
Sieht nicht aus wie in der Serie: Loki aus einem isländischen Manuskript, 18. Jahrhundert
In meiner Nische des Internets schlugen die Wellen hoch, als im Trailer für die Marvel-Miniserie Loki (bei Disney+) ein Steckbrief der namensgebenden Hauptfigur zu sehen war. Darin stand: „Gender: Fluid.“
Endlich versprache die Oberen bei Disney genau die Diversität, die seit dem Mittelalter Kanon ist! Der echte Loki Laufeyason ist ja mindestens die Mutter eines Pferdes mit acht Beinen und war laut Vorwürfen seitens Odin Allvaters als Amme tätig.
Selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass der Marvel-Loki nicht mit einer Gottheit identisch ist, der diverse heidnische Menschen Alkoholika opfern. Trotzdem mag ich die Marvel-Figur (und FrostIron-Fanfiction ist sowieso seit 2012 mein Kryptonit), weshalb ich Geld für ein Abo ausgab, um die Serie anzuschauen.
Da ich niemanden mit meiner Meinung spoilern möchte und ich außerdem eine CN: Genozid, Suizidversuch habe, bei Interesse bitte hinter dem Link weiterlesen.Mit dem Ergebnis der Serie bin ich zu einem Drittel begeistert, zu einem Drittel „meh“ und zu einem Drittel enttäuscht.
Begeisterung
Das erste Drittel ist der Teil meiner selbst, der sich mit den Quellen auskennt und ab und an heidnische Nachrichten liest. Der „Gott des Schabernacks“ aus den Filmen entwickelt sich im Laufe der Serie zum Gott der Ausgestoßenen. Das ist exakt die Funktion, die Loki Laufeyason, Mutter von Monstern, für postmoderne Heid*innen erfüllt.
Weiterhin sind wir im Unklaren, ob Loki einen Plan hat. Ich würde ja behaupten, dass Marvel-Loki nie einen Plan hat. Auch das scheint er mit dem mythischen Gegenstück gemeinsam zu haben: Loki kann prima improvisieren, aber alle seine Pläne sind für den Arsch — denken wir an den Versuch, Zwerge auszutricksen, der Kanon-Loki beinahe den Kopf gekostet hätte. (Weshalb Marvel-Loki wohl nur eine Invasion durchplanen muss, damit sie scheitert?)
Außerdem erreicht die Serie an manchen Stellen beinahe britisches Komikniveau.
Billige Plotdevices?
Das zweite Drittel ist meine innere Lektorin und Autorin. In dieser Funktion war ich schon mit Avengers: Endgame beleidigt, weil ich Zeitreisen eben tendenziell so „meh“ finde. Zeitreisen finde ich irgendwie eine Lösung für faule Serienschreibende. Nirgends wird das Hamsterrad seriellen Erzählens offensichtlicher als mit Zeitreisen. Der Witz beim Serienerzählen ist ja meistens, so zu tun, als würde ganz viel passieren, obwohl sich nichts Grundlegendes verändert. (Wir erinnern uns: In einer Geschichte geht es darum, wie sich die Hauptfigur aufgrund des Plots verändert. In einer Serie darf sich aber nicht zu viel ändern, weil sonst die Geschichte zu früh zu Ende ist, und dann ist nix mehr mit Einnahmen.)
Was die Loki-Serie und das Marvel-Kinouniversum mit diesem Plotwerkzeug weiter anfangen, bleibt abzuwarten. Okoye, Captain Marvel, Monica Rambeau und Bucky Barnes müssen in der Zukunft schon gewaltig Arsch treten, damit ich da nicht irgendwann von der guten alten Phase Eins rede. (Was den Suchtfaktor allerdings/leider keineswegs verringert.)
Diversity-Headdesk
Das dritte und äußerst enttäuschte Drittel gehört einer asexuellen Person auf dem aromantischen Spektrum.
