Privileg/Dankbarkeit/Feiertage

 

Osterrieder-Krippe Herxheim

Blondes Jesulein aus der Osterrieder-Krippe Herxheim. Manche finden das selbstverständlich, andere haben vielleicht schon gemerkt, dass Jesus wahrscheinlich so aussah wie der syrische Geflüchtete, um den eins in der Fußgängerzone einen Bogen macht.

 

Über zwei Ecken ist der Focus Nummer 48 auf mich gekommen. Darin ist ein Kommentar von Jan Fleischhauer, der zwei Wochen später auch online erschienen ist. Der Text heißt: „Die Minderheit als Leitkultur“ und nimmt die vermehrten Lautäußerungen von Minderheiten in der Öffentlichkeit aufs Korn.

„Über Jahrhunderte strebten die Menschen danach, als normal zu gelten“, schreibt er. (Woher wissen wir das? Auf uns gekommen sind doch vor allem Berichte von Menschen, die eben nicht Durchschnitt waren.)

„Kaum etwas gilt mittlerweile als so stigmatisierend wie die Zugehörigkeit zur Mehrheit.“ (Aha. Also, ich bin weiß, trage in der Öffentlichkeit saubere, nicht ethnisch konnotierte Kleidung und wurde noch nicht spontan nach Drogen oder am Zoll gefilzt.  Die Verkäufer*innen in Geschäften sind meistens höflich zu mir und nehmen nicht an, dass sie einfache Worte verwenden müssen.)

„Wer Durchschnitt ist, also weiß, etwas älter und ohne Vorfahren, die aus fremden Ländern nach Deutschland gekommen sind, sitzt schnell auf der Anklagebank. Es heißt dann, man sei ‚privilegiert‘. Als ‚privilegiert‘ gilt im Prinzip jeder, der nicht mindestens ein Minderheitsmerkmal geltend machen kann.“

Ja, auch ich spreche manchmal von „alten weißen Männern“. Es gibt darunter ein paar, die ich echt nett finde. Auch wenn sie manchmal rassistische Begriffe benutzen, weil sie das Anno Tuck halt so gelernt haben.

Ich habe mir ja selbst in einem Prozess mühevoller und freiwillig geleisteter Arbeit Wörter wie „Indianer“ aberzogen und bin bei dem Prozess gewiss noch nicht am Ende angelangt.

Also, ja, alte weiße Männer sitzen manchmal auf der Anklagebank. Vor allem, wenn (junge) Frauen und anderweitige nicht männliche Personen, manchmal mit migrantischem Hintergrund, über sie sprechen.

Warum? Weil selbige Personen oft alten weißen Männern zuhören müssen/mussten, selbige aber oft nicht einsehen, warum sie es umgekehrt tun sollten. Oder halt, wie Jan Fleischhauer, es befremdlich finden, wenn solche Menschen anfangen, sich so bemerkbar zu machen, dass man sie nicht überhören kann.

Aufmerksamkeit ist ein begrenztes Gut, schon immer, und in Zeiten von Social Media noch mehr. Wenn mehr Menschen aus Minderheiten in der Öffentlichkeit sprechen/schreiben, hören/lesen weniger Menschen Kommentare wie Jan Fleischhauers. Einfaches Rechenexempel.

Und wenn man gewohnt ist, dass andere einem immer zuhören. Tja … dann könnte sich eine gewisse Angst einstellen, irgendwann nicht mehr so wichtig zu sein bei der Meinungsbildung.

Aber egal. Der Witz ist ja, dass „Privileg“ an sich nichts Schlimmes ist. Sofern man weiß, wie der Begriff verwendet wird, wenn die Emotionen grade nicht hochkochen.

Ich habe den Text hier in meiner selbst gemieteten Wohnung geschrieben. In der Tiefgarage steht ein Auto, das zu kaufen mich nicht in Schulden gestürzt hat, und wenn ich morgen meinen Computer und den Kühlschrank ersetzen muss, kann ich trotzdem nächstes Jahr in Urlaub.

Ich bin nicht reich genug, um eine Villa zu kaufen oder mir einen neuen Porsche in die Garage zu stellen, aber arm ist was anderes.

