Kater auf Lachgas

Im Zuge des Drachennestfestes, das aus der Corona-Not geboren wurde, gewann ich den ersten Band von Joachim Sohns Sunnie & Pollis Meistererzählungen: Aufregung in Dampfstadt.

Ich versprach, einen eigenen Artikel mit Rezension zu schreiben — und das ist auch nötig, denn das Buch spottet jeder Beschreibung, die sich auf drei Absätze beschränken will.

Zunächst muss ich eine Warnung aussprechen: Dies ist ein illustriertes Buch für Menschen, die lange Sätze verstehen und seltenere Wörter mit den zugehörigen Anspielungen kennen. Also eher nicht für Kinder unter 12 und mehr so Geburtsdatum vor 1995. Lassen Sie sich von den putzigen Katern mit den schrägen Outfits auf dem Cover nicht täuschen.

Worum geht’s?

Die Kater Sunnie (Brille, schwarz-weiß gefleckt) und Polli (getigert, mit Schirmmütze) werden von dem schwarzen Kater Kiri O’City (mit Zylinder) genötigt, nach Dampfstadt zu reisen, um dort ein seltsames Phänomen aufzuklären.

Schon bei der ersten Begegnung mit Menschen aus Dampfstadt fällt ihnen auf, dass die alle so blöd grinsen. Sie vermuten eine Überdosis Lachgas. Und das scheint ihnen ein viel größeres Problem als dasjenige, das der Bürgermeister ihnen schildert. Obwohl der Bürgermeister und Kiri O’City ein straffes Programm für sie zusammengestellt haben, das ihnen bei der Lösung des bürgermeisterlichen Problems behilflich sein soll — unter anderem sollen sie eine Talkshow aufhübschen — machen sie sich an die Lösung des tatsächlichen Rätsels. Und helfen gleichzeitig einem TV-Laufburschen in Liebesnöten.

Und, wie ist es so?

In kurz: Sehr, sehr Meta, vor allem, was Medien und Konsum angeht. Und, wie schon im Klappentext steht: „Nicht für Klimawandelleugner geeignet!“

Was man bekommt:

Dampfbetriebene Science Fantasy.

Das Buch besteht den Bechdel-Test nicht (nur eine einzige ausführlichere Frauenrolle, die auch noch hinterher eine Typen abbekommt), aber die Holmes-und-Watson-ähnliche Symbiose der beiden Kater, die gefühlt nur pro forma Pronomen haben, entschädigt dafür.

Ein Paar Meisterdetektive, die selten mit- aber nie ohneeinander können. Und die trotz ihrer extrem schrägen Logik Fälle lösen.

Polli stieß diese Aufdringlichkeit übel auf, aber als tüchtiger Meisterdetektiv inspizierte er die Grinserei natürlich genau, indem er abwechselnd schnell das eine, dann das andere Auge zukniff, um nicht beim Beobachten durch das Gegenüber ertappt zu werden. Wie konnte dieser ihm so schon nachweisen, mit welchem Auge er ihn tatsächlich gerade ansah?

Insgesamt ein Plädoyer dafür, die richtigen Fragen zu stellen und sich ein bisschen über alltäglich Geglaubtes zu wundern.

Eine Detektivgeschichte mit einer halben Auflösung — welche Ursache das bürgermeisterliche Problem hat, bleibt vorerst offen. Dafür finden sich massenweise doppelte Böden, die für mich ein paar (nicht zu viele) Seiten mehr vertragen hätten, damit das Miträtseln für die geneigten Krimifans ein bisschen ertragreicher ist.

Ich bin mir im Übrigen sicher, dass ich nicht alle dieser doppelten Böden gefunden habe.

Selbige doppelte Böden und Erzählerkommentare von der Meta-Ebene machen eine Menge Spaß, vorausgesetzt, man kann so was ab. Wer sich schon am Anfang fragt, warum die beiden Kater in einer Spirale nach Hause wandern und Kiri O’City unvermittelt in HipHop-Moves ausbricht, hat keinen Spaß an der Geschichte.

Für Experimentierfreudige mit etwas Küchenerfahrung gibt es außerdem ein Rezept für eine Süßspeise zum Nachkochen.

 

 

Pride Month 2020

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Pride Month also. Ist halb durch. Hier in Deutschland wird das ja nicht so publiziert wie in den USA. Der Stonewall-Aufstand war im Juni, also ist dort der gesamte Monat Anlass, sich mit den Rechten der diversen Buchstaben-Menschen auseinanderzusetzen.

