Wir sind diejenigen, die nur aus Kalkül flirten.
Wir sind diejenigen, für die du niemals das Ein und Alles sein kannst.
Wir sind diejenigen, die dir niemals das Gefühl geben werden, das Wichtigste auf der Welt zu sein.
Wir sind die Beziehungsunfähigen.
Wir haben unter uns Casanovas und Nymphomaninnen. Wir sind diejenigen, die Sex mit allem haben, was sich bewegt und in unser Beuteschema passt.
Wir sind die Verantwortungslosen, die Risikobehafteten. Wegen uns dürfen schwule und bisexuelle Männer in Deutschland kein Blut spenden. Wegen uns gelten alle Bisexuellen als irgendwie promiskuitiv und unfähig, treu zu sein.
Wir sind diejengen, von denen du glaubst, dass sie nur dadurch gerettet werden können, dass sie sich endlich verlieben.
Wir sind diejenigen, die du nicht durch eine Romanze retten kannst, denn wir verlieben uns nicht.
Wir sind die Sherlockhaften Egoman*innen, die manchmal nicht begreifen, warum wir und unsere Gefühle nicht reichen, warum es immer mehr sein muss, mehr Romanze, mehr Liebeserklärungen, mehr Nähe. Wir begreifen vielleicht auch das dazu gehörige Besitzdenken nicht.
Gestatten. Wir sind aromantisch.
Ein hübsches royales Wir hier, obwohl mensch mir nun wirklich nicht vorwerfen kann, ein loses Weibsbild zu sein.
Noch mehr als Leute, die aus diversen Gründen keinen Sex wollen, scheinen Aromantiker*innen undenkbar. Es kann doch nicht sein, dass eins keine romantische Beziehung möchte. Dass eins keine Schmetterlinge im Bauch hat, niemals. Dass eins sich keine*n Partner*in wünscht, di*er immer um eins ist.
Wie heißt es noch in „Moulin Rouge“? „The greatest thing you’ll ever learn, is just to love, and be loved in return.“ Und natürlich ist eine romantische Pärchenliebe damit gemeint, als sei das die einzige Möglichkeit, echte und wahre Liebe zu empfinden. Sobald mensch „Liebe“ hört, wird „Romanze“ mitgedacht. Kurzschlussreaktion der westlichen Welt.
Tatsächlich ist sogar ein Artikel beim Mandelbroetchen diesem reflexhaften Zusammenhang geschuldet. Sagte dabei nicht schon der Kirchenvater Augustinus: „Liebe, dann tu, was du willst.“ Ich kann eigentlich der ganzen Welt mit einer liebevollen Einstellung begegnen, was dann idealerweise dazu führen sollte, dass ich niemandem schade.
Insofern hatte ich als Romantikerin und im Dunklegraubereich und So-lala-Heidin gegen „Hauptsache, du liebst“ keinen einzigen Einwand.
Um also auf meine Situation zurückzukommen: Ich bin nicht komplett aromantisch. Ich weiß, wie sich die Schmetterlinge anfühlen, und dass es ein angenehmes Gefühl ist. Aber die Ausschließlichkeit einer romantischen Beziehung, dieses voll in einander Aufgehen, das ist mir unheimlich. Ich mag nicht diejenige Person sein, an die eine*r so das Herz hängt, dass si*er ohne mich nicht sein kann.
Weil ich nicht zurückfühlen kann. Nicht so, wie es eine verliebte Person sich wünscht.
Würde ich es dennoch versuchen, hätte ich größere Schwierigkeiten an der Backe, und eine Therapie obendrein. Mein Aromantitum ist ein Defekt. Ich bin kaum besser als ein Roboter.
Oder?
Definiert die Fähigkeit, den Vollrausch Verliebtheit zu erfahren, das Menschsein? Ist der Wille, eine romantische Beziehung zu führen, gleichzusetzen mit Liebesfähigkeit?
