamourösen Fünferbeziehung berichtet, sondern ausspricht, asexuell zu sein, wird voraussichtlich betretenes Schweigen ernten. Nicht unwahrscheinlich, dass den »Geständigen« sogar ein einfühlsamer Psychotherapeut empfohlen wird: Da muss es doch Hilfe geben! »Asexuell« ist jedoch weder ein Synonym für krank noch unglücklich – und wer sich nicht verliebt, ist kein emotionsloser Roboter.

Carmilla DeWinter schreibt über eine Gruppe, die im berühmten Kinsey-Report als »Gruppe X« bezeichnet und »ins Off« geschoben wird – und über die sonderbare Stellung von Sex und romantischer Liebe als allumfassendes Glücksversprechen in einer Gesellschaft, die meist auswendiggelernten Beziehungsmodellen hinterherhechelt.

Mit Illustrationen und beiliegendem Plakat von Jasmin Dreyer.

Und ein bisschen Hintergrund

Die Leute beim Maro Verlag fanden mein Sachbuch „Das asexuelle Spektrum“ und „(Un)sichtbar gemacht“ von Katharina Kroschel und Annika Baumgart so wichtig, dass sie einen Text über das asexuelle (und aromantische) Spektrum bei mir anfragten, der weniger erklärt und mehr Diskussionsbeitrag ist.

Ich wünschte jetzt, dass ich da „(zu)gesagt, getan“ hinschreiben könnte, allerdings: Ich hatte in meinem Leben noch nie ein Essay verfasst, das was taugen sollte. Meine Blogposts sind meist doch kurzgefasste Polemik und Meinung, das Sachbuch ist ein 200 Seiten-Sachbuch, bei dem ich ausholen durfte. 40’000 Zeichen pointierte Gesellschaftskritik sind noch mal was anderes. Daher brauchte ich einige kluge Rückmeldungen von meinem Lektoratsteam beim Verlag, Unmengen Geduld, beidseits, und Temperamentszügelung, meinerseits. Ich kann mich schon manchmal echauffieren, daher ist es gut, dass ich nicht bei Twitter bin und ich mich meistens schnell wieder abrege (aber nicht schnell genug für Twitter).

Jasmin Dreyer war mal bei Asexual Artists und macht auch sonst coole Sachen.

Wo könnt ihr das kaufen?

Aus dem Off. Asexualität, Aromantik und die Sache mit dem Glück. Ein heißes Heft · MaroHeft #8

36 Seiten, fadengeheftet, ISBN 978-3-87512-623-5, 16 Euro

Signierte Exemplare gibt’s bei mir. (Kontaktmail nutzen oder im Zweifelsfall hier kommentieren, damit ich eure Mail habe.)

Ansonsten zu bestellen bevorzugt beim Verlag, bei den Buchhandlungen eures Vertrauens wie z. B. GeniaLokal, Thalia, Osiander und beim großen bösen A.

Keine Sexgeschichten

Aus gegebenem Anlass — dem irritierten Blick einer Person im Skype-Call nämlich — muss ich mal was klarstellen: In der Regel enttäusche ich journalistisch Tätige, weil ich zwar gern über das asexuelle Spektrum aufkläre und Fragen über gesellschaftliche Zusammenhänge stelle, meine eigene Sexualhistorie aber nicht detailliert wiedergebe.

Dekobild: Mensch mit Bart, Grimasse und Lupe

Ich finde die Frage, ob da schon mal aus einvernehmlichen Gründen ein Penis drin war, nicht besonders relevant für das, was ich bin und tue. Es interessiert mich auch nicht, ob andere weibliche und weiblich gelesene Menschen in heterosexistischen Zusammenhängen als jungfräulich gelten. Das hat ja keinen Einfluss darauf, ob die Person kluge Dinge zu sagen hat, zum Ladendiebstahl neigt, mir sympathisch ist oder sonstige menschlich relevante Eigenschaften besitzt. (Ich winke mal allen, denen solche Fragen auch schon gestellt wurden.)

