Vor einigen Wochen habe ich den Verlagsvertrag für ein Projekt unterschrieben, über das ich vor längerer Zeit schon einmal Gedanken geäußert habe.
Die Jinntöchter dürfen also die Edition Roter Drache beehren. Unten ein Häppchen, und, zu Erbauungszwecken, das ganze dann nochmal in der Sicht einer relativ flachen Figur. Aus meinem Verein von Schreibenden gab es Hausaufgaben, für die ich diese Szene rausgepickt habe, und das Ergebnis finde ich gar nicht so schlecht.
…
Das sagt die Erzählerin:
Während Fayruza also schmollte, war Sintram mit seiner Zeichnung des seltsamen Musters im Sand durch ganz Taqat gelaufen. Morgens hatte er nach Gotliebs Schreiber einen jener Fliesenmacher aufgesucht, die Mosaike herstellten, und war von diesem an den besten Kalligraphen der Stadt verwiesen worden …
Original: Hauptmann Sintram von Kreberg
Der weißhaarige Künstler bewohnte ein zweiflügeliges Haus im Nordosten der Stadt, wohin es alle wohlhabenden Familien zog.
Eine seiner zwei Frauen – die er offenbar noch geheiratet hatte, bevor die Helgen kamen – brachte Tee in die Werkstatt. Zum zweiten Mal an diesem Tag war Sintram genötigt, die üblichen Höflichkeitsfragen zu stellen. Der Kalligraph hatte sieben Kinder, davon drei Söhne, alle wohlgeraten mit eigenen Kindern und so weiter.
In der Werkstatt roch es nach Pergamenthaut und Honig, denn offenbar reichte das Geld nicht, um den Tee mit Zucker zu süßen. Oder vielleicht hoben sie den teuren Zucker lieber für einheimische Gäste auf.
Als Sintram endlich die Zeichnung hervorholen konnte, drehte der Alte sie hin und her, kniff die Augen zusammen, schielte und schüttelte dann doch nur den Kopf. „Nicht, dass wir keine runden Vorlagen hätten“, sagte er, als er Sintram das Blatt zurückgab. „Wir nennen sie Jinnsiegel, je nahit. Die Reichen verwenden sie gerne, um Briefe zu verschließen.“
Sintram rieb sich die Stirn. Diese Begründung war höchst verworren. „Ist ein Vergleich mit den Jnun nicht eine Beleidigung für die Reichen?“
Der Kalligraph runzelte die Stirn. „Nein. Je nahit, das habe ich nicht gemeint.“ Er hob sein Teeglas und nippte daran. „Wir nennen sie Jinnsiegel, weil sie aussehen wie die Spuren, welche die Jnun im Sand hinterlassen. Aber im Gegensatz zu den echten Zeichen kann man bei uns Buchstaben erkennen.“
„Und dieses Siegel hier“, Sintram tippte auf das Blatt, „enthält keine Buchstaben.“
„Zumindest keine, die ich lesen könnte, je nahit. Es scheint von einem echten Jinn zu stammen.“
Sintram wollte sich vor die Stirn schlagen oder wenigstens die Augen verdrehen, ließ es aber bleiben. Immerhin war er ein erwachsener Mensch. Erst Gotlieb, dann Ñathin und jetzt ein gebildeter Mann, der an die Märchen glaubte, die Huren und Geschichtenerzähler zur Unterhaltung zum Besten gaben. Unvernunft, wohin er blickte.
„Du glaubst nicht an Jnun.“ Der Kalligraph klang mitleidig. „Genau wie die anderen Helgen. Ich denke, da macht ihr einen Fehler.“
„Das wird sich zeigen“, sagte Sintram. „Vielen Dank für den Tee und die Auskunft.“
Der alte Mann geleitete ihn aus der schattigen Werkstatt in den Innenhof, wo Golda unter einem Olivenbaum wartete und ihn schwanzwedelnd begrüßte.
Der Kalligraph schnaubte, als habe er soeben einen Witz verstanden. „Ihr werdet es bitter bereuen, je nahit.“ Doch er klang nicht wie jemand, der seine Belustigung unterdrückte, sondern wie ein Arzt, der eine tödliche Krankheit feststellte.
Aberglauben klang anders, nicht wahr?
Bevor Sintram nachhaken konnte, zog sich der Alte zurück in seine Werkstatt.
Trotzdem fühlte Sintram sich beobachtet, als er Golda durch das kunstvoll geschmiedete Gartentor nach draußen auf die leere Gasse winkte. Er drehte sich um, doch der Hof lag verlassen, und in den Fenstern der oberen Stockwerke war niemand zu sehen. Nur auf der Mauer hockte eine Katze und putzte sich.
Golda schien das struppige Tier im gleichen Moment zu bemerken, sie bellte. Die Katze fauchte zurück und verschwand mit einem Satz im Garten des Kalligraphen.
Sintram schüttelte den Kopf. Beinahe hätte er geschworen, dass die Katze blaue Augen hatte. Dieses ganze Gerede von den Jnun war ihm wohl zu Kopf gestiegen. Oder der Künstler verwendete den Geruch nach Pergament, um Hanfdünste in seinen Räumen zu überdecken.
„So ein Unfug“, sagte er zu Golda.
Sie sah fragend zu ihm hoch.
