Exotenstatus oder: Wie schreibe ich über Minderheiten? Teil 2

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Double Binds oder: Zwickmühlen für Fortgeschrittene

In Teil 1 dieses Grundkurses hatte ich über Wahrnehmungsverzerrungen geschrieben, die dazu führen, dass wir häufig unsinnigen Täuschungen über unsere Mitmenschen erliegen. Hier geht es nun darum, auszuloten, welche sozialen Konsequenzen es hat, zu einer geanderten und damit stigmatisierten Gruppe zu gehören.

Die schlechte Nachricht zuerst: Du kannst nicht gewinnen.

Deswegen schreibt Julia Serano eben von „Double Binds“ oder zu Deutsch: Zwickmühlen. (Und hier wieder auch der Hinweis, dass ich das Untenstehende gern erfunden hätte, aber in Wahrheit nur geschickt zusammenfasse.)

Zwickmühle 1: Unsichtbar/Sichtbar

Sofern ich eine markierte Eigenschaft habe, die nicht sofort auffällt (als da wären z.B. die sexuelle Orientierung oder manche chronischen Krankheiten), kann ich mich in der Öffentlichkeit wie ein Teil der Mehrheit bewegen: Die geanderte Eigenschaft ist unsichtbar. Ich muss mir weder Fragen noch Bemerkungen gefallen lassen.

Das klingt so, als wäre das weniger Stress, und genau aus diesem Grund bleiben sehr viele beispielsweise a_sexuelle Menschen lieber komplett unter dem Radar. Sie leben, ohne ihre Selbstbeschreibung Menschen außerhalb anonymer Foren mitzuteilen.

Gleichzeitig ist die Unsichtbarkeit auch Stress: Mein Umfeld stellt Erwartungen an mich, die ich erfüllen oder geschickt umschiffen muss, um nicht aufzufallen. Wenn ich als unauffälliger Durchschnitt daherkomme, ist mir vielleicht der Zugang zu Orten versperrt, die sich um Personen kümmern, die nicht nach Durchschnitt aussehen, weil mir sozusagen die „Street Credibility“ fehlt. Ich habe dann vielleicht keine Menschen, mit denen ich mich über meine Erfahrungen als Minderheit austauschen kann. Diese Isolation führt bei den weitaus meisten Menschen zu Einsamkeit, die wiederum häufig das allgemeine Wohlbefinden beeinträchtigt.

Außerdem trage ich als unauffälliger Durchschnitt zu der weiteren Unsichtbarkeit der geanderten Gruppe bei. Das wiederum bestätigt die Normalitätserwartungen der Mehrheit, die Menschen der geanderten Gruppe dann für noch seltener hält, als sie vielleicht ohnehin schon sind.

Womit sich die Katze in den Schwanz beißt.

Zwickmühle 2: Verdienst/Schaden

Wie oben dargestellt, werden geanderte Menschen als generell fragwürdig angesehen. Außerdem sitzen Menschen gern dem fundamentalen Attributionsfehler auf, wir überschätzen also zumeist die Einflüsse von Persönlichkeitseigenschaften gegenüber denen einer Situation.

Der fundamentale Attributionsfehler kann manchmal eher harmlos bis absurd daherkommen: So wurde ich schon gefragt, ob ich Fantasy schreibe, weil ich a_sexuell sei und der echten Welt entkommen wollte.

Aber aus den genannten Gründen vermuten wir bei Menschen mit markierten Eigenschaften auch, dass diese markierte Eigenschaft an jedem beliebigen Unglück Schuld sei. Durch die Abschlussprüfung gerasselt? Ehe zerrüttet? Alkoholsüchtig? Jemanden umgebracht? Ermordet worden? Logisch, das muss daran liegen, dass die Person transgender/psychisch krank/Schwarz/arm/etc. ist.

Demgegenüber wird bei jeglichem Scheitern der unmarkierten Gruppen niemals vermutet, dass es daran liegt, dass die betreffende Person cisgender/psychisch gesund/kartoffelig weiß/reich/etc. ist.