Als einige europäische Länder gerade eben so zögerlich darüber nachdachten, dass man ja Männer, die Männer lieben, nicht unbedingt einsperren muss, gab es in New York City sowohl eine sehr hohe Dichte an queerem Volk als auch eine repressive Gesetzgebung. Bei einer Razzia im Stonewall Inn hatten ein paar Menschen endgültig genug, von der Polizei gegängelt zu werden, es folgten einige Tage Unruhen.

Überrascht es, dass da weniger die Polohemd tragenden netten weißen Kerls von nebenan auf die Barrikaden gingen, sondern trans Frauen und Menschen in Drag? Ein Haufen junge Leute zudem, die kaum Geld hatten und oft keine feste Adresse?

Aber ohne feste Adresse ist es schwierig, sich zu organisieren, und die Organisationen, die es gab und die die Aufstände in politisches Kapital verwandelten, waren nicht besonders gut darin, Personen of Color, von den Eltern rausgeworfene Jugendliche und Leute einzubinden, die das Bild des braven schwulen Nachbarn mit ihrer Feminität und ihren Fummeln störten.

(Nachzulesen unter anderem in „Stonewall“ von David Carter.)

Jetzt ist wieder Pride Month, und in den USA hat sich ein neuerlicher Aufstand etwas beruhigt, aber der Aufstand fand aus anderen Gründen statt. Oder aus ähnlichen? Ist ja nicht so, als hätten nicht wenige weiße Buchstabenmenschen egal welcher Nationalität ein Problem mit Rassismus.

(Wir müssen uns daran erinnern, dass der Vorwurf von Homosexualität bereits erfolgreich von Faschisten verwendet wurde, um die Morde an anderen Faschisten zu rechtfertigen. Übrigens hat das restriktive Waffengesetz der Bundesrepublik seine Wurzeln wohl mit im Naziregime — sollten also tatsächlich in den USA Faschisten an die Macht kommen, täte sich die NRA wohl wundern, wer auf einmal alles überprüft wird, bevor sie eine Waffe rumtragen dürfen.)

Das ist der Witz an solchen Verwerfungen: Es gibt sehr viele. Und während manche Menschen es einfach halten und alles verachten, was nicht weiß, mindestens Kleinbürgertum, cis-männlich, gesund, able-bodied und heterosexuell ist, haben wir alle unsere Vorurteile aufgesaugt. Frausein schützt unter keinen Umständen vor Frauenverachtung, Rassismus, Hass auf queere Menschen, Klassismus oder Behindertenfeindlichkeit.

Homo- wie Heterosexuelle üben sich in Bifeindlichkeit. Und so weiter. Und so weiter.

Die a_sexuelle Community leidet übrigens unter einem eklatanten Mangel an gut sichtbaren Menschen, die nicht weiß sind.

(Aber das weiterzuverfolgen, ist hier nicht zielführend, zumal ich noch keine Ideen diesbezüglich habe.)

Zwar bringt es die Menschheit in ihrer derzeitigen Situation nicht weiter, immer „Wir“ und „Die“ gegeneinanderzusetzen (kein Planet B und so). Aber über Jahrhunderte eingeübte Verhaltensweisen und liebgewonnene Glaubenssätze legen sich nicht so schnell ab, wie es nötig wäre.

Und wenn schon der bewohnbare Teil des Planeten langsam in den schmelzenden Eismassen von den Polen versinkt, ist es wohl tröstlich, sich an Etiketten zu klammern. In der Hoffnung, dass die schwimmen?

Enttäuschende Aufsätze von Bestsellerautorinnen

CN: Mäander über Transfeindlichkeit mit Erwähnungen sexueller Gewalt

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Also, J. K. Rowling, die Frau, die Harry Potter erfunden hat, bekommt seit einiger Zeit Internet-Gegenwind wegen Transfeindlichkeit.

Gegen den Gegenwind schrieb sie einen langen Text. Sie sei gar nicht transfeindlich! Aber sie habe halt Bedenken.

Am Anfang klingt der Text vernünftig, zumal sie einen verständnisvollen, ruhigen Ton anschlägt. Frau gerät so ins Mitnicken, und wenn eine mal das Mitnicken angefangen hat, findet sie da selten schnell wieder raus. (Menschen sind halt so. Dreimal zugestimmt, da ist es echt schwierig, beim vierten Argument zu sagen: „Halt mal …“)

Trans für Dummies

Grundlage für den Streit ist Folgendes:

Bestimmen die Geschlechtsteile, die Menschen haben, automatisch deren Geschlecht? Also, ob sie Männer oder Frauen sind?

Oder ist das Geschlecht, das Menschen in ihrem Kopf und Herz haben (das Ich-Geschlecht, wie es eine großartige Person nennt), ausschlaggebend?