„Weiber, die Waffen tragen. Leute, die deine Nase verwirren und bedeutungslose Zeichen auf den Boden malen.“
Sie machte ein kleines, zweifelndes Geräusch.
„Es sieht aus, als wollte jemand uns absichtlich auf die Spur von Wesen führen, die es nicht gibt.“
Noch ein Fiepen. Ihre Rute hing, als sei sie niedergeschlagen. Man konnte gerade meinen, dass Golda ebenfalls dem Aberglauben anhing. Harr mochte Sintram beistehen.
Perspektive 2: Der Kalligraph
Gleich nach dem Mittagessen, wenn vernünftige Leute andere Menschen in Ruhe die Hitze fliehen ließen, führte Dahils jüngere Frau Samira einen Helgen mit roten Haaren in die Werkstatt. Sintram, Hauptmann des Statthalters, stellte er sich vor. Er hatte einige Fragen zu einer rätselhaften Kalligraphie, die in Zusammenhang mit einem plötzlichen Todesfall stand.
Hrrm.
Dahil hieß Samira Tee bringen. Der Hauptmann folgte ihr mit Blicken. Obwohl sie schon Ende vierzig war, hatte sie immer noch eine Figur wie eine Sanduhr. War der Helge neidisch, weil Dahil sich noch rechtzeitig vor dem Verbot eine zweite Ehefrau gesichert hatte? Oder mochte er einfach seine Weiber üppig und weidete sich an dem Augenschmaus?
Gleichgültig. Obwohl der Helge hin und her rutschte – diese Leute aus dem Norden waren immer so schrecklich in Eile – bedankte er sich höflich für die Einladung und stellte die nötigen Fragen für eine anständige Begrüßung, woraufhin Dahil zurückfragte.
Die Antworten machten ihm den Tee noch bitterer, als er ohnehin schon war. In dem Alter – geschätzte Mitte dreißig – hatte dieser Helge keine Frau, keine Kinder, und so weit weg von der Heimat auch keine Möglichkeit, die Eltern regelmäßig zu sehen.
Mit dem Hauptmann konnte also irgendetwas nicht stimmen. Angeblich waren die Rothaarigen allesamt unter dem schlechten Stern des niedersten Gottes der Helgen geboren. Anscheinend war da etwas dran, auch wenn die Helgen in diesen Dingen sonst zu wenig Einsicht neigten.
Um den Besuch und seine Geisteraugen schnellstmöglich loszuwerden, fragte Dahil ohne weiteren Plausch nach dem Grund für die Störung.
Der Hauptmann drückte ihm eine Zeichnung in die Hand. „Kannst du das lesen, je nahit?“
Es sah aus wie eine Kalligraphie, aber die Zeichen blieben unlesbar.
Ein echtes Jinnsiegel! Bei den Drei! Wie lange hatte Dahil so etwas schon nicht mehr gesehen? Ein paar Abschriften in seiner Jugend, bei seinem Meister, als er noch gelernt hatte … und Repliken im größten Tempel der Stadt natürlich. Lange, bevor die Helgen kamen und die Tempel zerstörten.
Um den Helgen zu ärgern, schüttelte Dahil den Kopf. „Nicht, dass wir keine runden Vorlagen hätten“, sagte er und gab das Blatt zurück. „Wir nennen sie Jinnsiegel, je nahit. Die Reichen verwenden sie gerne, um Briefe zu verschließen.“
Der Helge rieb sich die Stirn. Geschah ihm recht. „Ist ein Vergleich mit den Jnun nicht eine Beleidigung für die Reichen?“
Wie bitte? Dahil runzelte die Stirn. „Nein. Je nahit, das habe ich nicht gemeint.“ Er hob sein Teeglas und nippte daran. „Wir nennen sie Jinnsiegel, weil sie aussehen wie die Spuren, welche die Jnun im Sand hinterlassen. Aber im Gegensatz zu den echten Zeichen kann man bei uns Buchstaben erkennen.“
„Und dieses Siegel hier“, der Hauptmann tippte auf das Blatt, „enthält keine Buchstaben.“
Eine Feststellung, also ein Helge, der sich die Mühe gemacht hatte, die hiesige Schrift lesen zu lernen. Trotzdem wollte sich für eine solche Selbstverständlichkeit keine rechte Anerkennung einstellen. „Zumindest keine, die ich lesen könnte, je nahit. Es scheint von einem echten Jinn zu stammen.“ Die Drei sollten gelobt sein. Vielleicht war es sogar ein Zeichen.
Nur einen halben Herzschlag lang wandte sich der Blick des Hauptmanns zur Decke, als hielte er Dahils gesammeltes Wissen für Unfug.
„Du glaubst nicht an Jnun.“ Dieser arme, nordische Tropf. „Genau wie die anderen Helgen. Ich denke, da macht ihr einen Fehler.“
„Das wird sich zeigen“, sagte der Hauptmann, unfreiwillig komisch in seinem drohenden Tonfall. „Vielen Dank für den Tee und die Auskunft.“
(Rest zensiert, da er zu sehr spoilern würde. )
Schlussendlich noch ein Ratschlag für andere Autor*innen: Falls mal eine Szene echt hakt, diese in eine andere Perspektiv bringen. Dann ist zumindest klar, ob der Dialog so stehen bleiben kann.
Pingback: Jinntöchter: Cover und Leseprobe | Carmilla DeWinter