Mir ist klar, dass in manchen Zusammenhängen über Sex geredet werden muss — aber in Medienberichten über asexuelle Menschen verharrt dieses Reden oft in einer Pose, wo eine Person sich der Neugier der Mehrheitsgesellschaft preisgibt. Im Namen der Aufklärung und Information, natürlich.

Irgendwie war mir mit diesem Argument der Information nie ganz wohl. So neugierig ich bin (grauenvoll neugierig), manche Fragen stelle ich doch nicht. Wer mir im Vertrauen etwas erzählen will, gern. Wahrscheinlich erzähle ich etwas zurück. Aber das ist ein Unterschied zu einer Information, die für den öffentlichen Konsum bereitgestellt wird.

Und dann fiel ich in anderem Zusammenhang über einen Aufsatz von Ely Przybylo. Darin geht es unter anderem um die Logik von Sexualität. Przybylo beruft sich auf Foucault: Sexualität sei ein Wissensbereich, der entwickelt wurde, um die Bevölkerungsentwicklung zu beeinflussen. Natürlich geschah diese Entwicklung nicht von einer einzelnen Stelle, sondern irgendwer merkte, dass irgendein Wissen praktisch war, andere bekamen Wind davon, daraufhin wurde die Wissensproduktion gefördert, etc. Und auf einmal sind wir heute, wo Sexualität nicht mehr als Maßstab eines gesunden, glücklichen Lebens wegzudenken ist.

Zur Logik der Wissensproduktion über Sexualität gehöre demnach das öffentliche Geständnis. Aus dem, was wie geschildert wird, lernt die Öffentlichkeit, was erwünscht und normal ist. Und wenn etwas als unnormal markiert wird, kann sich die Öffentlichkeit dank des Vergleichs darin sonnen, wie normal sie doch ist.

Heißt, wenn ich etwas erzähle, das als unnormal markiert ist — und sobald es darum geht, dass ich in meiner Eigenschaft als Ace und damit Minderheit befragt werde, bin ich markiert — dann dient sämtliche Beantwortung intimer Fragen hauptsächlich dazu, 99 Prozent der Lesenden in ihrer Normalität zu bestätigen.

Dabei wird diese Bestätigung mir außerdem keinen Dank einbringen, wie Kübra Gümüşay in ihrem Buch Sprache und Sein bemerkt. Die Mehrheitsgesellschaft beruft sich zunächst auf ein Recht darauf zu erfahren, wie oft, warum und ob die portraitierte Person was getan hat. Wer sich aber dem Geständnisdruck beugt, gibt zu, unnormal zu sein und eine Maßregelung zu benötigen. Ob diese sich dann in der Herablassung der Fragenden und/oder später in der Kommentarspalte äußert, ist unerheblich.

Was ich also wusste, aber nicht erklären konnte, haben Przybolo und Gümüşay in klare Worte gefasst.

Ich mag „normal“ als Wort nur, wenn es um Blutdruck, Serumspiegel und so was geht. Wo ein unnormaler Wert eben kurz- bis langfristig Menschen ins Krankenhaus oder in den Sarg befördern kann. Ansonsten gibt es keine Veranlassung, „normal“ zu verwenden und sich noch was drauf einzubilden.

Und daher möchte ich auch weiterhin nicht dazu beitragen, dass irgendwer das eigene normale Ego streichelt.


Referenzen/Weiterlesen:

Ela Przybylo, Crisis and safety: The asexual in sexusociety, Sexualities 2011 14: 444, https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1363460711406461

Kübra Gümüşay, Sprache und Sein, ISBN 978 3 442 77125 7

Bildquelle: Image by Tumisu, please consider ☕ Thank you! 🤗 from Pixabay

Beweisstück A. Eine a_sexuelle Anthologie

Pünktlich zur Ace Week 2021 ist unsere kleine, feine Anthologie „Beweistück A“ erschienen.

2012-03-19-ProjektA-Version-001

Was denken Sie, wenn Sie »Asexualität« hören? An ungehorsame Töchter, eitle Zauberer, einsame Werwölfe oder glückliche Familienväter? Oder an etwas ganz anderes?
Mal nachdenklich, mal komisch, oft fantastisch und immer spannend erzählen 19 Geschichten vom asexuellen Spektrum.

