… Um mal Agent Fox Mulder aus der Abteilung X-Akten zu paraphrasieren.
Ich möchte wirklich gerne lesen. Ich bin auch bereit, Geld für gute Texte auszugeben.
Dementsprechend stellt sich mir häufiger die Frage: Was ist ein guter Text?
Ich möchte gerne Fantasy lesen, die ich so noch nicht gesehen habe. Gebt mir nicht schon wieder irgendeinen heterosexuellen Typen, der die Welt retten darf. (Das ist für mich häufig nur auf Filmlänge erträglich, zumal mich erstens dekorative Explosionen, zweitens dekorative Menschen und drittens die CGI ablenken.) Gebt mir nicht schon wieder eine heterosexuelle Frau, die ohne zugehörigen Mann nicht vollständig ist.
Zum Beispiel:
Ich bin gerade am Überlegen, ob ich mir Peter V. Bretts „Lied der Dunkelheit“ zulege. Die Leseprobe auf Englisch habe ich noch nicht zu Ende gelesen. Warum? Der Weltenbau überzeugt, ich mag den jungen Arlen, die Schreibe auf Englisch passt. Aber. Da geht es ums Heldentum, um Männer, die gerne kämpfen würden, und ihre Frauen und Kinder beschützen …
Ah. Ja. Dass es vielleicht auch Frauen gibt, die nicht nur unter den Dämonen, sondern auch unter ihrer Hilflosigkeit leiden, ist, wie soll ich sagen, offenbar jenseits des Vorstellungsvermögens jener Dorfbewohner (ohne das *innen, denn die Mädels* scheinen keine Meinung dazu zu haben). Und so, wie es sich auf den ersten vierzig Seiten anhört, auch der des Autors.
Zumindest meine ich, dass es im Subtext eines Romans spürbar ist, ob mensch sich eine Kriegerkultur ausgedacht hat, oder ob mensch an die Kriegerkultur glaubt, mit den ganzen Vorschriften für Frauen, die in einem geregelten Kontext vor allem viele Kinder haben sollen. Einer solchen Kultur ist jede Frau, die eine eigene Meinung hat, gefährlich, und jede*r, di*er sich dem Fortpflanzungsgebot entzieht, ein*e Sünder*in. Ergo Sexismus, ergo Homophobie.
Jedenfalls halte ich die Aussage, dass Männer vor allem stark sein müssen, und Frauen vor allem beschützt werden müssen, für extrem giftig, weil sie weder Männern* noch Frauen* gut tut.
Wünsche ich mir also Texte, die andere als Randgruppenfiktion abtun würden? Vielleicht. Gibt’s auch, Unmengen im Klein- und Selbstverlag. Hab selbst einen geschrieben, nicht wahr?
Jetzt kommt der Haken: Ich bin von den vielen englischen Texten verwöhnt, die ich gelesen habe, und den Rest hat Stephan Waldscheidt erledigt. Dessen Motto ist: Bessere Romane schreiben. Warum okay, oder gut, wenn es auch verdammt gut gehen könnte?
Ergo: Wenn ich die Leseprobe lektorieren will, gebe ich kein Geld aus.
Infodumps finde ich stinkend langweilig – ganz ehrlich, ich muss nicht die ganze Hintergrundgeschichte einer Figur kennen, und ich muss sie nicht auf den ersten drei Seiten lesen.
Rechtschreib- und Grammatikfehler sind ebenfalls ein Abturner – und ich meine damit nicht die „wenn mensch ein Auge zukneift, geht es auch ohne Großbuchstaben“, da dem Verständnis nicht abträglich, sondern eher die „Ach, war da der Satz zuende?“-Variante.
Genauso, wenn sich wer nicht darauf einigen kann, wie eine Figur oder ein Wesen heißt, oder geschrieben wird.
Oder wenn mir die Zeit mit zahllosen Details gestohlen wird, die nachher unmöglich alle wichtig sein können. (Ein Schweineglück, dass ich „Der Turm“ nur ausgeliehen hatte. Ich habe nach drei Kapiteln aufgegeben, weil ich vor lauter exotischen Katzennamen und architektonischen Einzelheiten vergessen habe, mich für das weitere Schicksal der Figuren zu interessieren.)
Monstersätze von Seitenlänge … sorry, Meister Bocaccio. In diesem Falle kämpfe ich mich durch wegen der Allgemeinbildung und so, aber inhalieren kann ich diesen Text nicht.
Idealerweise ist der Text entweder inhalierbar, oder so gut, dass ich über manche Sätze länger nachdenken will.