Wenn wir scheitern, wird aufgrund des Outgroup-Bias dieses schlechte Ereignis sofort auf sämtliche Mitglieder der Gruppe übertragen und gleichzeitig der Outgroup-Bias bestätigt. („Hab ich doch geahnt, dass aus einer von Denen nichts Ordentliches werden kann.“)

Logischerweise ist im Umkehrschluss des Vorurteils dann jeglicher Erfolg im Widerstand zu der markierten Eigenschaft erreicht worden, ein Verdienst, der uns bestenfalls zur Zierde unserer Minderheit macht und im schlechten Fall dazu führt, dass wir nicht gelobt werden. („Ganz okay dafür, dass du … bist.“)

Damit wird ein Scheitern oder ein Erfolg immer in Zusammenhang mit der markierten Eigenschaft betrachtet, was uns unsere Individualität abspricht.

Zwickmühle 3: Abstand/Identität

Weil manche markierte Eigenschaften sehr mit Stigma behaftet sind und damit dazu führen, dass wir beispielsweise diskriminiert oder bemitleidet werden, führt dies dazu, dass manche Menschen einen inneren Abstand zu der Eigenschaft aufbauen und diesen mitunter auch lautstark äußern. Bis hin dazu, dass sie die Diskriminierung ihrer eigenen geanderten Gruppe durch die unmarkierte Gruppe unterstützen.

Diese innere Ablehnungshaltung führt gegebenenfalls zu Selbsthass, der dann emotional und psychisch sehr anstrengend ist.

So ich des Selbsthasses müde bin, kann ich vor mir selbst zugeben, dass ich die markierte Eigenschaft habe und mich vor anderen als Teil der markierten Gruppe identifizieren.

Hierzu muss ich jede negative soziale Bedeutung der markierten Eigenschaft ablehnen und lernen, diesen wenigstens neutral, wenn nicht positiv zu betrachten.

Menschen, die sich als Teil einer markierten Gruppe identifizieren, suchen sich in der Regel Unterstützung und Gesellschaft bei anderen Mitgliedern der Gruppe. Aus dieser Gemeinschaft kann neben einer eigenen Kultur auch Aktivismus erwachsen, der eine bessere Behandlung der Gruppe einfordert.

Nachteilig ist hier, dass derartige Subkulturen wiederum gelegentlich eigene Hierarchien mit neuen Markierungen innerhalb der Gruppe aufbauen. Als eine Art Gegenbewegung können sie auch die vermeintlichen Unterschiede zur nicht markierten Gruppe unüberwindbar erscheinen lassen und dazu führen, dass tatsächlich von zwei unterschiedlichen Menschenschlägen ausgegangen wird. („Du siehst so normal aus, du kannst nicht … sein.“)

Während also die Option „Abstand“ vor allem dem inneren Frieden wenig zuträglich ist und trotzdem unbedingt dazu führt, dass ich von anderen besser behandelt werde, besitzt die Option „Identität“ neben den bereits genannten Gefahren von außen ihre eigenen, politischen Fallstricke, die zu manövrieren nicht immer leicht ist.

Wer hier nachforschen will, kann neben „Selbsthass“ auch „internalisierte Homophobie“ und jede Debatte über wenig bekleidete Menschen bei Christopher-Street-Day-Paraden bemühen. Viele gruppeninterne Debatten über „gute“, also „angepasste“ Mitglieder der Gruppe, gegenüber solchen, die auffallen und damit der Gruppe ein „schlechtes Image“ verleihen, haben hier ihren Ursprung.

Auch die Ablehnung des Begriffs „Identität“ durch manche Menschen hat hiermit etwas zu tun.

Zwickmühle 4: Duldsam/Wütend

Wie schon gesagt, sind markierte Eigenschaften frag-würdig. Unmarkierte Menschen stellen Fragen, was manchmal eine Chance zur Aufklärung ist, manchmal stört und gelegentlich mit der völligen Abwertung von uns als eigenständiger Persönlichkeit einhergeht.

Ich habe nun zwei Möglichkeiten: Ich ertrage die Fragen und beantworte sie geduldig, in der Hoffnung, dass etwas bei der fragenden Person hängenbleibt, ganz gleich, wie unhöflich sie ist. Ich verbeiße mir jede Äußerung meines Frusts, egal, wie verletzend und distanzlos ich die Fragen und Kommentare finde. Genau wie Selbsthass schlägt sich ein derartiges Verbiegen aufs Wohlbefinden nieder.