Zunächst müssen wir uns daran erinnern, warum Marvel-Loki im ersten Thor-Film ausgetickt ist: Loki ist nicht der leibliche Sohn von Odin, König von Asgard, wie er immer geglaubt hat. Loki ist adoptiert, was er erst in selbigem Film erfährt. Und dann nicht von irgendeinem Waisenhaus adoptiert. Nein, Loki ist das (angeblich?) ausgesetzte, weil zu kurz geratene Kind von Laufey, dem König der Jötnar/Reifriesen vom verfeindeten Planeten Jotunheim. In einer der ersten Szenen des Films verspricht ein noch sehr junger Thor seinem kleinen Bruder, dass er irgendwann alle Reifriesen töten wird.
Reden wir von internalisiertem Selbsthass? Wir reden von internalisiertem Selbsthass. Der im Showdown dazu führt, dass Loki versucht, sämtliche anderen Jötnar auszulöschen. Das klappt nicht — Thor hat im Laufe des Films sein Gewissen entdeckt und hat nun auf einmal was dagegen, alle Reifriesen zu erschlagen. Und als dann noch der Allvater-Papa seine Fähigkeit des Nicht-Verzeihen-Könnens anwendet, endet der Film in einem Suizidversuch. (Hier differieren Marvel und Kanon deutlich. Weder Kanon-Thor noch Kanon-Odin hätten etwas gegen eine Wunderwaffe einzuwenden, die ihr Riesenproblem auf Dauer löst.)
Und jetzt hätten wir eine ganze Serie Zeit, uns um ein Problem zu kümmern, das von Rassismus betroffene Menschen kennen. Oder solche, die Queerfeindlichkeit oder ein anderes Stigma internalisiert haben. (Sind ja nicht viele. /Sarkasmus Ende.)
Hätte man sich drum kümmern können. Ist aber halt kompliziert.
So wie Lokis Absturz am Ende des ersten Thor-Films durch fortgesetzte Nichterwähnung zu einem billigen Plotwerkzeug verkommt, bleibt auch das fluide Gender aus dem Steckbrief reine Makulatur. Weil unser Serien-Hauptfigur-Loki natürlich keinesfalls ein fluides Geschlecht hat und ab und an als Frau (oder gar als nicht-binäres Wesen) über den Bildschirm rennt. Seine Bisexualität wird ebenfalls behauptet, aber nicht gezeigt.
Stattdessen treffen wir Loki-Varianten in Form von zahlreichen anderen männlichen Wesen und eines Alligators. Und außerdem treffen wir eine einzige Loki-Variante, die weiblich ist und sich „Sylvie“ nennt. Weil … wahrscheinlich würde es große Teile des Publikums überfordern, wenn sie Loki geblieben wäre? Ich meine, „Sigyn“ als Namenswahl wäre noch nachvollziehbar gewesen in Anbetracht des Staffelendes, „Angrboda“ wäre ebenfalls logisch, überfordert aber nicht nur das US-amerikanische Publikum sprachlich. Aber woher bei den Nornen nehmen die „Sylvie“? Nicht von Asgard.
Und leider ist Lokis Figurenentwicklung auch nicht damit zu Ende, dass er den Titel „God of Outcasts“ für sich reklamiert und verzweifelt versucht, für ein fieses Dilemma eine gute Lösung zu finden. Nein. Loki trifft endlich jemanden, der ihm wichtiger ist als er selbst! Also Sylvie! Und wir wissen ja, dass Männer und Frauen weder Freunde noch Geschwister sein können. Und weil es sowieso außer Romanzen keine Möglichkeit gibt, zu demonstrieren, dass eine Figur endlich zu den Guten gehört: müssen die sich küssen. (Sarkasmus Ende.)
Aaargh. Kopf, Tischplatte. Wieso, Marvel, wieso?
Offenbar für viele Menschen undenkbar ist ein Erlösungs-Plotbogen, der nicht in einem Kuss endet. Und sind Fragen nach Schuld und Vergebung für Comicadaptionen zu komplex? (Immerhin weicht auch die „The Falcon and the Winter Soldier“-Miniserie dem Thema weiträumig aus.)
Fazit
Zwei Schwarze Frauen in wichtigen Nebenrollen reichen leider nicht immer, um sich divers schimpfen zu dürfen. Vor allem dann nicht, wenn man vorher ordentlich Queer- und Heidenbaiting betreibt.
Bildchen: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:S%C3%81M_66,_79r,_Loki.jpg