Meine Schmerzgrenze ist bei allem, was ich als handwerkliche Fehler empfinde, relativ niedrig. Die Hälfte meiner Motivation zum Schreiben scheint manchmal ein „das kann ich aber besser“.
Ob es wirklich besser ist, müssen nachher andere entscheiden. Als Autorin hänge ich immer irgendwo zwischen dem Gefühl, das Beste seit geschnitten Brot zu sein, und Selbstzweifeln. Gelegentlich bekomme ich auch eine realistische Einschätzung zustande.
Wenn also selbst das Lektorat, von dem mensch annehmen sollte, dass es mal einen Schreibratgeber in der Hand hatte, dem/der Autor*in bei für mich offensichtlichen Schnitzern keine Nacharbeit abfordert, habe ich üblicherweise graue Aussichten auf die anderen 200 plus Seiten.
Das ist ein Dilemma. Einerseits will ich Zeug lesen, das die großen Verlage meistens nur mit spitzen Fingern anfassen.
Selbst- oder Kleinverlag heißt aber, dass nicht so viel Geld für ein ausgeprägtes Lektorat zur Verfügung steht. Manchmal heißt es auch: Es gibt nicht so viele gute Texte zu kaufen, wie wir gerne hätten, weil nur ein Bruchteil aller Schreiberlinge sich mit dem Thema überhaupt auseinandersetzt.
Als ein Mensch einer Randgruppe weiß ich das. Heilika existiert auch, weil ich meine eigene Randgruppe gerne in einem fantastischen Setting sehen wollte.
Andererseits bin ich nicht bereit, beim fiktionalen Träumen zu viele Abstriche zu machen. Wenn ich lese, will ich weg sein, und jedes fehlende Gänsefüßchen stört mich dabei.
Ein Dilemma, für das es wohl so bald keine Lösung gibt.
„Wenn ich die Leseprobe lektorieren will, gebe ich kein Geld aus.“ DAS denke ich mir öfter, als mir lieb ist. Da können noch so viele 5 Sterne Rezis dabei sein, wenn mein innerer Lektor schon bei der Leseprobe gequält aufschreit, lasse ich die Finger davon.
Bei Fantasy schon mal Richard K. Morgan versucht? Ich setze als Warnung hinzu, dass es brutal und düster ist und der HC v.a. im 2. Teil Dinge macht, die sogar mich schlucken ließen (da war nichts mehr mit moralischer Grauzone, das war tiefschwarz), aber verdammt, ich will den 3. Band haben! Von den 3 HCs sind 2 homosexuell, ein Mann und eine Frau.
Manchmal entdeckt man auch bei Kleinverlagen und im Self Publishing eine Perle, aber die Suche danach dauert mir oft zu lange. Ich wünsche mir, dass die größeren Verlage mehr Mut zum Risiko zeigen und Texte veröffentlichen, die nicht auf Mainstream gebürstet sind. Ich denke, dass viele LeserInnen kein Problem damit hätten, über Homo- und Asexuelle zu lesen und diese als HCs akzeptieren würden, aber nie die Gelegenheit bekommen, weil die Publikumsverlage das nicht herausbringen.
Vorerst bleibt nur der Griff zu Kleinverlagen und unbekannten Autoren, in der Hoffnung, dort Lesestoff zu finden, der nicht dem Klischee „white straight male saves damsel in distress“ entspricht.
Dann schaue ich mal nach Morgan. Ansonsten bleibt einer nur, sich am Trüffelschwein ein Vorbild zu nehmen, und nebenher die Augen offenzuhalten. An NK Jemisin bin ich nur durch Zufall geraten, und die hat bei mir mittlerweile Prattchett und Gaiman den Rang abgelaufen.
Bei Jemisin schreckten mich bisher die lebendigen Götter ab, mit denen hab ich’s nicht so. Aber ich behalte sie im Hinterkopf, wenn mir mal der Lesestoff ausgeht.
Ich erkläre mich nach deinem Vorbild als Trüffelschwein und wühle mich weiter durch einen Wald an Leseproben, auf der Suche nach der einen guten Trüffel… ;-)
Falls du Englisch liest: Jemisin’s Dreamblood-Duologie finde ich eindeutig besser als die“Erbin“-Serie.
Hatte bislang nur von der Inheritance-Trilogie gehört, werde mir die Dreamblood-Sache gleich mal anschauen.
Ich bevorzuge das Original, bring das aber nur mit Englisch durch, weil meine sonstigen Fremdsprachenkenntnisse nicht reichen, um ganze Romane in anderen Sprachen zu lesen :-(
Dito. Englisch immer gern, aber sonst habe ich nur extrem löchriges Latein und ebenso löchriges Französisch zu bieten.