Vom Gaybook-Flamewar
Vor einigen Wochen wurde mir durch eine Diskussion über Gay Romance auf Facebook in Erinnerung gerufen, dass ich zwischen den Stühlen sitze. An der Diskussion selbst, die von einem anderen Ort in die von mit frequentierte Gruppe geschwappt war, habe ich mich selbst nicht beteiligt – das Thema ist zu komplex für die kurzen Texte, die beim Fratzenbuch als Antworten noch lesbar sind (und gelesen werden?).
Die Argumente hingegen haben mich absolut nicht überrascht, aber am Ende hat es eine Weile gebraucht, aus meinen Gedanken dazu einen Text zu machen, der auch les- und nachvollziehbar ist. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen oder mich unbeliebt zu machen …
Grob verhandelte die Diskussion, die mich nachdenklich machte, ob frau* Gay-Literatur schreiben darf oder nicht. Die Frage, so gestellt, ist natürlich Blödsinn, genauso wie die Frage, ob allosexuelle (1) Menschen über Asexuelle schreiben dürfen.
Zur weiteren Referenzierung hier zwei Links, einmal Fiammetta auf Deutsch über die Bedeutung queerer Literatur für queeres Volk und einmal Anagnori auf Englisch über Asexualität in der Fiktion.
Logischerweise geht es hier auch nicht um Recht und Gesetz, sondern um moralische Gesichtspunkte.
Grundsätzlich ist es jedoch kritisch, über Frauen*, Schwule, Allo- oder Asexuelle als homogene Gruppen zu sprechen.
Es kann niemals darum gehen, ob Frauen* über Schwule schreiben dürfen.
Aber die Frage stellt sich nach dem Umgangston, den Motiven, und der, meiner unbescheidenen Meinung nach, bestehenden Verantwortung von Schriftsteller*innen, keinen gesundheitsschädlichen Bockmist zu verzapfen.
Letzteres sollte selbsterklärend sein. Wer jetzt Schwierigkeiten hat, möge sich bitte über STIs und die Verträglichkeit von Kondomen mit Paraffinölen etc. informieren.
Aber warum schreiben Frauen* über Schwule?
Als asexuelle Person sitze ich gelegentlich auf der falschen Seite von fragwürdigen Gründen, Geschichten zu schreiben. Diverse Personen vor allem im englischsprachigen Netz betrachten Asexualität nämlich als eine verschärfte Form von Jungfräulichkeit, oder des „kink:virginity“, und schreiben dann Fanfiction darüber, wie beispielsweise Sherlock endlich „auftaut“ und auf einmal Spaß an Sex hat.
Damit dient eine einzelne Eigenschaft einer Figur dazu, Porno zu schreiben. Und dann auch noch respektlosen Porno, der beweist, dass di*erjenige Autor*in von der fetischierten Eigenschaft keine Ahnung hat. Oder, schlimmer, eine Ahnung hat, aber es di*em Schreiberling scheißegal ist, was si*er da tut.
In diesem Fall vermittelt di*er Schreibende den Eindruck, dass Asexuelle „geheilt“ werden können, und zwar durch die magischen Kräfte der Geschlechtsteile di*er Partner*in.
Das ist grober Blödsinn. Entweder, eins stößt im realen Leben auf eine der eher raren Personen, die asexuell sind, aber Sex nicht abgeneigt. Oder die Person ist indifferent bis abgeneigt, was sehr viel häufiger ist, und dann geht halt nix im Bett.
Sollte sich ein solches Paar finden, wäre die „Vorbildung“ eines*r allosexuellen Partner*in per Ace-Porno extrem gefährlich, weil sie im Extremfall zu einer Korrektiv-Vergewaltigung führen könnte, ohne dass di*er allosexuelle Partner*in sich dessen bewusst ist.
Aber, sagt eins nun, das sind ja nur eine Handvoll Texte.
Klar. Aber:
Es ist alles eine Frage des Verhältnisses
Wir müssen uns bewusst sein, dass wir bei Fiktion über Asexuelle a) wir über ein geschätztes Prozent der Bevölkerung reden, und b) nicht in einem Prozent aller Geschichten explizit asexuelle Personen vorkommen, sondern in sehr viel weniger.