Mit Beiträgen von Ruth Boose, Carmilla DeWinter, Martin Engelrecht, Erich H. Franke, Jens Gehres, Marcus R. Gilman, Mo Kast, Carmen Keßler, Nicole Kojek, Emeryn Mader, Lili S. McDeath, Friederike Niemann, Katherina Ushachov, Vampyrsoul, Florian Waldner, Jordan T. A. Wegberg, Ria Winter und Amalia Zeichnerin

Alle Erlöse gehen an das Projekt 100 % Mensch.

Erhältlich ist das Buch mit der ISBN 9783754346570 anderem bei:

Unserer Druckerei: https://www.bod.de/buchshop/beweisstueck-a-eine-asexuelle-anthologie-9783754346570.

Beim infernalen A: https://www.amazon.de/Beweisst%C3%BCck-Eine…/dp/3754346571

 
Dem Shop mit dem so simplen wie aussagekräftigen Namen: https://www.buecher.de/…/produ…/detail/prod_id/62824023/
 
Einem Shop, der mehr als 400 Jahre auf dem Buckel hat: https://www.osiander.de/shop/home/artikeldetails/A1062452341
 
Und natürlich allen anderen Buchhandlungen.

Zwischenzeitlich anderswo …

Ich war beschäftigt dieser Tage: Die Anthologie ist fast druckfertig. Wir versuchen schon mal, Lesetermine und ein bisschen Promo zu organisieren.

Außerdem hatte ich da noch eine Konferenz zu organisieren, deren Ergebnisse auf der Vereinsseite nachzulesen sind. Teil 1 und Teil 2. Es war gut. Ich bin trotzdem froh über die zwei Wochen Urlaub ab heute. Noch ist viel zu tun, daher:

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Mein zehnjähriges Jubiläum als Frau mit Blog ist im Sommer untergegangen. Muss ich das feiern wollen?

Cover für „Beweisstück A“

Das lang gehegte asexy Anthologieprojekt hat ein Cover!

Während ich im Hintergrund fleißig als Lektorin an den Beiträgen für unsere asexuelle Anthologie werkle, hat Dana Brandt aus Carmen Keßlers und meinen teils nebulösen Wünschen ein Cover gezaubert, in das ich ein bisschen verliebt bin.

Neben den Herausgeberinnen haben folgende Menschen mit eigenständigen Veröffentlichungen eine Geschichte gespendet:

Amalia Zeichnerin, Erich H. Franke, Jordan Wegberg, Katherina Ushachov, Lili S. McDeath, Marcus R. Gilman, Martin Engelbrecht, Mo Kast, Nicole Kojek, Ria Winter und Ruth Boose.

Ich freue mich gerade ungemein auf das fertige Ergebnis. Aber noch ist warten und zwischendrin ein Buchsatz angesagt: Das geplante Veröffentlichungsdatum ist die Ace Week Ende Oktober.

Das asexuelle Spektrum: aufgezeichnete Lesung

Schon im März hatte ich eine kleine Zoom-Lesung im Rahmen von #allabendlichqueer der Literatunten.

Nach einigem Überlegenen, ob die Aufzeichnung gut genug ist (typisch für meinen Hang zum Perfektionismus), habe ich dann doch gebastelt und zurechtgeschnitten, sodass es jetzt einen exklusiven Einblick in Teil 2 des Buches zu hören gibt.

Ausschreibung für Beweisstück A: Eine a_sexuelle Benefiz-Anthologie

Nach einem Jahr Planungen, Verlagsabsagen und konspirativen Gesprächen ist es so weit: Carmen Keßler und ich schreiben aus.

— und haben verlängert bis 31. Mai.

Beweisstück A?

„If he was asexual, there would be no tension in that, no fun in that – it’s someone who abstains who’s interesting.“ – „Wäre er asexuell, läge keine Spannung darin, keine Unterhaltung – interessant ist die Figur, die auf etwas verzichtet.“ (Quelle.)

acebooks

Dergestalt äußerte sich Steven Moffat 2012 in einem Interview gegenüber dem „Guardian“ über Sherlock, die Hauptfigur der gleichnamigen BBC-Serie. Aces wie Todd aus „Bojack Horseman“, Kevin aus Karen Healeys „Guardian of the Dead“ oder Varys aus „Game of Thrones“ strafen diese Behauptung Moffats Lügen – und das haben auch wir vor. Zumal die Menge an Geschichten mit Figuren aus dem asexuellen Spektrum auf dem deutschsprachigen Markt bislang ziemlich überschaubar ist.

