Der Kuchen und die Identität

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Ich habe erst gestern ein paar Sätze von mir in einem Buch gefunden, in dem ich sie nicht erwartet hätte. Das Buch heißt „Feministisch streiten“. Es ist eine Aufsatzsammlung aus dem Querverlag. (Ich finde deren Sachbücher manchmal sehr nett, auch wenn sie noch nix über Asexualität machen wollen.)

Ich zitiere aus der Einführung von Koschka Linkerhand über „Das politische Subjekt Frau“, Seite 37/38 der ersten Auflage:

Der stetige, unreflektierte Wechsel von Identitätskritik und alternativer Identitätsfindung führt dazu, dass eine entlastende, nachsichtige, auch humorvolle Distanz zur eigenen Identität kaum mehr möglich ist. Identitäten müssen hautnah sitzen oder ausgewechselt werden. Das zeigt sich beispielhaft im Glossar von AVEN, eine Plattform für Asexuelle. Dort heißt es zum Begriff Kuchen (…) als asexuelles Symbol (…): „Entstanden aus dem Witz, dass Asexuelle lieber Kuchen als Sex mögen. Deswegen sollte sich aber niemand genötigt fühlen, Kuchen zu essen. Es gibt auch Asexuelle, die keinen Kuchen mögen.“

Zur Sicherheit: Gut, dass es AVEN gibt und dass Asexuelle hier Austausch finden. Aber bedenklich ist, dass ernstlich ausgeführt werden muss, dass ein zufälliges und ironisches subkulturelles Symbol nicht zum bezeichnenden Inhalt der asexuellen Identität gehört. Das heißt, es gehört durchaus dazu — aber es kann in bestimmten Einzelfällen davon abgesehen werden, ohne dass die asexuelle Identität komplett infrage gestellt wird.

Also, das Zitat im Zitat stammt aus der alten Broschüre von AktivistA und ist in der neuen wieder aufgelegt. Bei der Neuformulierung des FAQs 2012/13 kam die Idee auf, für Neulinge ein paar Insidersachen zu erklären, die zu diversen Witzen und Blognamen geführt haben. Ich habe diese Sätze damals geschrieben.

Logisch hätte ich es bei der Erklärung des Witzes belassen können, aber ich fand den Hinweis „nicht alle Asexuellen mögen Kuchen“ damals ganz witzig, da ich ja wusste, wie viel Kuchen ich seit meiner Anmeldung im AVEN-Forum konsumierte: Auch nicht mehr als vorher.

Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, dass irgendwer das Symbol als Aufforderung nehmen könnte, grundsätzlich mehr süßes Gebäck zu konsumieren. Oder sich gar seltsam zu fühlen, weil derjenigen Person Salzstangen viel besser schmecken als Torte oder sie gar: keine Meinung dazu hatte.

Ich könnte das Missverständnis jetzt witzig finden — meine humorvolle Distanz zu einem zufälligen Symbol und damit der eigenen Identität wird als Beispiel genommen, dass solche Distanz nicht mehr möglich ist.

Nun ist es aber so, dass vor ein paar Jahren eine Diskussion hochkochte, was eigentlich „asexuelle Kultur“ sei. Und wie manche Leute diverse Serien als Bestandteil derselben vorschlugen, wohingegen andere protestierten, dass sie sich aus der Community ausgeschlossen fühlten, weil sie weder zu Sherlock noch Doctor Who eine Meinung hatten.

Drücken wir es mal so aus: Serien ohne explizit asexuelle Figur als Teil der asexuellen Kultur (sofern diese überhaupt existiert) hochzuhalten, ist schon reichlich wagemutig. Andere von oben herab zu behandeln, weil sie ebenjene Serien nicht kannten, mochten, keinen Zugriff darauf hatten: Was zum Henker geht in manchen Leuten vor?

Ich konnte mich anno 2015 nur am Kopf kratzen, dass das überhaupt diskutiert wurde, und fühlte mich mit meinen damals 34 auf einmal sehr alt. Es erinnerte mich an die Leserbriefe in der Rock Hard von 2000, ob nun jemand, der nur zu einem Konzert Kutte und Band-T-Shirts trägt, ein echter Metalhead sei oder „fake“. Mit neunzehn hatte ich dazu noch eine Meinung, wenn auch keine Kutte, mittlerweile störe ich mich an derartigem tribalistischem Gedöns ums „wahre Fan“-Sein. Wobei das Wort „Fan“ hier gerne durch jeden anderen Identitätsbegriff ersetzt werden darf.

Anscheinend herrschte in Falle der „asexuellen Kultur“ eine „Ganz oder gar nicht“-Mentalität, oder ein Glaube, dass, wenn wir schon alle so verschieden sind, dass manche Leute hundert Wörter für die Nuancen brauchen, wir wenigstens das gleiche Zeug mögen müssen.

Völlig Banane, um einen Lieblingsspruch meines damaligen Co-Autors zu zitieren.

Aber offensichtlich ein Problem.

Nun gibt es ja Leute, die Identität überhaupt doof finden und bei jeder passenden Gelegenheit über trans mit Sternchen und so was lästern und eine jederzeit ermahnen, das mit der „(Selbst-)Bezeichnung“ aus dem Sprachgebrauch zu streichen.