Archive of Our Own listet im Dezember 2014 knappe 2400 Fan-Werke mit dem ensprechenden Tag – von mehr als 1,3 Millionen. 1% wären 13’000 plus, für mathematisch anspruchslose Personen. Das Verhältnis in derzeitiger Original-Fiktion, also den Texten, die über Buchhändler zu bekommen sind, ist meines Wissens noch schlechter. Auf BooRix gibt es eine Geschichte mit dem Tag „Asexualität.“
Heißt: Jeder schlechte Text über Asexuelle verschiebt das Verhältnis in größeren Ausmaßen, als, sagen wir mal, ein Text, in dem alle blonden Menschen böse sind, gegenüber allen Texten, in denen blonde Menschen vorkommen.
Dito fällt das Verhältnis von Literatur, in der Schwule eine Hauptrolle haben, zu der, in der sie bestenfalls eine Nebenrolle spielen, eklatant zugunsten der Heten aus.
Und nun schreibt ein Haufen Heten, oder zumindest Personen, die ich wegen ihrer Äußerungen über ihr Privatleben und Männernacktfotos dafür halten muss, Texte über Schwule.
Hier schreibt eine Mehrheit über eine marginalisierte Gruppe.
Dies mit Gusto, und, sagen wir mal, mit einigen eindeutigen Schwerpunkten, die ein selektives Bild der marginalisierten Gruppe vermitteln. Kein falsches Bild, aber ein selektives.
Grundsätzlich gibt es sehr wenige Texte, in denen irgendwer zufällig Bi oder Schwul oder Asexuell ist, und als Held*in Arsch tritt, sondern entweder kommen queere Figuren gar nicht vor, oder die queere Identität trägt überwiegend zum Plot bei. Schwule Kerls haben entweder Liebesgeschichten, Probleme oder sie existieren als Randfiguren/bester schwuler Freund/Mensch mit gebrochenem Handgelenk. (2)
Schon die Wahl, welche Geschichten erzählt werden, definiert die Gruppe, über die erzählt wird.
Queeres Volk hat hier eine, vorsichtig ausgedrückt, echt miese Auswahl. Liebesgeschichte, Problemgeschichte oder … öhm. (3)
(Andere Gruppen haben das Problem auch, ich weiß. Irgendwer schonmal die Avengers angeschaut und festgestellt: 1 weiße Frau, 5 weiße Kerls. Mein derzeitiges Lieblingsfandom ist zum Verzweifeln, wie so viele andere auch.)
Wenn dann einer denkt, „Sch…, nicht schon wieder Romance von einer Frau“, kann ich das verstehen. Denn ein Haufen Frauen* sieht nunmehr Schwule, oder was sie dafür halten, durch die Brille anderer Frauen, und nicht mehr durch eine schwule Brille.
Damit wird im schlechtesten Fall einer marginalisierten Gruppe die Deutungshoheit über die eigene Identität genommen. Oder: Die Gruppe mit der größeren Öffentlichkeit nimmt der Gruppe mit der kleineren Öffentlichkeit die Macht zur Selbstdefinition.
Das heißt jetzt nicht, dass alle sofort aufhören sollen, Gay Romance zu schreiben. Ich für meinen Teil hab vorerst genug, auch wenn ich auf Figuren aus dem queeren Bereich kaum verzichten werde. Insofern:
Das hier ist ein Plädoyer, andere Geschichten zu erzählen.
Ein Plädoyer, nicht bis Band 7 einer Reihe zu warten, um eine der wichtigen Nebenfiguren sich als verkehrtrum outen zu lassen. Dumbledore als explizit in Grindelwald verliebt zu schreiben, statt sich in vagsten Andeutungen zu ergehen. Die Tony Starks dieser Welt mit allen flirten zu lassen, die als genormt attraktiv durchgehen, statt nur mit genormt schönen Frauen.
Und so weiter.
Eigentlich, eigentlich ist das gar nicht so schwierig …
—
(1) allosexuell – Ich habe aufgegeben, und verwende nunmehr „allosexuell“ für Menschen, die sich außerhalb des asexuellen Spektrums verorten.
(2) Ja, ich weiß. Ich kann auch anders, Baby.
(3) Mit der Lupe zu suchen, aber ein paar hab ich glücklicherweise. Dazu mehr in einem späteren Post.