Wie der Arbeitstitel bereits andeutet, planen wir eine Kurzgeschichtensammlung, die beweisen soll, dass es für spannende Konflikte nicht zwangsläufig einer sexuellen Spannung zwischen Figuren bedarf – und zu guter Letzt, dass es für Geschichten mit asexuellen Figuren einen Markt gibt. Dass die Zahl der Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum bislang überschaubar ist, hängt nämlich auch mit der weitverbreiteten Ansicht zusammen, es gäbe kein Publikum, das sich für a_sexuelle Geschichten interessiere.

Deshalb suchen wir komische, tragische, gruselige und spannende Geschichten, Kriminalfälle und Abenteuer, die sich auf kreative Weise mit der Asexualität ihrer jeweiligen Figuren auseinandersetzen und damit als Beispiel für die Bandbreite an Möglichkeiten dienen, die das gesamte asexuelle Spektrum zum Erzählen bietet. Es darf durchaus romantisch werden, allerdings suchen wir bevorzugt Stories, die explizit keine Liebesgeschichten sind. Wir sind im Genre nicht festgelegt, bitten aber, bei der FSK unter 18 zu bleiben.

Selbstverständlich sind alle herzlich eingeladen, Beiträge zur Anthologie einzureichen, ob sie dem asexuellen Spektrum angehören oder nicht.

Alle Einnahmen der Anthologie kommen der Initiative „Projekt 100 % Mensch“ zugute, die sich deutschlandweit mit Aufklärungsarbeit unter anderem für queere Menschen stark macht (mehr unter https://100mensch.de/ – im Shop gibt es auch Ace-Armbänder). Geschichten und Lektorat werden daher nur in Form eines fertigen E-Buchs als Beleg bezahlt.

Und nun kommen wir zu den Formalitäten.

Die Beiträge sollten eine Länge von 25 Normseiten bzw. 6300 Wörter nicht überschreiten. Eine Beispielnormseite sowie nützliche Hinweise zur Einrichtung einer solchen findet ihr unter:

https://www.autorenwelt.de/blog/federwelt/heute-schon-geschrieben-teil-1-normseite-einrichten-themen-suchen-anfangen

bzw. unter

https://www.literaturcafe.de/normseite-dokumentvorlage-download/

Einreichungen bitte im Format .doc/.docx oder .odt, möglichst ohne Absatzformatierungen: bevorzugt Flattersatz linksbündig, kein Erstzeileneinzug. Von Software-Flüster:innen freuen wir uns über Anführung in Guillemets (»…«). Euer Name und eure Mailadresse in einer Kopfzeile nehmen uns viel Arbeit ab. Dateibenennung am besten mit „Name Autor:in_Titel“.

Bitte nur unveröffentlichte Texte einsenden.

Einsendeschluss: 31. Mai 2021.

Einreichen unter: beweisstueck-a[bei]web.de – wie so häufig bitte das [bei] gegen @ ersetzen.

Geplanter Umfang: 250 bis 300 Buchseiten (330 bis 400 Normseiten)

Herausgeberinnen: Carmen Kessler und Carmilla DeWinter

Geplanter Veröffentlichungstermin: Ende November 2021

Wir haben ein Stylesheet vorbereitet, falls ihr wegen Kommas, Gender Gaps und diversen anderen Dingen Fragen habt: Stylesheet Beweisstück A

Mehr Informationen zum Thema asexuelles Spektrum:

https://aktivista.net/

https://asexualagenda.wordpress.com/

https://www.researchgate.net/publication/232473247_Toward_a_Conceptual_Understanding_of_Asexuality

http://juliesondradecker.com/?tag=the-invisible-orientation

Edit 2021-06-24: Die Ausschreibung ist geschlossen, wir haben neunzehn Beiträge und sind äußerst gespannt. Die Autor*innen der ausgewählten Text wurden bereits informiert.