Die Argumentation geht irgendwie in folgende Richtung und kommt aus der Semiotik, also der Zeichenlehre:

Beschreibe ich mich selbst als asexuell, ist das eben eine Beschreibung, die mich mit anderen Dingen eben beschreibt (wie „Schriftstellerin“, „färbt sich die Haare rot“ etc.).

Bezeichne ich mich, markiere ich mich damit selbst als zur geanderten Gruppe gehörig und mache mich damit den anderen so Bezeichneten gleich. Dadurch müsste ich mit dem kompletten Konvolut der Identität/Subkultur leben, die dann eine eindeutige Postionierung zum Thema Kuchen und Doctor Who erforderlich machen würden.

Andererseits kommen wir bei der Formierung von Gruppen, die politsch etwas bewirken wollen, nicht um eine Identität herum. Ich rücke eine gemeinsame Eigenschaft zahlreicher Individuen in den Vordergrund. Ich führe aus, welche Ausschlusserfahrungen und Abwertungen diese Menschen aufgrund dieser Eigenschaft gemeinsam haben. Ich arbeite daran, andere Menschen darauf hinzuweisen, dass Ausschlussmechanismen und Abwertungen existieren und im zweiten Schritt diese Mechanismen zu verringern.

Und nun kommt der Witz: Ich verstehe die ganze Aufregung nicht so richtig, weil Identität für mich doch ein bisschen komplexer ist. Nämlich eine Antwort auf die Frage: „Wer bin ich?“ Und damit kann sie sich im Laufe der Zeit ändern.

Die Antwort enthält sowohl politische Identifizierungen wie „Frau“, „asexuell“, „mit Gesundheitsberuf“, „Schriftstellerin“ (ja, ja, das ist politisch, nicht zuletzt wegen des „-in“ am Wortende), als auch Selbstbeschreibungen, die teilweise mit den politischen Identifizierungen überlappen. Weil sie beschreiben, wie ich andere Menschen betrachte, worauf ich achte, womit sich ein Großteil meiner Gedanken beschäftigen, wo ich mich in dieser Gesellschaft einordne.

Ich finde es schon reichlich seltsam, wenn irgendwer glaubt, aus meinen politischen Identifizierungen darauf zu schließen, dass ich daraus meine komplette Identität ziehen muss. Oder dass ich anderen Leuten vorschreiben will, wie deren Ausdruck einer gleichlautenden Identität auszusehen habe.

Aber es gibt offenbar Leute, für die es einen größeren Widerspruch darstellt, wenn sich Teile der Selbstbeschreibung und der eigenen Erfahrungen mit den (vorgeblichen) Forderungen der politischen Identifizierung nicht decken. Egal, ob dieser „Makel“ bei ihnen oder bei anderen festzustellen ist.

Erklärt mir jemand, wie wir aus diesem Dilemma wieder rausfinden?


 

Für diejenigen, die sich für die Mindestanforderungen für Asexualtiät interessieren:

  1. Asexuelle Menschen empfinden keine sexuelle Anziehung und/oder kein Verlangen nach sexueller Interaktion.
  2. Asexuell ist, wer sich selbst so beschreibt.

Heißt: Fremddiagnosen sind nicht zulässig, auch wenn Punkt 1 objektiv auf eine Person zutrifft. Genauso darf eine Person sich als asexuell beschreiben, obwohl Punkt 1 nicht exakt zutrifft.

Der Kuchen stammt von Galadnilien.

Albenherz: Last, but not least …

Dead Soft hat’s leider gerade nicht so mit rechtzeitigen Ankündigungen und so was, daher wurde von mir unbemerkt vor zwei Tagen das E-Buch von „Albenherz“ veröffentlicht. Für den Print müssen wir uns noch eine Woche gedulden.

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Das große A hat die Variante für Kindle, der Verlag den Rest.

Worum geht’s?

Nach einem Schiffbruch im letzten Herbst erinnert sich Cassius weder an seinen richtigen Namen noch an seine Herkunft. Trotzdem schlägt er sich erfolgreich als Gladiator durch und genießt sein neues Leben. Doch dann entkommt er nur knapp einem Mordversuch durch eine Zauberin. Der ebenso geheimnisvolle wie attraktive Magier Marron beschützt ihn. Da Cassius sich in seinem früheren Leben Feinde gemacht hat, bietet ihm Marron ein Geschäft an: Er wird dafür sorgen, dass Cassius sein Gedächtnis wiedererlangt. Im Gegenzug soll dieser Marron helfen, dessen Mutter zu befreien, die als politische Geisel festgehalten wird — und an deren Entführung Cassius angeblich beteiligt war. Halb aus schlechtem Gewissen, halb aus Begehren stimmt er zu.

Albenherz ist der vorläufig letzte Band des Alben-Universums und kann — wie jeder Band ohne „2“ drauf — unabhängig vom Rest gelesen werden.