Ich finde die Diskussion nicht uninteressant – gefühlt 99% der Fanfictions im Genre „Slash“ stammen von jungen Mädchen und sind eher unfreiwillig komisch, ich habe schon die schrägsten „Harry x Voldemort“ und „Harry x alle die bei drei nicht auf dem Baum sind“-Geschichten gelesen, bei denen ich mir, selbst ohne ausführlich recherchiert zu haben, ziemlich sicher bin:
– Vieles davon geht rein anatomisch gar nicht
– Noch mehr davon ist entweder verboten oder schlicht lebensgefährlich zu praktizieren
Das ist übrigens ein Problem, das es auch in anderen Bereichen gibt – irgendwo habe ich mal gelesen, dass z.B. das, was in den 50 Grauschattierungen beschrieben wird, so nachzumachen teilweise ebenfalls gesundheitlich nicht unbedenklich wäre…
In meinen Geschichten habe ich einen Teil der Bandbreite und versuche vor allem, daraus keine große Sache zu machen. Frei nach dem Motto „Es gibt sie in meinen Geschichten genauso selbstredend, wie es sie im echten Leben gibt. Jeder soll lieben oder nicht lieben, wie es beliebt, solange dabei niemandem geschadet wird“. Ich hoffe, das ist verständlich und nicht zu blöd ausgedrückt :).
Oh, Fanfiction. Wobei ich da relatives Glück hatte bisher – ich lese keine Pornos (da langweilig), und schlechten Stil bzw. miese Erzählkust sortiere ich in der Regel nach spätestens 500 Wörtern aus. Üblicherweise erwischt es dabei die schlechte Recherche gleich mit.
Die Grauschattierungen hab ich mir nicht gegeben – schlechter Stil und zu viel Sex. Wie es scheint, hab ich dadurch die Verherrlichung einer potentiell abusiven Partnerschaft gleich mit verpasst. (Ehrlich, wenn wer euch verbietet, Freund*innen zu treffen, ist das ein Alarmsignal hoch zehn. Di*er will euch isolieren und abhängig machen.)
Ansonsten: Yay für deine Bandbreite!
Ich gebe zu, einige der Geschichten übten gerade wegen des unfassbar schlechten Stils eine… morbide Faszination aus – sprich: waren so unfassbar schlecht, dass es fast schon wieder gut war. Inzwischen ist mir meine Zeit aber doch zu kostbar.
Mich würde vor allem interessieren, warum Frauen gay romance lesen. Schreiben kann ja jeder und jede was ihr grad so einfällt. Man kann schließlich nicht immer nur Protagonist*innen in seinen Geschichten vorkommen lassen, die genau die eigene Lebenswelt und -erfahrung wiederspiegeln. Und manche Geschichten wollen einfach geschrieben werden, da ist die Autorin nur Mittel zum Zweck. Aber warum interessieren sich Frauen so sehr für schwule Romane, bzw. sind es andere schwule Romane, die Frauen interessieren, als jene, die von schwulen Männern gelesen werden?
Hm. Ich nehme an, die Antwort hat mehrere Lagen. Erstens, Kerls, die zu ihren Gefühlen stehen und weniger Macho-Posing als von Hetero-Typen IRL. Zweitens, der gleiche Grund, aus dem Männer Pseudo-Lesben-Pornos schauen. Drittens, die gleiche Sorte Eskapismus, die auch zum Lesen von Hetero-Liebesromanen befähigt. Viertens, die gleiche Distanz, die auch vegetarische Vampire so attraktiv macht.
Zu Viertens: Ich find’s manchmal ganz praktisch, da ich als ace/aro-Frau per se nicht beteiligt bin und ich seufzen kann, ohne das alles an mich zu sehr ranlassen zu müssen.
Fünftens, auf der verzweifelten Suche nach Abwechslung bei Liebesgeschichten, um nicht immer die gleiche Konstellation von mundfaulem Alpha-Männchen und scheinbar tougher Heldin lesen zu müssen. Hatte im letzten Jahr einen Overkill und Gay Romances (von männlichen und weiblichen Autoren) gelesen, um über normale Männer aller Schattierungen zu lesen und nicht ewig den gleichen Typ Mann.
Okay … das läuft bei mir mit unter Erstens, aber auch ein Aspekt.
Sandra Gernt meinte andernorts noch, dass das Texte sind ohne starke Frauenfiguren, sodass die Leserin sich einen ganzen Roman lang nicht unzulänglich fühlen muss. Ich kann das nicht nachvollziehen, es scheint aber für andere wohl ein Argument.
