Pride Month also. Ist halb durch. Hier in Deutschland wird das ja nicht so publiziert wie in den USA. Der Stonewall-Aufstand war im Juni, also ist dort der gesamte Monat Anlass, sich mit den Rechten der diversen Buchstaben-Menschen auseinanderzusetzen.
Als einige europäische Länder gerade eben so zögerlich darüber nachdachten, dass man ja Männer, die Männer lieben, nicht unbedingt einsperren muss, gab es in New York City sowohl eine sehr hohe Dichte an queerem Volk als auch eine repressive Gesetzgebung. Bei einer Razzia im Stonewall Inn hatten ein paar Menschen endgültig genug, von der Polizei gegängelt zu werden, es folgten einige Tage Unruhen.
Überrascht es, dass da weniger die Polohemd tragenden netten weißen Kerls von nebenan auf die Barrikaden gingen, sondern trans Frauen und Menschen in Drag? Ein Haufen junge Leute zudem, die kaum Geld hatten und oft keine feste Adresse?
Aber ohne feste Adresse ist es schwierig, sich zu organisieren, und die Organisationen, die es gab und die die Aufstände in politisches Kapital verwandelten, waren nicht besonders gut darin, Personen of Color, von den Eltern rausgeworfene Jugendliche und Leute einzubinden, die das Bild des braven schwulen Nachbarn mit ihrer Feminität und ihren Fummeln störten.
(Nachzulesen unter anderem in „Stonewall“ von David Carter.)
Jetzt ist wieder Pride Month, und in den USA hat sich ein neuerlicher Aufstand etwas beruhigt, aber der Aufstand fand aus anderen Gründen statt. Oder aus ähnlichen? Ist ja nicht so, als hätten nicht wenige weiße Buchstabenmenschen egal welcher Nationalität ein Problem mit Rassismus.
(Wir müssen uns daran erinnern, dass der Vorwurf von Homosexualität bereits erfolgreich von Faschisten verwendet wurde, um die Morde an anderen Faschisten zu rechtfertigen. Übrigens hat das restriktive Waffengesetz der Bundesrepublik seine Wurzeln wohl mit im Naziregime — sollten also tatsächlich in den USA Faschisten an die Macht kommen, täte sich die NRA wohl wundern, wer auf einmal alles überprüft wird, bevor sie eine Waffe rumtragen dürfen.)
Das ist der Witz an solchen Verwerfungen: Es gibt sehr viele. Und während manche Menschen es einfach halten und alles verachten, was nicht weiß, mindestens Kleinbürgertum, cis-männlich, gesund, able-bodied und heterosexuell ist, haben wir alle unsere Vorurteile aufgesaugt. Frausein schützt unter keinen Umständen vor Frauenverachtung, Rassismus, Hass auf queere Menschen, Klassismus oder Behindertenfeindlichkeit.
Homo- wie Heterosexuelle üben sich in Bifeindlichkeit. Und so weiter. Und so weiter.
Die a_sexuelle Community leidet übrigens unter einem eklatanten Mangel an gut sichtbaren Menschen, die nicht weiß sind.
(Aber das weiterzuverfolgen, ist hier nicht zielführend, zumal ich noch keine Ideen diesbezüglich habe.)
Zwar bringt es die Menschheit in ihrer derzeitigen Situation nicht weiter, immer „Wir“ und „Die“ gegeneinanderzusetzen (kein Planet B und so). Aber über Jahrhunderte eingeübte Verhaltensweisen und liebgewonnene Glaubenssätze legen sich nicht so schnell ab, wie es nötig wäre.
Und wenn schon der bewohnbare Teil des Planeten langsam in den schmelzenden Eismassen von den Polen versinkt, ist es wohl tröstlich, sich an Etiketten zu klammern. In der Hoffnung, dass die schwimmen?