Die zweite Möglichkeit ist, verständlicherweise nach der zehnten gleichen Frage mit einem frechen Spruch oder Wut zu kontern: Ich stelle das Fragestellen in Frage.

Nun hält sich die fragende Person aber für völlig im Recht, hat sie doch auf eine bemerkens-werte, frag-würdige Eigenschaft eben reagiert, indem sie uns bemerkt oder befragt. Also ist ihrer Ansicht nach meine wütende Reaktion völlig überzogen, ich werde als zu emotional betrachtet und auf meinen unaktzeptablen Tonfall hingewiesen (siehe auch „tone argument“). Meine Meinung wird daher als irrelevant abgetan, bei gleichzeitiger weiterer negativer Stereotypisierung meiner Gruppe anhand des Ingroup/Outgroup-Bias.

Zwickmühle 5: Heimgesucht/Ausgesucht

Da markierte Eigenschaften eben frag-würdig sind, stellt sich auch die Frage, woher sie kommen.

Notiz: „Es ist eben so“ ist nur ein akzeptabler Grund, wenn es um die unmarkierte Eigenschaft geht.

Ich kann nun die markierte Eigenschaft als eine Heimsuchung oder einen Fluch betrachten, den sich jemand nicht ausgesucht hat. Diejenige Person hat dann das Recht, bemitleidet zu werden (beziehungsweise vielleicht auch deren Eltern, wenn es „wieder nur ein Mädchen“ ist, oder „wow, wie Sie das schaffen mit den kranken Kind!“). Derjenigen Person wird eventuell Hilfe angeboten, so sie eine Eigenschaft hat, die als änderbar angesehen wird.

All dies impliziert, dass die markierte Eigenschaft schlecht ist.

Da es auf Dauer schwierig ist, mit einer schlechten Eigenschaft zu leben und Mitleid meistens sowieso einen Sch… wert ist, gibt es noch die Option zu behaupten, dass sich mensch es ausgesucht hat, sofern die Eigenschaft es zulässt. Was allerdings eine zweite Runde Fragen eröffnet, ist doch die markierte Eigenschaft, wie wir bereits gesehen haben, schlecht. Und wer sucht sich schon freiwillig aus, eine schlechte Eigenschaft zu haben?

Damit kommen wir zur …

Zwickmühle 6: Fehlgeleitet/Fälschung

Menschen aus nicht markierten Gruppen gehen entweder aufgrund einer Aussage einer Person mit markierter Eigenschaft oder selbstverständlich davon aus, dass diejenige Person sich ausgesucht hat, zu einer markierten Gruppe zu gehören, sofern die Eigenschaft es zulässt.

Aber warum suche ich mir eine als schlecht wahrgenommene Eigenschaft aus?

Entweder glauben diese Menschen, dass ich fehlgeleitet wurde. Die Homolobby, die queere Weltverschwörung oder sonst wer habe mich mit ihrer Propaganda vom rechten Wege abgebracht oder gar gezwungen, die schlechte Eigenschaft anzunehmen.

Das bedeutet, die „fehlgeleitete“ Person ist nicht mehr Herrin ihrer Selbst. Keine besonders nette Unterstellung, spricht dies doch der Person jegliche Autonomie ab. Was nun dazu führen kann, dass diese Person behauptet, sie habe es sich ausgesucht (siehe oben).

Habe mich aus freien Stücken entschlossen, die Eigenschaft anzunehmen, dann bin ich also „in echt“ gar nicht a_sexuell oder was auch immer, sondern ein Fake, eine Fälschung, eventuell mit unterliegenden sinistren Beweggründen. (Irgendwoher muss die vermutete Homolobby ja kommen, nicht wahr?)

Ein Kennzeichen religiöser Kritik an sexuellen Minderheiten ist häufig, dass sie sich zwischen dem armen, fehlgeleiteten Schäfchen und dem „alternativen Lebensstil“ nicht so richtig entscheiden kann, und allein das sollte dann beim kritischen Publikum die Alarmglocken klingeln lassen.