Je nach Standpunkt haben wir dann bei trans Menschen entweder Männer und Frauen, die einen an der Waffel haben und deswegen Namensänderungen, Hormone und/oder Operationen wünschen,

oder

Menschen, denen es in ihren Körpern und/oder den ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen Rollen nicht gut geht und die daran dann verständlicherweise etwas ändern wollen.

(Inter* Menschen kommen in der ersten Meinungskette wohl nicht vor.)

J. K. Rowling gehört zu der Fraktion Biologie = Geschlecht.

Ich nicht.

Trotzdem kam ich bei ihrer Verteidigung ins Mitnicken, was sie zu einer großartigen Autorin, macht, aber nicht unbedingt zu einem großartigen Menschen. Aber daran habe ich schon seit Dumbledore und vor allem seit Ron Weasley im Epilog von Band 7 gezweifelt.

Sezieren wir die Argumentationskette von JKRs Aufsatz mal.

Teil 1: Trans Männer

  • Sogenannte trans-ausschließende Feminist*innen würden sich um alle Menschen kümmern, die als Frauen geboren seien, auch um trans Männer, also würden sie gar nicht grundsätzlich trans Menschen ausschließen.
    • Was hat das mit dem Thema zu tun?
  • Sie macht sich Sorgen um junge Menschen. Es gibt einen nachweislich zu verzeichnenden Anstieg von jungen Menschen, denen bei der Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugeordnet wurde, und die eine Transition anstreben. Angeblich sei das in manchen Freundinnenkreisen regelrecht ansteckend, wie Magersucht wohl manchmal. Und was ist dann mit Mädchen, die merken, dass sie nur angesteckt wurden, aber schon mit Hormonen oder Operationen ihren Körper unwiederbringlich verändert haben? (Text zu dem von JKR erwähnten Artikel samt Streit im englischen Wikipedia hier.)
    • Das ist eine einzige Studie über die Befragung von Eltern, die sehr häufig als letzte eingeweiht werden.
  • Trans Aktivist*innen würden behaupten, dass der Hauptgrund für die überdurchschnittlich vielen Suizide junger trans Menschen daran läge, dass man sie von der Transition abhalte.
    • Ich halte das für eine fehlerhafte Behauptung. Wie viel Schaden richtet es an, wenn sich das Umfeld weigert, einen anderen Namen und Pronomen zu benutzen? Wenn das Umfeld mit Aggression auf die Überschreitung der derzeit geltenden Geschlechtsnormen reagiert? Wahrscheinlich mehr als die Frage, ob Hormone zur Pubertätsblockade verschrieben werden oder nicht.
  • Also was ist nun mit den Leuten, die voreilig Hormone und OPs bekommen?
    • Wie viele sind das, mal ehrlich, bei den derzeitigen Zuständen im deutschen und englischen Gesundheitssystem? Letzteres ist ja bekanntlich seit Jahren überfordert, mit allem.
  • Und außerdem, wenn JKR sich so anschaut, was junge trans Männer so schreiben, dann erkennt sie sich als junger Mensch wieder. Vielleicht hätte sie sich auch eine Transition gewünscht, wenn sie heute geboren wäre? Immerhin sei es eine große Verlockung, dem Frausein permanent zu entkommen, und sie habe damit als Jugendliche gehadert.
  • Also: Wie viele junge trans Männer kommen zustande, weil die Gesellschaft so beschissen frauenfeindlich ist?
    • Eine Antwort darauf habe ich nicht. Diesbezüglich habe ich aber etwas Ähnliches über nichtbinäre Menschen gehört, die in JKRs Text gar nicht vorkommen, die aber in meinem aktivistischen Bekanntenkreis viel häufiger sind als trans Männer. Aber wenn ich überlege, dass eine Transition mit mehr Hindernissen verbunden ist als feministischer Aktivismus, holpert das irgendwie.

 

Widersprüchliches Fazit 1:

JKR unterstützt als Feministin trans Männer, auch wenn das ihrer Meinung nach zu 60 bis 90% Frauen sind, die einfach keinen Bock mehr haben, vom Patriarchat unterdrückt zu werden.