Wo die Liebesunfähigen so oft die Bösen sind, und die Fangirls oftmals nichts Besseres zu tun haben, als die „bösen Jungs“ in ihren Fanfictions mittels einer Romanze zu retten? Denn wer verliebt ist, kann nicht ganz schlecht sein, oder? Weil Verliebtheit automatisch zu Liebe führt, und Liebe automatisch zu mehr Mitleid?
Dass eins nicht durch die Liebe gerettet werden –
Aber halt. Wieso muss eigentlich so oft romantische Liebe die Bösen retten? Wieso kann es nicht Freund*innenschaft sein? Familienbande?
Weil es einfach ist. Die Menschheit scheint eine Schwäche für Verliebte zu haben. Der Zauber des Neuen, und überhaupt. Dopaminüberladung. Verliebte sind nicht immer ganz zurechnungsfähig, das muss mensch im Umgang mit ihnen beachten.
Dabei bin ich auf folgende Textpassage in meiner aktuellen Lektüre gestoßen:
„As difficult as it may be for us to believe today, particularly if we have had the seemingly involuntary, overwhelming experience of „falling in love“, anthropological and historical evidence both suggest that falling in love is not actually something human beings are hard-weired to do but a behavior pattern that is learned.“
„So schwierig es auch für uns heute zu glauben sein mag, besonders, wenn wir schon mal das unfreiwillige, überwältigende Gefühl des „sich Verliebens“ hatten: anthropologische und historische Beweise lassen darauf schließen, dass das sich Verlieben nichts ist, das in Menschen eingebaut ist, sondern dass es sich dabei um ein gelerntes Verhaltensmuster handelt.“
(Hanne Blank: „Straight. The Surprisingly Short History of Heterosexuality“, 2012, Beacon Press)
Noch die Minnesänger(innen?) machten keinen Unterschied zwischen Liebe und Freundschaft, und unsere heutige Verwendung von „eine*n Freund*in haben“ stammt wohl noch aus dieser Zeit. Tatsächlich ist die Schwärmerei, die damals so häufig besungen wurde, vielleicht mit der Ausganspunkt dessen, was heute als Verliebtheit gilt.
Romantik ist, ganz im Sinne der Epoche, die danach benannt wurde, Schwärmerei, Sehnsucht. Nacht, Traum, Tod, sagte der Deutschlehrer damals. Und Sehnsucht nach mehr, nach tieferer Bedeutung, nach Transzendenz. Auf der Suche nach der Blauen Blume, die es nur in der Vorstellung der Dichter*innen gibt, die aber trotzdem reale Auswirkungen hat.
Kann schon sein, dass das manche Leute nie lernen. Dass manche zu bodenständig sind, oder dass sie diese Sehnsucht niemals auf Personen anzuwenden wissen. Fehlt uns/mir deswegen etwas?
Aromantik ist nur eine Variante menschlichen Verhaltens. Steht es irgendwem zu, darüber zu urteilen, ob sie gut oder böse ist? Führt nicht vielmehr die Annahme, dass jede*r zu Verliebtheit fähig ist, zu den Schwierigkeiten?
Die Annahme, dass jede*r Mensch ein sexuelles Wesen ist, und sich, ganz tief drin, eine romantische Zweierbeziehung wünscht, schadet vor allem denjenigen Personen, die diese Erwartungen nicht erfüllen können. Entweder halten sie sich gleich für minderwertig, weil sie merken, was los ist, oder es wird ihnen im Laufe der Zeit vermittelt, weil sie kontinuierlich Erwartungen enttäuschen.
Vielleicht lohnt es sich, Annahmen zu überdenken. Dinge, die alle wissen, oder zu wissen glauben. Leider sind die meisten dieser Annahmen so tief in einer*m drin, dass mensch sich gar nicht darüber bewusst ist, dass si*er Annahmen gemacht hat.
Und eine davon ist eben die Annahme, dass alle wissen, wie Verliebtsein geht.