Flaggenmemory

Ein beinahe verschütt gegangener Text, während ich auf die letzte Runde PDF für das Sachbuch zur Druckfreigabe warte.

Ich habe eine Stoffmaske in Ace-Farben. Selbstgenäht aus T-Shirt- und Tennissockenstoff.

ace_maske

Im Sommer wurde ich von einer Person darauf angesprochen, die wahrscheinlich ebenfalls nicht ganz hetero ist, und erklärte ihr, was das für eine Flagge ist. Woraufhin sie meinte, dass sie sich all die neuen Flaggen kaum merken könnte.

Ich entblödete mich dann zu dem Kommentar, dass eine ja in Anbetracht mancher Kreationen (beispielsweise einer eigenen Ace/Aro-Flagge) sich manchmal fragt, warum wir noch eine Flagge brauchen.

Aroace_(aroaesflags_v2)

Aroace Flagge, gestohlen hier: https://lgbta.wikia.org/wiki/Aroace – Fünf horizontale Balken in orange, gelb, weiß, hellblau und dunkelblau

Und ja, ich freue mich auch, dass es eine eigene Ace-Flagge gibt, insofern werde ich mich manchmal wundern (grade bei den ganzen Grau-A_sexualitäten), aber nie sagen, dass die Leute keine eigene Flagge haben sollten. Offenbar brauchen sie einen eigenen Begriff für ihre Empfindungen, und wer bin ich, ihnen ein paar bunte Streifen dazu zu verwehren?

Sich alle Flaggen zu merken, ist allerdings schwierig. Sehr schwierig, zumal sich manche sehr ähnlich sehen. Es lohnt sich daher nicht, mit Menschen beleidigt zu sein, die zufällig meine Untergruppe noch nicht kennen oder denen da was entfallen ist oder die farbenblind sind oder was auch immer.

Die Frage ist also nicht: Brauchen wir noch eine? Sondern: Was zum Henker wollen wir eigentlich mit diesen Flaggen?

Anmerkung: Was mit geschlechtlichen Minderheiten ist, kann ich nicht beurteilen, daher gelten die folgenden Ausführungen für Menschen aus sexuellen (und teilweise auch aus romantischen) Minderheiten. Dass nicht alle Menschen sexueller Minderheiten mit trans Personen solidarisch sind, ist eine traurige Tatsache. Andersherum kommt das wohl auch vor, aber wenn, dann seltener.

Außenwirkung

Um einen politischen oder werblichen Zweck zu unterstreichen, ist ein eindeutiges, wiedererkennbares Zeichen sinnvoll. Nicht umsonst gibt die Regierung Geld für Hashtags wie #WirBleibenZuhause aus. Auch einige meiner Schreib-Kolleginnen haben sich deshalb Logos entwerfen lassen.

Rewe wird sich also kaum eine Glasschiebetür mit mehr als 20 Flaggen zukleben. Genauso wenig wird eine Stadt oder ein Unternehmen, die einen CSD unterstützen, damit anfangen (können), mehr als 20 Flaggen zu hissen. So viele Masten sind ja üblicherweise auch nicht vorhanden.

Außerdem stellt sich bei einem solchen Meer von Bunt die Frage, was dann bei denen ankommt, die das sehen sollen. Zumal manche Communities sich weniger einig sind als meine.

Die Regenbogenflagge ist bekannt genug, dass sie bei uns im Juni 2020 vom Bahnhofsvorplatz gestohlen und gegen eine Russland-Flagge ersetzt wurde. Was wäre noch erkennbar (im Guten wie im Schlechten), wenn da tatsächlich ein Quilt hinge, wie die Akronymverwurstelung QUILTBAGPIPE* vorschlägt?

Und ganz ehrlich, die Regenbogenflage-Ersetzenden werden wohl so lange mit mir ein Problem haben und mich für russlandfeindlich halten, wie ich die Ehe für alle unterstütze, egal was meine sexuelle Orientierung ist.