Mit meinen Sprachkenntnissen komme ich in dem Land, in dem ich wohne, sehr gut durch. Ich kann mich die meiste Zeit kleiden, wie ich will, denn ich mache für den Brotberuf eine sinnvolle Ausnahme. Ich muss keinen Mann fragen, ob ich eigenes Geld verdienen gehen darf, ich darf in der Öffentlichkeit Auto fahren und mich mit fremden Männern allein in einem Raum aufhalten, ohne dass die Ehre meiner Familie auf dem Spiel steht.

Ich könnte morgen sterben und zufrieden mit dem sein, was ich bislang geleistet habe.

Das ist ein Haufen Zeugs, der nicht selbstverständlich ist.

Und, um den Schreibkollegen Alpha O’Droma zu paraphrasieren: Für manche Leute ist nicht mal eine Matratze in einem Gruppenschlafraum selbstverständlich.

Was ich nicht kann: Mich in der Öffentlichkeit über A_sexualität äußern oder mich als ace outen, ohne dass ein Kommentar unter dem Online-Magazin-Text mich einer psychischen Störung verdächtigt. Ich muss Geschichten, die Menschen meiner sexuellen und romantischen Orientierung abbilden, mit der Lupe suchen. (Lassen wir das.)

Worauf will ich raus?

„Privileg“ als Begriff will, dass ein Mensch das hinterfragt, was selbstverständlich erscheint.

Beispielsweise … Trans Personen in leitenden Positionen sind die Ausnahme, die meisten krauchen am unteren Ende der Einkommensleiter rum. Das kann kaum daran liegen, dass alle trans Menschen doof sind, sondern könnte auch damit zu tun haben, dass Cheffitäten sich scheuen, Leute, die ungewohnt aussehen, in Berufe mit hohem Prestige einzustellen.

Manchmal hat das System halt doch seine Haken, auch wenn Jan Fleischhauer das nicht wahrhaben will. („Das ist für mich Teil der Emanzipation: Wer sich als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft empfindet, wird den Grund für Rückschläge in (…) sehen, aber jedenfalls nicht in der Vorurteilsstruktur des Systems, das ihn nicht hochkommen ließ.“)

Man muss nämlich erst so weit kommen, dass „die Gesellschaft“ alle darin lebenden Personen als ihren selbstverständlichen Teil anerkennt. Die Gesellschaft ist mit ca. 80 Millionen Menschen leider sehr zahlreich, mit mindestens ebenso vielen Meinungen, und nicht grundsätzlich über Denkfehler wie den Ingroup-Outgroup-Bias aufgeklärt.

Das heißt nicht, dass eins sich schuldig fühlen muss dafür, wohlhabende Eltern zu haben und/oder nicht in einem Bürgerkriegsland zu leben etc. Es geht nicht darum, irgendwem „mit Privilegien“ zu verbieten, sich in der Öffentlichkeit zu äußern oder diese Personen an einer Karriere zu hindern.

Aber es ist ein Grund, mal die Rangunterschiede in dieser Gesellschaft zu betrachten und sich zu fragen, was davon echte Meritokratie ist (also die Herrschaft aus eigenem Verdienst) und wo manche einen Vorteil hatten. Und zu fragen, ob es sich nicht lohnt, die eigenen Vorbehalte zu checken und echt blind nach Leistung zu entscheiden und nicht danach, ob man den Namen auf der Bewerbung aussprechen kann (etc.). Es geht darum zu schauen, wer warum Macht hat und wie diese Menschen damit umgehen.

Es geht also um die Forderung, möglichst vielen Menschen faire Ausgangsbedingungen zu bieten. Was die Menschen dann damit machen, das kann ich nicht sagen, aber gegenwärtig sieht’s halt schon innerhalb Deutschlands mit fairen Ausgangsbedingungen schlecht aus.

In ein paar Tagen (oder Wochen, je nach Kirche) feiert die Christenheit die Geburt ihres Erlösers. In einem Stall geboren, Mutter nicht verheiratet, etc. pp. Wir kennen die Geschichte. Die Predigten sind voll davon, dass das eine Lektion sei, Nächstenliebe walten zu lassen und dankbar zu sein und derlei.

Selbst wenn man nicht an das mit dem Messiastum und der Jungfrauengeburt und so weiter glaubt: Diese so oft erzählte Geschichte wäre ein guter Anlass, mal die eigenen Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen.

In diesem Sinne wünsche ich frohe Feiertage.