Zwickmühle 7: Beschämt/Schamlos

Nun ist es eben so, dass markierte, bemerkens-werte Eigenschaften dazu führen, dass ich immerzu übermäßig beachtet werde.

Dies führt mitunter zu einer gewissen Befangenheit, ich beobachte mich permanent selbst und wie ich auf andere wirke. (Und ob ich als eine Zierde oder Schande meiner Gruppe wahrgenommen werde …, s.o.)

Darauf kann ich zum einen mit Scham reagieren. Vor allem dann, wenn die markierte Eigenschaft sowieso schon als negativ betrachtet wird. Ich reagiere dann wie bereits oben beschrieben: Ich verstecke die Eigenschaft, sofern möglich. Ich versuche, sie so gut wie möglich herunterzuspielen, mich ansonsten gut anzupassen und nehme Abstand zu den auffälligeren Teilen meiner markierten Gruppe.

Das ist langfristig für mein Selbstbild nicht besonders förderlich und verstärkt den oben genannten Selbsthass.

Die andere Option ist, mich nicht zu schämen, oder gar echten Stolz zu entwickeln. Ich rede über meine markierte Eigenschaft, feiere sie vielleicht und eigne mir Worte an, mit denen die unmarkierte Gruppe versucht, mich zu beleidigen und in mir Scham zu erzeugen.

Dieses Leben, ohne sich was zu schämen, hat aber einen Preis. Bin ich auf den ersten Blick als markiert zu erkennen (so ich je die Möglichkeit hatte, mich zu verstecken), bin ich mehr Bemerkungen und Fragen ausgesetzt. Wird die Eigenschaft noch als negativ bewertet, dann gehen unmarkierte Menschen davon aus, dass niemand Vernünftiges zugeben würde, die markierte Eigenschaft zu haben. Aus ohne Scham wird schamlos wird manchmal unverschämt und taktlos.

(Ein Hetero-Paar darf hierzulande auf der Straße Händchen halten. Wenn es ein Paar aus zwei Männern ist, sollen die uns gefälligst mit ihren Bettangelegenheiten in Ruhe lassen. Kontra von weißdeutschen Müttern über die Lautstärke ihrer Kinder ertragen wir besser als das von einer Mutter of Color. Etc.)

Die meisten unmarkierten Menschen sehen sich bei derlei „schamlosem“ Auftreten in ihrer Meinung bestätigt, dass die markierte Gruppe wirklich besonders bemerkt werden und Aufmerksamkeit erregen will. Was dann wieder dazu dient, die Blicke, Bemerkungen und Fragen zu rechtfertigen und jegliche Gewalttat zu entschuldigen, trägt die Person mit markierter Eigenschaft diese Eigenschaft doch provozierend zu Markte und hat geradezu danach geschrien. (Siehe auch: „Täter-Opfer-Umkehr“/“Täter*innen-Opfer-Umkehr“, auch „Victim Blaming“ genannt.)

Der Feminismus beschäftigt sich mit einer Variante dieser Zwickmühle, dem Heilige/Hure-Widerspruch, schon seit einer ganzen Weile. Und da eine Frau eine Frau ist, also immer markiert, ist es völlig egal, wie sittsam sie sich kleidet oder verhält. Entweder verbiegt sie sich und wird rumkommandiert und verachtet, oder sie macht, was sie will, und wird verachtet. (Oder auch mal mit Säure übergossen oder ermordet etc.) (Und egal, was sie anhatte, es war immer sexy genug, dass der Täter nicht anders konnte.)

Auch greift hier ein Teil der Debatten um die Existenz von Christopher Street Days.

Zwickmühle 8: Harmlos/Gefährlich

Manchmal wird also angenommen, dass eine markierte Eigenschaft eine Heimsuchung sei und die so geschlagene Person vor allem damit beschäftigt sei, sich zu schämen. Somit wird die markierte Eigenschaft als harmlos betrachtet. Dieses Bild wird verstärkt dadurch, dass die unmarkierte Mehrheit davon ausgeht, dass unsereins selbstverständlich alle Blicke, Bemerkungen und Fragen duldsam ertragen wird. Meistens sind wir außerdem eine wegen Unsichtbarkeit schlecht vernetzte Minderheit. All dies zusammengenommen führt dazu, dass wir uns genötigt fühlen, uns klaglos anzupassen.