In diesem Rahmen ist die Regenbogenflagge offenbar sowohl aussagekräftig als auch ein Hingucker. Es gibt üblicherweise keinen Grund, sich von dieser Flagge als Außensignal politisch nicht angesprochen zu fühlen, nur weil die Asex-Flagge, die Bi-Flagge oder sonst eine Flagge für sexuelle Minderheiten nicht mit dabeihängt.

Im Guten wie im Schlechten, wie gesagt. Menschen, die als nicht-heterosexuell auffallen, bekommen alles mögliche von Beschimpfungen bis hin zu körperlichen Angriffen ab. Welcher Art die Minderheit genau ist, interessiert jene wenig, die hassen.

Innenwirkung

Was bei der Deutschen Bahn ein schickes Zeichen ist, wäre auf einer Veranstaltung, die von der Buchstabensuppen-Community für die Community ausgerichtet wird, ein grober Fehler. Hier wird das Fehlen von Buchstaben, Begriffen (und manchmal auch Flaggen) oft als Hinweis verstanden, dass eine bestimmte Buchstabengruppe nicht willkommen ist. (Kluges zu den Akronymen vom fink.)

Ausschlüsse sind gelegentlich gewollt, manchmal aber keine Absicht. Eine inklusive Sprache innerhalb der Communities ist von Vorteil, zumal manche Pressevertretenden immer noch „schrille Paraden“ für „Schwule (und Lesben)“ bemühen, wenn sie von einem CSD schreiben. Tatsächlich sind das teilweise sehr bunte (und laute) Demonstrationen für die Rechte sexueller und geschlechtlicher (und manchmal auch romantischer) Minderheiten. Aber das ist halt kompliziert, nicht?

Die größte Wirkung entfalten die Flaggenfarben jedoch innerhalb der Community, die sich diese Flagge gewählt hat: Um eventuell ähnlich tickenden Menschen zu signalisieren, dass sie nicht allein sind. Das klingt nicht nach viel, aber es kann viel wert sein.

Wenn ich mit meinen Ace-Farben rumlaufe, kann ich sicher sein: Uneingeweihte haben keine Ahnung, dass ich überhaupt Farben einer Flagge trage. Ein paar Nicht-Aces werden wissen, was es heißt, und ansonsten grinsen sich die asexuellen Mitmenschen eben gegenseitig wissend an. Und fallen sich bei Demos wie dem CSD durchaus mal um den Hals, ohne sich zu kennen.**

Einfach, weil sie sich freuen, dass da noch jemand ist.

 


* QUILTBAGPIPE: Queer/questioning, undecided, inter*, lesbian, trans, bisexual, asexual, gay, pan, inter*, poly, everyone else who wants under the umbrella. – Queer/fragend, unentschlossen, inter*, lesbisch, trans, bisexuell, asexuell, schwul, pan, inter*, poly und alle anderen, die mit unter den Schirm wollen.

** Also, wenn grade keine AHA-Regeln angebracht sind.

(Sinn und Unsinn von Masken aller Art steht hier nicht zur Debatte, ich behalte mir vor, diesbezügliche Kommentare nicht freizuschalten.)

Gelesen: „Ace“ von Angela Chen

Vor einem guten Monat erschien auf Englisch ein Buch von Angela Chen namens „Ace – What Asexuality Reveals About Desire, Society and the Meaning of Sex“ (Beacon Press Boston, ISBN 978-0-8070-1379-3).

Da ich mir ja zur Aufgabe gemacht habe, beim Thema Asexualität wenigstens halbwegs auf de aktuellen Stand zu sein, habe ich es gekauft, und als Abschluss der Ace Week für euch eine Meinung dazu verfasst.

Wobei ich sagen muss, dass mich sonst das Cover mit diesen Flecken (Buntpapierfetzen wie früher im Kunstunterricht?) ein wenig abgeschreckt hätte. Mit dem Inhalt hat es jedenfalls erst nach einer Pause zum Nachdenken zu tun.

Kurze Inhaltsübersicht

Der Text liest sich sehr flüssig. Ausgehend von eigenen Erfahrungen hat Angela Chen einige Dutzend andere Aces interviewt und deren Geschichten in Fragestellungen an die US-Gesellschaft verwandelt:

Schadet die allgemeine Erwartung, dass Männer immer super versessen auf Sex seien, genau dieser Personengruppe?