Leseprobe

Cassius lag im Sand, spürte die Klinge seines Gegners im Nacken und bereute, heute Morgen aufgestanden zu sein. Vom Rand des Übungsplatzes hallte der Applaus von etwa zwei Dutzend Leuten herüber.

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Draußensitzen

Es ist zwanzig vor zehn, als ich losgehe. Es dämmert schon, außerdem sorgt ein Wolkenschleier für trübes Licht. Es hat neunzehn Grad. An diesem Donnerstagabend begegnet mir nur ein Mann mit Boxerhund, der sich mit einem Typen in einem tiefergelegten Benz unterhält. Der Benz hält dazu mitten auf der Straße. Niemand sonst kann es seltsam finden, dass ich bei diesem Wetter eine knallpinke Softshelljacke unter dem Arm trage. Ich spaziere an menschenleeren Vorgärten vorbei.

Hinter dem Wohngebiet beginnt der Wald. Ich ziehe den üblichen Bogen für einen Spaziergang bis zu einer Bank, die direkt gegenüber einer hohen Eiche steht. Die Eiche ist geschätzte hundert Jahre alt und besitzt ein Kind, das sie fast umarmt. In unmittelbarer Nachbarschaft haben Stürme oder Forstwirtschaft die meisten hohen Bäume entfernt, sodass ich große Stücke des hellgrauen Himmels sehe. Dahinter und außenrum wuchern kürzere Buchen, Tannen, Fichten, eine Robinie und reichlich Brennnesseln.

Hier ist es so kühl, dass ich in die Jacke schlüpfe, bevor ich mich auf der Bank niederlasse.

Es ist laut. Von mindestens einer Richtung weht das Röhren der Autos auf der Autobahn her, die sich aus dem Enztal wieder in die Höhe kämpfen. Ein Großbetrieb im Gewerbegebiet auf dem Berg brummt unablässig. Zahlreiche Vögel unterhalten sich von Baumkrone zu Baumkrone. Ich tippe auf Amseln und Buchfinken, vielleicht auch die eine oder andere Nachtigall. Trotz der eleganten Tonfolgen klingt das alles bitterernst: „Hau endlich ab aus meinem Revier“ werfen sie sich wohl an den Kopf.

Die Fledermäuse, die das Eichenduo umschwirren, würde ich so oder so nicht hören. Sie flattern und flirren über meine zwei Stücken hellen Himmel. Eine Mücke sirrt zehn Zentimeter über meiner Nase durch die Luft.

Irgendwann verschwimmt alles zu Grautönen. Nach und nach verstummen die Vögel. Jetzt knackt es deutlich im Unterholz hinter mir, ich bilde mir ein, die Bäume beim Wachsen belauschen zu können. Etwas knirscht minutenlang bedrohlich wie eine Baumaschine, bevor ein Radfahrer mit Mountainbike und Stirnlampe über den hellen Kiesweg brettert.

Keine Ahnung, ob er mich wahrnimmt.

Einige Zeit später sehe ich die ersten Trolle – hellerleuchtete Fratzen weit hinter den Fledermauseichen. Ich schüttele den Kopf, die Fratzen verschwinden – es waren nur die Nadelbäume, die sich vor dem Rest hellen Himmels abgezeichnet haben.

Bevor mich noch mehr Sinne täuschen oder gar die Alben mich ärgern, stehe ich auf und spaziere heimwärts. Nach zehn Schritten umschwirrt mich das erste Glühwürmchen. Die schönen Irrlichter schweben dutzendweise auf den nächsten hundert Metern. Grün leuchtende Punkte tanzen über den Weg, über den Brennnesseln und verstecken sich halb hinter hüfthohen Buchen.

Ich verkneife mir, eins zu fangen.

GluehwuermchenImWald

Etwas Helles kommt aus dem toten Winkel, ich schrecke zurück, aber es ist nur ein Falter, der mich begucken wollte. Er begleitet mich zwei Meter weit, bevor er das Interesse verliert.

Mittlerweile hat sich meine Tiefenwahrnehmung verabschiedet, der dunkle Fleck vor mir könnte Rindenmulch auf dem Weg, eine Fallgrube oder ein Tor nach Riesenheim sein. Aber dann rettet mich ein Glühwürmchen, indem es drüber hinwegfliegt: Es ist wirklich nur Rindenmulch.

Zwanzig Meter später der erste Gartenzaun, das Wohngebiet hat mich wieder. Zauber und Elfenwesen müssen im Wald bleiben.

 


Das Bild habe ich nicht selbst gemacht, mein Handy hätte das nicht hergegeben, selbst, wenn ich es mitgehabt hätte.

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Lesung bei der ComicCon Stuttgart

Diverse Kleinverlage sind bei der Comic Con in Stuttgart vertreten, darunter auch die Edition Roter Drache.

Ich habe einen Leseslot bekommen, und zwar am Sonntag, den 1. Juli um 16 Uhr. Den Rest des Tages werde ich wohl immer wieder beim Roten Drachen am Stand rumhängen – falls wer mich treffen will, bitte melden.

Das Programm der Messe findet ihr hier, am Samstag kann ich die bezaubernden Kolleginnen Isa Theobald und Anja Bagus empfehlen.