Wenn wir diese Annahmen über uns verwerfen, kann es sein, dass wir beschließen, uns als gefährlich zu präsentieren („Homolobby: Proud Member„, „Asexual Agenda„, Selbstaneignung von „Angry Black Woman„, etc.) Was wiederum mit den „wütend“-, „ausgesucht“- und „schamlos“-Seiten der oben genannten Zwickmühlen zusammenfällt.

Die Vorteile einer konservativen Herangehensweise liegen auf der Hand: Ich habe ein ruhigeres Leben, auch wenn ich mich dazu dauernd verbiegen muss. Aber ich kann damit die Situation nicht ändern, die Markierung meiner Eigenschaft nicht in Frage stellen.

Verbünde ich mich aber mit anderen und werde laut, beklage mich über die Umstände, dann legitimiert diese plötzliche Gefährlichkeit all die negativen Urteile über meine markierte Gruppe.

Welches Gefährdungspotential markierten Gruppen zugeschrieben wird, ist sehr unterschiedlich. Hierzulande werden Frauen und behinderte Menschen als eher still und harmlos gesehen, wohingegen Menschen mit transgressiver Sexualität oder Geschlechtsidentität und People of Color meist als bedrohlicher beurteilt werden.

Zwickmühle 9: Verschleiern/Enthüllen

Vor allem markierte Eigenschaften, die nicht sofort auffallen oder verborgen werden können, nehmen viele Leute in der Umgebung nicht wahr – die Person mit markierter Eigenschaft geht als Teile der unmarkierten Gruppe durch.

Dies geschieht aber in der Regel eben nicht unter aktiver Beteiligung der Person mit markierter Eigenschaft, sondern dadurch, dass die unmarkierte Mehrheit eine Annahme trifft. Vor allem die englische Wortwahl vom „Passing“ ist daher irreführend: Sie deutet an, dass vonseiten der Person mit der markierten Eigenschaft eine aktive Täuschung oder Verschleierung des wahren Ichs ausgeht. Was wiederum impliziert, dass wir unecht/Fakes sind.

Gleichzeitig nötigt die Mehrheits-Annahme der geanderten Person die Bürde auf, sich von der ebenfalls aufgenötigten Verschleierung zu enthüllen. Dieser Vorgang wird auch „Coming-Out“ genannt.

Wie schon oben angedeutet: Ein Mensch täuscht sich, indem er uns ungefragt der unmarkierten Gruppe zuordnet, wird auf seinen Irrtum hingewiesen und ist dann beleidigt, dass er die ganze Zeit von uns getäuscht wurde.

Obwohl eindeutig er eine falsche Annahme getroffen hat.

Ein derartiges Paradox muss mensch sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Wir stellen fest: Wenn ich als Minderheit unter dem Radar bleibe, dann wird mir unterstellt, zu lügen. Wenn ich mich oute, dann habe ich mit den Konsequenzen des Markiertseins zu tun, werde vielleicht gemieden, beschimpft oder Schlimmeres.

Fazit über die Problemstellung zum Gay-Romance-Fail dieses Frühjahrs

Vor allem Zwickmühle 1, 3 und 9 trugen somit zum Erfolg des in Teil 1 genannten Trolls bei: Die Personen, auf die die Beleidigung „Hetentusse“ gemünzt war, konnten nur verlieren.

Die Kerls widersprachen, weil sie eben weder Frauen noch Hetero waren, sondern zu einer anderen markierten Gruppe gehörten.

Die nicht-heterosexuellen Frauen (ich eingeschlossen) widersprachen, weil wir eben keine „Heten“ waren. Weil die anderen (und ich) wahrscheinlich jahrelang darum gerungen hatten, sich als nicht-heterosexuell anzunehmen und diese Identitätsfindung samt Schwierigkeiten negiert wurde. Weil wir ohne den Widerspruch mal wieder unsichtbar geblieben wären, was in Anbetracht der Überzahl der Darstellung schwuler Männer im Vergleich zu Lesben, bisexuellen und a_sexuellen Personen durchaus ein in der Community diskutiertes Problem darstellt. Weil eine stille Hinnahme der Zuschreibung bei anderen aus der Community vielleicht Fragen aufgeworfen hätte.