 

Teil 2: Trans Frauen

  • Trans Frauen und cis Frauen haben unterschiedliche biologische Wirklichkeiten. Mit diesen biologischen Wirklichkeiten wird Politik gemacht. Es wird unterdrückt und dagegen gekämpft.
    • Ja.
  • Es könnte sein, dass der Kampf gegen die Unterdrückung aufweicht, wenn wir aufzeigen, dass das biologische und das Ich-Geschlecht nicht unbedingt was miteinander zu tun hat.
    • Den Vorwurf, dass trans Menschen den Feminismus unterhöhlen würden, habe ich bereits gehört und für Unfug befunden. Nur weil eine Person trans ist, heißt das ja nicht, dass Menschen, die das nicht akzeptieren, selbige nicht als Frauen und damit minderwertig behandeln. Insofern ist Feminismus quasi ein Mitinteresse jeder halbwegs mitdenkenden trans Person.
  • Die Entscheidung, bei machen Themen beispielsweise von „Menschen, die menstruieren“ statt von „Frauen“ zu sprechen, ist für manche inkludierend und für andere befremdlich.
    • Kann sein. Neue Sachen sind für viele Leute befremdlich.
  • Frauen werden sehr häufig aufgrund biologischer Gegebenheiten beleidigt, es sei also abwertend, biologische Gegebenheiten als Beschreibung zu verwenden.
    • Blicke ich nicht. Man könnte sich die auch zurückerobern? Und halt mal nicht hinter vorgehaltener Hand rumflüstern, dass „Erdbeerwoche“ sei.
  • JKR hat sexuelle Gewalt überlebt und immer noch mit den Folgen zu kämpfen.
    • Wo ist der Typ, damit ich ihn umbringen kann? Und wieso verknacken wir eigentlich nicht alle Täter sexueller Gewalt lebenslänglich, um weitere Menschen vor ihnen zu schützen? Es handelt sich nachweislich bei fast allen um Serientäter.
  • Trans Frauen verdienen mehr Sicherheit. Cis Frauen und Mädchen verdienen aber auch mehr Sicherheit. Sie will nicht, dass ihre Töchter das mitmachen, was sie erlebt hat.
    • Wieso schließt sich das aus?
  • Es gibt Pläne, dass in Schottland zur Personenstandsänderung bald nur noch eine einfache Erklärung nötig ist. Also muss jetzt ein Typ nur noch hingehen, behaupten, dass er eine Frau sei, und auf einmal habe er Zugang zu Räumen, die sonst nur Frauen offen sind.
  • Täter könnten das ausnutzen!
    • Äh. Okay. Also, die Kerle, die in Südkorea Kameras auf Damentoiletten installieren, können das prima ohne wechselnden Geschlechtseintrag. JKR glaubt doch nicht ernsthaft, dass ein potentieller Täter erst mal über eine bürokratische Hürde springt, um an nicht von Putzpersonal beaufsichtigten Orten (egal ob Klos, Umkleiden, Parks, Clubs oder daheim) Frauen zu vergewaltigen? Und was ist mit den trans Personen, die in Toiletten beschimpft, verprügelt oder vergewaltigt werden, weil sie irgendeiner übergriffigen, transfeindlichen cis Person nicht passen?

 

Widersprüchliches Fazit 2:

JKR akzeptiert trans Frauen und will sie beschützen, aber im Grunde verdächtigt sie alle trans Frauen, potentielle Täter für sexuelle Gewalt zu sein.

 

Ende

Und das, meine lieben Mitmenschen, ist dann in gleich zwei Varianten transfeindlich. Aber halt echt verdammt gut versteckt.

Mist verfluchter

Also, erster Mist: Das Sachbuch — Expedition Unsichtbar — ist vom Verlag auf September verschoben.

Corona und so. Unpraktisch für Autorinnen wie mich, die schon Werbung gemacht haben.

Muss ich erst mal verdauen.

Zweiter Mist: WordPress hat mir eine knappe Stunde Arbeit geklaut. Ein Artikelentwurf bezüglich J. K. Rowling ist verschwunden. Obwohl die Seite behauptete, dass es gespeichert sei. 400 Wörter für den Arsch.

Und davor den neuen Editor probiert: Einmal zu oft auf den Pfeil nach links geklickt (den Lösch-Pfeil), da waren 100 Wörter weg. Das Teil speichert offenbar nicht so oft zwischen wie der alte es (angeblich) tut.

Graaaah.

Also wieder altmodisch den ganzen Kack in OpenOffice entwerfen.

(Und wer sich jetzt über meine Flüche aufregt, das F*-Wort müssen sich meine Kolleginnen live öfter anhören als ihr.)

 

 

USA. Pressefreiheit. Polizeigewalt.

Zitat

über Support the Fight Against Inequality: Resources and Ways to Act

Eine Liste von Organisationen, die Spenden und Unterschriften sammeln, hat wer bei WordPress zusammengestellt. (Falls Sie sich wundern, warum ich hier eine Seite habe und nicht umziehe, auch deshalb.)

Währenddessen unkt Sascha Lobo, dass Trump einen Staatsstreich vorbereitet. Soweit die gesammelten Informationen reichen: Zuzutrauen ist es dem Mann mit der seltsamen Frisur allemal, mit dieser für ihn (und für viele Autoritäre) charakteristischen Mischung von Größen- und Verfolgungswahn.