Bild: F. Weisbarth / S. Rieder [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)%5D

5 Gedanken zu „Privileg/Dankbarkeit/Feiertage

  1. Sehr lesenswert zum Thema: https://quillette.com/2018/05/17/understanding-victimhood-culture-interview-bradley-campbell-jason-manning/

    Das zunehmende Problem der Gesellschaft mit der „Minderheitenkultur/Minderheitendebatte“ resultiert wohl weniger aus dem Sonderstatus der Minderheiten als solchem sondern aus der zunehmenden medialen Opferinszenierung, über die dann implizit eine höhere moralische Wertigkeit der (vermeintlichen oder realen, denn das ist dann nicht mehr wirklich der Punkt) Minderheiten vermittelt wird.

    Derjenige mit „Privilegien“ wird also zwar nicht aktiv abgewertet aber derjenige, der von sich behauptet weniger Privilegien zu haben, wertet sich damit auf.

    Wer sich in einer opferzentrierten Kultur auf den Opferstatus bezieht und sei es nur über Sprüche wie „check your priviliges“ erfährt also bereits unmittelbar eine Statusaufwertung im Gegensatz zu auf Würde basierenden Kulturen (der bisher bei uns üblichen Kultur, in der so ein Hinweis peinlich wäre, da dort jeder Mensch vor allem für sich selbst verantwortlich ist) oder auf Ehre basierenden Kulturen (in denen der Verweis nicht nur zur Selbstabwertung sondern sogar zur Herabsetzung des eigenen Clans/Gruppe/Familie führen würde und daher moralisch verwerflich wäre). Durch den daraus resultierenden höheren Status lassen sich dann u.a. politische Forderungen natürlich leichter durchsetzen. Im Grunde genommen ist diese ganze Debatte um alte weiße Männer also eher ein Trick politischer Aktivisten. Es ist nämlich völlig egal ob vermeintliche Eigenschaften tatsächlich typisch für diese Gruppe sind und ob jemand reale Probleme mit alten weißen Männern hat, denn allein der Verweis darauf von ihnen diskriminiert zu werden erhöht bereits den eigenen Status. Es sei denn natürlich man ist selbst ein alter weißer Mann, dann zieht diese Nummer selbst dann nicht wenn man tatsächlich von selbigen abgewertet wird.

    • Ich gebe dir insofern recht, dass gelegentlich auf recht hohem Niveau genölt wird über Scheiß, über den eine charakterfeste, erwachsene Person wegstecken können sollte, und langfristig ist es blödsinnig, das eigene Selbstbewusstsein allein daraus zu ziehen, dass man zu einer unterdrückten Gruppe gehört und wie verletzt man ist. (Das kann ja nicht gutgehen, wie im Interview auch bemerkt wird, da das keine positiven Werte fördert, und permanentes Beklagen auf die Psyche schlägt.)
      Innerhalb mancher unterdrückten Gruppen erhöht das Opfersein sicher unter gewissen Umständen den Status. Oppression Olympics etc.: „Geht’s dir schlecht genug, dass du es wert bist, dir zuzuhören?“ (Da saß ich auch schon am falschen Ende.)

      Wie aber gesagt, sehe ich in diesen ganzen Opferdebatten einen Versuch, Aufmerksamkeit zu generieren für Zeugs, das zu lange als nebensächlich abgetan wurde, weil es ja „nur“ Minderheiten betraf.

      Gegen diese Umverteilung von Aufmerksamkeit gibt es Widerstand, weil Aufmerksamkeit insgesamt eben begrenzt ist und einige Menschen liebe Seh- und Sprechgewohnheiten ändern müssen (und ich meine jetzt bloß, wie oft sie aufgerufen werden, nicht ihr Vokabular).
      Dass die Reaktion auf „Ihr habt kein Problem, stellt euch nicht so an“ lautstarker Protest ist, sofern es doch ein Problem gibt, ist fast unvermeidlich, und so schaukelt sich das hoch. (Beide Seiten. Weil die Reaktion auf „ich bin ein Opfer!“ oft genug „ich bin selber eines, alle Frauen hassen mich, weil ich ein Mann bin!“ ist, und das ist halt Kindergarten, oder eben der ganz normale menschliche Wahnsinn, weil es weniger charakterfeste Erwachsene gibt, als man gemeinhin annehmen sollte.)

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