Hat uns die sexuelle Befreiung uns wirklich freier gemacht?

Inwieweit haben wir Überschneidungen mit Vorurteilen gegenüber rassifizierten Menschen, Menschen mit BeHinderung, und religiösen Stereotypen?

Was bedeutet eigentlich „romantisch“? Wo ist die Grenze zwischen Romanzen und Frenudschaft? Und wieso ist Sex ein Maßstab bei der Bewertung, wie wichtig eine Beziehung sein darf?

Was ist „compulsory sexuality“ (Sexnormativität) und was ist hermeneutische Ungerechtigkeit? Wie verhindern unsere Vorstellungen von Sex und dem, was Menschen wollen, dass Menschen eben nicht das tun (oder lassen), was sie möchten?

Das alles bereitet Chen informativ und verständlich auf.

Sehr tröstlich ist auch die Einflechtung der verschiedenen Lebensgeschichten. Obwohl ich genug Aces kenne, tut es immens gut, ein paar Fragen und Probleme gespiegelt zu sehen, die ich auch schon hatte.

Mehr Kompendium als Erleuchtung

Der Witz ist, dass ich dieses Buch nicht unbedingt gebraucht hätte, und da werden manche ähnlich empfinden. Was Angela Chen zusammengetragen hat, wissen halbwegs aufmerksame Beobachtende der asexy Blogosphäre schon.

Ich selbst fand also in dem Buch sehr wenig neue Anstöße, sondern eher eine Zusammenfassung von klugen Gedanken, die ich bei oder dank der Asexual Agenda schon gelesen habe. Damit will ich Angela Chens Fähigkeit, pointierte Fragen zu stellen und Dinge zu beobachten, gar nicht in Abrede stellen. Es wird Menschen im asexuellen Spektrum geben, die diese Diskussionen nicht so genau mitverfolgt haben oder viel später dazugestoßen sind, und die dieses Buch dann umso mehr schätzen werden. Außerdem hat eine gedruckte, zitierfähige Zusammenfassung von Online-Diskussionen immensen Wert.

Was ist eigentlich die Zielgruppe?

Einerseits steht das erklärte Ziel des Buchs schon auf dem Cover: Wie können die Lebensgeschichten asexueller Menschen helfen, besser zu verstehen, wie die westlichen Gesellschaften in Bezug auf Sex ticken? Was können wir alle gewinnen, wenn wir Dinge aus einer asexuellen Perspektive betrachten?

Das heißt, die Zielgruppe sind vornehmlich Menschen, die sich nicht als ace begreifen.

Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob es gelungen ist, diese Zielgruppe anzusprechen.

Was es aber zu tun scheint, und da sind Sara von the notes which do not fit und ich einer Meinung mit diversen Menschen, die bei Amazon Rezensionen hinterlassen haben: Es ist hilfreich für unentschlossene Menschen und solche, die ein nagendes Unbehagen mit den Erwartungen spüren, die uns die Sexnormativität aufbürdet.

Brauche ich das?

Kommt drauf an.

Wer sowieso schon alles zum Thema gelesen hat und sich mit der eigenen Selbstbeschreibung als ace wohlfühlt, braucht es nicht unbedingt und folge weiterhin den relevanten Blogs.

Wer einen kurzen und knackigen Einstieg in die aktuellen Debatten sucht, ist hier genau richtig.

Ebenfalls sehr sinnvoll erscheint es für jene, die überlegen, ob sie sich ins asexuelle Spektrum verorten sollen oder wollen. Wir finden hier all die Selbstzweifel und Einwände, die in dieser Findungsphase am drängendsten sind.

Insofern hat Angela Chen auf jeden Fall etwas getan, das mich das Hütchen lüpfen lässt: Ein Ratgeberbuch verfasst, ohne einen einzigen Ratschlag zu verteilen.

Eine etwas andere Meinung zum Thema hat Ace Admiral.

Crosspost bei carmilladewinter.com, aktivista.net und Amazon.