Weder asexuell noch aromantisch, habe ich doch meine Schwierigkeiten mit dem zur Zeit vorherrschenden Bild der romantischen Pärchenbeziehung. Ich schreibe mit Absicht nicht „traditionelle Pärchenbeziehung“, weil ich denke, dass die Idealisierung der Paarbeziehung eine relativ neue Entwicklung ist. In bäuerlichen Gesellschaften scheint mir die Ehe oder Zweierbeziehung eine Notwendigkeit zu sein, weil eine_r allein einen Hof schlicht nicht bewirtschaften kann. (Wobei ich nicht behaupten will, dass keine Gefühle im Spiel sind. Es ist die romantische Überhöhung, die mich verwundert und befremdet.) Aber „sex sells“ und Romantik eben auch.
Für mich wäre die „Besuchsehe“ die ideale Beziehungsform gewesen. Räumliche Distanz bei emotionaler Nähe. Schwierig, das in unserer Gesellschaft zu leben.
Hmm. Wobei ein Kumpel von mir sich auch eine Besuchsbeziehung wünscht, aber es aus diversen Gründen nicht hinkriegt, ein passendes Gegenstück zu finden.
Ja, diese Sache mit dem*der Traumprinz*essin ist das, was ich ebenfalls nicht begreife, und an der, laut Hanne Blank, Disney mit Schuld ist.
Irgendwo in einer Brigitte stand auch mal, dass sie romantische Partner*innen im Extremfall so voneinander abhängig machen, wie Kinder von ihren Eltern abhängig sind, und das ist mir irgendwie gruselig.
Lustig, dass du diesen Beitrag gerade jetzt geschrieben hast, ich plane nämlich für die nächste Woche einen über meine Sicht auf Amatonormativität als nicht aromantische Person.
Ich hätte früher wohl auch geglaubt, dass sich jede_r früher oder später mal verliebt. Inzwischen weiß ich, dass das nicht stimmt, ich kann mir das persönlich schwer vorstellen, aber man muss ja nicht alles selbst nachempfinden können, um es zu respektieren, nicht wahr? (Na ja, gibt genug Gegenbeispiele, leider.)
Ich kann mir mache Sachen auch schwer vorstellen. Kinks mit Körperflüssigkeiten, zum Beispiel. Aber die große Kunst dabei ist wohl, diejenigen Personen dann nicht einfach für defizitär zu erklären, sondern machen zu lassen (solange alle Beteiligten wissen, was sie tun, und einverstanden damit sind).
Amatonormativität ist im Übrigen ein sehr schönes Wort, finde ich.
Ich habe das Wort nicht erfunden, sondern irgendwo gelesen. Wenn ich den geplanten Artikel schreibe, werde ich die Quelle nochmal suchen und darauf verweisen.
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Verliebtsein als Vollrausch, und daß eben nicht jeder den Vollrausch schätzt (oder auch nur entsprechende Substanzen mag / verträgt / zur Verfügung hat), ist eine gute Vorstellungshilfe.
Interessant finde ich, daß eine Gesellschaft, die sich immer weiter von traditionellen Strukturen löst, hinterrücks in immer privatere Bereiche eingreift. Welches Gewicht ich zu haben habe, wie ich mich zu kleiden, zu pflegen und zu geben habe. Am besten sind unerreichbare Ideale, weil die eine ständige Bedürftigkeit nach sich ziehen. Und die Kino-Liebe mit Kampf, Leiden, Kuß, Kindern und dann glücklich bis ans Ende der Tage — die ist als Ideal noch viel perfider, weil andere Menschen mitspielen müssen. Viel mehr Raum für Unzufriedenheit.
Spannende Sache.
Die Sache hat wahrlich mehr politische Aspekte, als ich angerissen habe, stimmt. Inwieweit größere Unsicherheit/Wahlfreiheit mehr Verhaltensnormen braucht, die zu befolgen sind, und inwieweit das alles von Leuten, die damit Geld verdienen möchten, geschürt wird… Sehr spannende Sache. Wahrscheinlich (noch) nicht erschöpfend zu beantworten.