Keine Sexgeschichten

Aus gegebenem Anlass — dem irritierten Blick einer Person im Skype-Call nämlich — muss ich mal was klarstellen: In der Regel enttäusche ich journalistisch Tätige, weil ich zwar gern über das asexuelle Spektrum aufkläre und Fragen über gesellschaftliche Zusammenhänge stelle, meine eigene Sexualhistorie aber nicht detailliert wiedergebe.

Dekobild: Mensch mit Bart, Grimasse und Lupe

Ich finde die Frage, ob da schon mal aus einvernehmlichen Gründen ein Penis drin war, nicht besonders relevant für das, was ich bin und tue. Es interessiert mich auch nicht, ob andere weibliche und weiblich gelesene Menschen in heterosexistischen Zusammenhängen als jungfräulich gelten. Das hat ja keinen Einfluss darauf, ob die Person kluge Dinge zu sagen hat, zum Ladendiebstahl neigt, mir sympathisch ist oder sonstige menschlich relevante Eigenschaften besitzt. (Ich winke mal allen, denen solche Fragen auch schon gestellt wurden.)

Mir ist klar, dass in manchen Zusammenhängen über Sex geredet werden muss — aber in Medienberichten über asexuelle Menschen verharrt dieses Reden oft in einer Pose, wo eine Person sich der Neugier der Mehrheitsgesellschaft preisgibt. Im Namen der Aufklärung und Information, natürlich.

Irgendwie war mir mit diesem Argument der Information nie ganz wohl. So neugierig ich bin (grauenvoll neugierig), manche Fragen stelle ich doch nicht. Wer mir im Vertrauen etwas erzählen will, gern. Wahrscheinlich erzähle ich etwas zurück. Aber das ist ein Unterschied zu einer Information, die für den öffentlichen Konsum bereitgestellt wird.

Und dann fiel ich in anderem Zusammenhang über einen Aufsatz von Ely Przybylo. Darin geht es unter anderem um die Logik von Sexualität. Przybylo beruft sich auf Foucault: Sexualität sei ein Wissensbereich, der entwickelt wurde, um die Bevölkerungsentwicklung zu beeinflussen. Natürlich geschah diese Entwicklung nicht von einer einzelnen Stelle, sondern irgendwer merkte, dass irgendein Wissen praktisch war, andere bekamen Wind davon, daraufhin wurde die Wissensproduktion gefördert, etc. Und auf einmal sind wir heute, wo Sexualität nicht mehr als Maßstab eines gesunden, glücklichen Lebens wegzudenken ist.

Zur Logik der Wissensproduktion über Sexualität gehöre demnach das öffentliche Geständnis. Aus dem, was wie geschildert wird, lernt die Öffentlichkeit, was erwünscht und normal ist. Und wenn etwas als unnormal markiert wird, kann sich die Öffentlichkeit dank des Vergleichs darin sonnen, wie normal sie doch ist.

Heißt, wenn ich etwas erzähle, das als unnormal markiert ist — und sobald es darum geht, dass ich in meiner Eigenschaft als Ace und damit Minderheit befragt werde, bin ich markiert — dann dient sämtliche Beantwortung intimer Fragen hauptsächlich dazu, 99 Prozent der Lesenden in ihrer Normalität zu bestätigen.

Dabei wird diese Bestätigung mir außerdem keinen Dank einbringen, wie Kübra Gümüşay in ihrem Buch Sprache und Sein bemerkt. Die Mehrheitsgesellschaft beruft sich zunächst auf ein Recht darauf zu erfahren, wie oft, warum und ob die portraitierte Person was getan hat. Wer sich aber dem Geständnisdruck beugt, gibt zu, unnormal zu sein und eine Maßregelung zu benötigen. Ob diese sich dann in der Herablassung der Fragenden und/oder später in der Kommentarspalte äußert, ist unerheblich.

Was ich also wusste, aber nicht erklären konnte, haben Przybolo und Gümüşay in klare Worte gefasst.

Ich mag „normal“ als Wort nur, wenn es um Blutdruck, Serumspiegel und so was geht. Wo ein unnormaler Wert eben kurz- bis langfristig Menschen ins Krankenhaus oder in den Sarg befördern kann. Ansonsten gibt es keine Veranlassung, „normal“ zu verwenden und sich noch was drauf einzubilden.

Und daher möchte ich auch weiterhin nicht dazu beitragen, dass irgendwer das eigene normale Ego streichelt.


Referenzen/Weiterlesen:

Ela Przybylo, Crisis and safety: The asexual in sexusociety, Sexualities 2011 14: 444, https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1363460711406461

Kübra Gümüşay, Sprache und Sein, ISBN 978 3 442 77125 7

Bildquelle: Image by Tumisu, please consider ☕ Thank you! 🤗 from Pixabay

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