Ein beinahe verschütt gegangener Text, während ich auf die letzte Runde PDF für das Sachbuch zur Druckfreigabe warte.
Ich habe eine Stoffmaske in Ace-Farben. Selbstgenäht aus T-Shirt- und Tennissockenstoff.

Im Sommer wurde ich von einer Person darauf angesprochen, die wahrscheinlich ebenfalls nicht ganz hetero ist, und erklärte ihr, was das für eine Flagge ist. Woraufhin sie meinte, dass sie sich all die neuen Flaggen kaum merken könnte.
Ich entblödete mich dann zu dem Kommentar, dass eine ja in Anbetracht mancher Kreationen (beispielsweise einer eigenen Ace/Aro-Flagge) sich manchmal fragt, warum wir noch eine Flagge brauchen.
Und ja, ich freue mich auch, dass es eine eigene Ace-Flagge gibt, insofern werde ich mich manchmal wundern (grade bei den ganzen Grau-A_sexualitäten), aber nie sagen, dass die Leute keine eigene Flagge haben sollten. Offenbar brauchen sie einen eigenen Begriff für ihre Empfindungen, und wer bin ich, ihnen ein paar bunte Streifen dazu zu verwehren?
Sich alle Flaggen zu merken, ist allerdings schwierig. Sehr schwierig, zumal sich manche sehr ähnlich sehen. Es lohnt sich daher nicht, mit Menschen beleidigt zu sein, die zufällig meine Untergruppe noch nicht kennen oder denen da was entfallen ist oder die farbenblind sind oder was auch immer.
Die Frage ist also nicht: Brauchen wir noch eine? Sondern: Was zum Henker wollen wir eigentlich mit diesen Flaggen?
Anmerkung: Was mit geschlechtlichen Minderheiten ist, kann ich nicht beurteilen, daher gelten die folgenden Ausführungen für Menschen aus sexuellen (und teilweise auch aus romantischen) Minderheiten. Dass nicht alle Menschen sexueller Minderheiten mit trans Personen solidarisch sind, ist eine traurige Tatsache. Andersherum kommt das wohl auch vor, aber wenn, dann seltener.
Außenwirkung
Um einen politischen oder werblichen Zweck zu unterstreichen, ist ein eindeutiges, wiedererkennbares Zeichen sinnvoll. Nicht umsonst gibt die Regierung Geld für Hashtags wie #WirBleibenZuhause aus. Auch einige meiner Schreib-Kolleginnen haben sich deshalb Logos entwerfen lassen.
Rewe wird sich also kaum eine Glasschiebetür mit mehr als 20 Flaggen zukleben. Genauso wenig wird eine Stadt oder ein Unternehmen, die einen CSD unterstützen, damit anfangen (können), mehr als 20 Flaggen zu hissen. So viele Masten sind ja üblicherweise auch nicht vorhanden.
Außerdem stellt sich bei einem solchen Meer von Bunt die Frage, was dann bei denen ankommt, die das sehen sollen. Zumal manche Communities sich weniger einig sind als meine.
Die Regenbogenflagge ist bekannt genug, dass sie bei uns im Juni 2020 vom Bahnhofsvorplatz gestohlen und gegen eine Russland-Flagge ersetzt wurde. Was wäre noch erkennbar (im Guten wie im Schlechten), wenn da tatsächlich ein Quilt hinge, wie die Akronymverwurstelung QUILTBAGPIPE* vorschlägt?
Und ganz ehrlich, die Regenbogenflage-Ersetzenden werden wohl so lange mit mir ein Problem haben und mich für russlandfeindlich halten, wie ich die Ehe für alle unterstütze, egal was meine sexuelle Orientierung ist.
In diesem Rahmen ist die Regenbogenflagge offenbar sowohl aussagekräftig als auch ein Hingucker. Es gibt üblicherweise keinen Grund, sich von dieser Flagge als Außensignal politisch nicht angesprochen zu fühlen, nur weil die Asex-Flagge, die Bi-Flagge oder sonst eine Flagge für sexuelle Minderheiten nicht mit dabeihängt.
Im Guten wie im Schlechten, wie gesagt. Menschen, die als nicht-heterosexuell auffallen, bekommen alles mögliche von Beschimpfungen bis hin zu körperlichen Angriffen ab. Welcher Art die Minderheit genau ist, interessiert jene wenig, die hassen.
Innenwirkung
Was bei der Deutschen Bahn ein schickes Zeichen ist, wäre auf einer Veranstaltung, die von der Buchstabensuppen-Community für die Community ausgerichtet wird, ein grober Fehler. Hier wird das Fehlen von Buchstaben, Begriffen (und manchmal auch Flaggen) oft als Hinweis verstanden, dass eine bestimmte Buchstabengruppe nicht willkommen ist. (Kluges zu den Akronymen vom fink.)
Ausschlüsse sind gelegentlich gewollt, manchmal aber keine Absicht. Eine inklusive Sprache innerhalb der Communities ist von Vorteil, zumal manche Pressevertretenden immer noch „schrille Paraden“ für „Schwule (und Lesben)“ bemühen, wenn sie von einem CSD schreiben. Tatsächlich sind das teilweise sehr bunte (und laute) Demonstrationen für die Rechte sexueller und geschlechtlicher (und manchmal auch romantischer) Minderheiten. Aber das ist halt kompliziert, nicht?
Die größte Wirkung entfalten die Flaggenfarben jedoch innerhalb der Community, die sich diese Flagge gewählt hat: Um eventuell ähnlich tickenden Menschen zu signalisieren, dass sie nicht allein sind. Das klingt nicht nach viel, aber es kann viel wert sein.
Wenn ich mit meinen Ace-Farben rumlaufe, kann ich sicher sein: Uneingeweihte haben keine Ahnung, dass ich überhaupt Farben einer Flagge trage. Ein paar Nicht-Aces werden wissen, was es heißt, und ansonsten grinsen sich die asexuellen Mitmenschen eben gegenseitig wissend an. Und fallen sich bei Demos wie dem CSD durchaus mal um den Hals, ohne sich zu kennen.**
Einfach, weil sie sich freuen, dass da noch jemand ist.
* QUILTBAGPIPE: Queer/questioning, undecided, inter*, lesbian, trans, bisexual, asexual, gay, pan, inter*, poly, everyone else who wants under the umbrella. – Queer/fragend, unentschlossen, inter*, lesbisch, trans, bisexuell, asexuell, schwul, pan, inter*, poly und alle anderen, die mit unter den Schirm wollen.
** Also, wenn grade keine AHA-Regeln angebracht sind.
(Sinn und Unsinn von Masken aller Art steht hier nicht zur Debatte, ich behalte mir vor, diesbezügliche Kommentare nicht freizuschalten.)