Gender kon-formen

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In der letzten Zeit habe ich einige Arbeiten aus den Sozialwissenschaften gelesen. Diese erwähnen immer wieder, dass Kinder, die nicht zu den sozialen Normen des ihnen zugewiesenen Geschlechts passen, von ihrem gesamten Umfeld Druck bekommen, sich anzupassen: „Da ist die Schublade, zwäng dich rein oder ertrage die Konsequenzen.“

Entweder sie können/tun es, verbiegen sich und werden wahrscheinlich unglücklich, oder sie können/tun es nicht, bekommen mehr Druck und werden wahrscheinlich unglücklich.

Heiter scheitern tun wohl die wenigsten, auch wenn es sich in manchen Fällen wohl lohnen würde. (Wenn man nicht dafür umgebracht wird oder ins Gefängnis muss oder enterbt wird oder …)

Und wie das so ist, wenn eins über solche Informationen stolpert: Ich frage mich, inwieweit ich ermutigt wurde, mein Geschlecht/Gender zu performen, und ob ich jemals getadelt wurde, weil ich es nicht tat.

Verkompliziert wird es durch folgende Dinge: Ich bin introvertiert und bin dank einer Mischung aus Erziehung und Genen eher pflichtbewusst. Konflikte zu vermeiden oder sie passiv-aggressiv auszutragen ist meine Art des Energiesparens. Ich werde eher selten laut, ich schalte dafür auf Durchzug.

Obwohl meine Frau Mama eine ist, die sich viel darum Gedanken macht, was die Nachbarn sagen könnten und ob unerwarteter Besuch die Bude unordentlich findet, hat sie mir trotzdem nicht das Gefühl vermittelt, dass ich mit Puppen spielen muss oder dass ich die Puppenküche öfter benutzen sollte als den Kaufladen. Über meine ausgeprägte, mädchenklischeehafte Pferde-Faszination verdrehte sie die Augen. Sie drängte mich auch nur in einer Handvoll Fälle, mich mädchenhaft zu kleiden, wenn ich nicht wollte. Als Resultat verbrachte ich mein elftes bis vierzehntes Lebensjahr vor allem in unförmigen Pullis und T-Shirts. (Ich mein, Mädchensein in dieser Gesellschaft ist oft kacke, und noch beschissener, wenn das Gehirn bei der Information, dass der Körper dazu begehrenswert ist, nur „iiiihp, Error, 404“ macht.)

Klamottentechnisch habe ich seitdem einiges ausprobiert, und wenn es neben „Jeans und T-Shirt mit oder ohne Kapuzenjacke“ einen DeWinter-Style gibt, dann ist er entweder übertrieben feminin („femme„) oder ein mehr oder wenig gezielter Mix aus maskulin und feminin kodierter Kleidung. Außerdem kann es sein, dass ich zu einem Essen oder Kulturtermin aus rein wetterbedingter Verzweifung mit Anzug und Krawatte auftauche. Ich bin eitel, aber nicht auf eine Art, die Komplimente fürs Hübschsein einfahren will. Das irritiert manche Leute. Denen merkt man an, dass sie nicht wissen, was sie dazu sagen sollen, und statt dass sie gar nichts sagen, äußern sie lieber einen gestelzten Kommentar.

Jedenfalls habe ich als Kind hauptsächlich Kritik geerntet, weil ich „zu leise“/zurückgezogen oder „zu dick“ war. (Beide Statements habe ich mir zu sehr zu Herzen genommen.)

Mittlerweile bin ich eindeutig immer noch introvertiert und zur Not passiv-aggressiv, aber nicht mehr schüchtern.

Außerdem erntete ich (und ernte immer noch) Reaktionen, wenn meine Neigung zum Sarkasmus und trockenem Humor oder mein Bedürfnis nach Abstand oder meine Meinungsstärke oder mein Hang zum Besserwissen das Liebsein schlägt.

Ja, ich trete manchmal einen Schritt zurück, wenn andere Leute mir ihren Mundgeruch ins Gesicht hauchen. Auch wenn es sich dabei um Kundschaft oder um Autoritätspersonen handelt.

Meine Mimik entgleist manchmal, wenn jemand etwas sagt, das ich sehr seltsam finde oder über menschliches Verhalten stolpere, das mich wundert. (Sollte es nicht, ich weiß, weil: Menschen. Viele davon essen Spaghetti mit Ketchup und gehen automatisch davon aus, dass ich mein Bett mit einem Typen teilen möchte und so.)

Wenn eine andere angestellte Person Kritik an den Cheffitäten übt, sollte ich wohl eher beschwichtigen, als nur trocken „Ja“ zu sagen. Gelegentlich überrasche ich mich selbst und bin sogar halbwegs schlagfertig.

Ich bin in der Lage, Kritik sachlich zu äußern. Angelegentlich tue ich es auch. Manche Menschen irritiert es, wenn ich ihre Meinungen nicht unwidersprochen stehenlasse.

Wenn ich mich recht entsinne, meinte eine Bekannte, dass das ein gelegentlich etwas ruppiger Auftritt ist.

Seh ich so brav aus, dass sie andere das auf den ersten Blick nicht von mir vermuten? Oder nicht vermuten, dass ich das mehr als einmal tue und es mehr als einmal kommentieren? Anscheinend.

Und manchmal frage ich mich, ob die auf mich auch so verständnislos reagieren würden, wenn ich ein Mann wäre.

 

 

 

Ein Gedanke zu „Gender kon-formen

  1. Guten Tag, Klaas,
    Erstens, Diminutive von „Schwul“ will ich hier nicht mehr lesen. Wenn ich es lese, disqualifiziert sich der Kommentar wegen latenter bis offener Menschenverachtung für die Freischaltung. Das muss ich dem Rest des Publikums nicht vorsetzen, deswegen moderiere ich Kommentare.
    Zweitens: „Passiv-aggressiv“ ist das, was ich grade nicht bin.
    Dritens, schüchtern (ängstlich/vorsichtig) ist nicht gleich introvertiert (schöpft Kraft aus dem Alleinsein).
    Viertens, die Ansammlung von Stereotypen war Absicht. Denn erstaunlicherweise existieren die noch und es wird kommentiert, wenn man sie bricht. Sonst würden sich mir bekannte Mütter keine Sorgen machen, dass der Junge von einem Marienkäferkuchen oder zu viel Rosa in der Babydecke verweichlicht.
    Ich behalte mir vor, weiter Kommentare auch ungelesen in den Papierkorb zu verschieben.

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