Eine Freundin von mir hat früher gern Mangas gelesen, in denen schwule Pärchen im Mittelpunkt standen, und meinte, das Schöne daran sei, dass es da gleich zwei süße Typen zum Anschwärmen gibt.
Das ist wohl die Softversion von Grund zwei? Also der einzige Grund, aus dem ich nix rausholen kann.
Mich wundert es kaum noch, dass so viele Mädchen über Schwule schreiben (wer eben keinen Kerl abkriegt, der muss halt über Schwule schreiben). Viel erschreckender finde ich die Tatsache, dass es kaum noch Männer gibt, die Bücher von echten Schwulen lesen. Wenn ich sehe, wie viele Mädchen über Schwule schreiben (manchmal reicht eine Leseprobe um bei mir den Kotzreiz auszulösen) und wie die Mädchen jeden Autor nieder machen (fast alle auf Amazon sind Mädchen), dann kann ich nur den Kopf schütteln. Nur sehr, sehr sehr wenige Mädchen können gut und logisch schreiben, diese findet man aber kaum in den Top 100. Immer wenn ich ein Buch von einem Mann sehe, bin ich mehr als nur froh! Sollen die Mädchen ihre Fantasien meinetwegen aufschreiben, aber sollte man sich nichts drauf einbilden, auch wenn da ein paar Hundert oder gar Tausend Bücher verkauft werden. Egal wie sehr sich ein Mädchen auch anstrengen mag, sie wird niemals das vermitteln können, was ein echter Kerl kann. Ich wäre ja für eine Trennung. Also Frauen ihre Top 100 und Männer ihre Top 100. So können die Mädchen sich an ihren Worten aufgeilen und die Männer können endlich wieder ungestört Bücher lesen.
Hmm. Okay, Leseproben lösen bei mir gelegentlich aus zumeist anderen Gründen den Kotzreiz aus, daher ist es gut, dass es die gibt. Und jetzt mal ganz vorsichtig, „nur sehr wenige Mädchen können gut und logisch schreiben“ finde ich eine nicht so nette Verallgemeinerung. Dass du die Sorte Geschichten nicht magst, die Frauen* über Kerls schreiben, ist okay, das hat aber erstmal nix mit Logik oder der Qualität der Schreibe an sich zu tun. Auch Männer* wissen manchmal nicht, was sie tun, aber das meistens in anderen Genres. Und auch totaler Stuss kann einen guten Stil aufweisen.
Ich möchte als angehende Szenekennerin im Übrigen darauf hinweisen, dass manchmal Frauen* sich ein männliches Pseudonym für das Genre zulegen, und dass ein erstaunlich großer der Teil der erwachsenen Leserinnen sich in festen Beziehungen mit Männern zu befinden scheint, oder zumindest Ex-Männer und Nachwuchs hat.
Pingback: Weltengeflüster Dezember 2014 | Weltenschmiede
Ein interessantes Thema. Die Frage wer was schreiben _darf_ halte ich fast schon wieder für überflüssig, denn dürfen darf im Grunde ja erst einmal jeder.
Mich treibt nur immer wieder die Frage um, was Frauen an schwulen Geschichten so übertrieben toll finden. Ich habe nichts gegen Schwule, oder dagegen queer zu lesen, ich verstehe nur den Hype nicht, wieso alle möglichen Frauen so wirklich dermaßen auf sie abgehen. Wenn die Geschichte richtig richtig gut gemacht ist, ist es mir ziemlich piepe ob sie ihn liebt, sie sie, er sie oder er ihn.
Ich selbst würde mich übrigens nie an eine schwule Geschichte und schon gar nicht schwulen Sex rantrauen. Denn das ist etwas, wovon ich nun (allein schon aus anatomischen Gründen^^) keine Ahnung habe. Ich wüsste schlichtweg nicht was ich schreiben sollte.
Ein sehr interessanter Artikel!
(gefunden über das Weltengeflüster btw.^^)
Lg, Ally
Irgendwo in den anderen Antworten wurden Gründe zerlegt, wobei meine Gründe sicher andere sind als diejenigen derer, die zum „Gaybook Hottie Award“ (oder wie das nochmal hieß) eine Meinung haben. Queere Grüße zurück.