Das also fast reflexhafte „bin aber keine Hetentusse!“ sorgte bei den heterosexuellen Frauen der Szene für Unmut, da diese Frauen ja ebenfalls beleidigt wurden (nämlich als Tussen und Autorinnen von pornösem Schund), gleichzeitig noch eine Entsolidarisierung gegenüber den protestierenden Männern feststellen mussten und sich fragten, ob „Hetero“ nun ein Schimpfwort sei.

(Davon ausgehend wurde es dann gelegentlich persönlich, weil Leute ja nicht nur markieren, sondern auch mal einfach nur neidisch sind und innerhalb der markierten Gruppe „schreibt über Schwule und ist damit per se nicht so respektabel“ auch wieder Subgruppierungen erfolgen, siehe Zwickmühle 3.)

Ein vom Troll also sehr geschickt angelegtes Nullsummenspiel: Wie gesagt, mensch konnte nur verlieren.

Nun ist die Bezeichnung „sexuell frustrierte Hausfrau“ aus dem genannten Trollbeitrag ebenfalls bezeichnend, nämlich als eine Beleidigung, die gleichzeitig eine Entwertung darstellt.

Wie Entwertungen funktionieren, und woran sie zu erkennen sind, darüber schreibe ich in Teil 3.

9 Gedanken zu „Exotenstatus oder: Wie schreibe ich über Minderheiten? Teil 2

  1. Pingback: Exotenstatus oder: Wie schreibe ich über Minderheiten? – Teil 1 | Carmilla DeWinter

  2. Manchmal glaube ich, falsch gepolt zu sein …
    Fundamentale oder gar ultimative Attributionsfehler unterlaufen mir selten. Verhalten versuche ich immer aus der konkreten Situation bzw. der Geschichte einer Person heraus zu verstehen – weil ich es sonst überhaupt nicht verstehe. Erst, wenn sich das Verhalten zweier Personen mit gleicher Biographie merklich unterscheidet, betrachte ich die Ebene der Persönlichkeit.
    Auch im Hinblick auf „Selbstwertdienliche Attributionen“ bin ich anscheinend falsch verdrahtet. Denn während ich Misserfolge aus mir selbst heraus erkläre, bin ich bei Erfolgen eher geneigt, das darauf zu schieben, dass ich einfach Glück hatte oder es wer gut mit mir gemeint hat.

    „Die meisten unmarkierten Menschen sehen sich bei derlei „schamlosem“ Auftreten in ihrer Meinung bestätigt, dass die markierte Gruppe wirklich besonders bemerkt werden und Aufmerksamkeit erregen will.“
    Vielleicht sollte eins den Spieß mal umdrehen, wie es David Jay in einem Interview mal gemacht hat. Auf die Frage hin, wie er wissen könne, dass er an Sex nichts finden würde, wenn er es noch nie ausprobiert hätte, konterte er mit der Gegenfrage, ob der Moderator denn Sex hätte ausprobieren müssen, um zu wissen, dass er ihn haben wolle? Das Einsetzen der Schnappatmung beim Gegenüber war schon ein Genuss XD

    • Ich mache den Attributionsfehler und habe genug Unfug verinnerlicht, um ganze Bücher zu füllen. Insofern: Kudos, wenn du das nicht tust.
      Das mit Erfolg/Misserfolg mache ich auf, keine Ahnung, ob das eine Basis-Persönlichkeitseigenschaft ist oder was auch immer. Ererbt ist es jedenfalls nicht. denn eine meiner Großmütter konnte prima alles auf die Fehler anderer Leute schieben.
      Ansonsten: Spieß umdrehen ist immer gut.

  3. Pingback: Exotenstatus oder: Wie schreibe ich über Minderheiten? – Teil 3 | Carmilla DeWinter

  4. Der Text fängt mit einem Hinweis auf den fundamentalen Attributionsfehler an aber referiert anschließend selbst wieder darüber wie „Menschen im negativen Sinne eben so sind“. Daß eine negative Wahrnehmung konkreter Personen nicht einfach nur auf deren Gruppenzugehörigkeiten reduziert werden kann sondern diese nur einer von vielen Faktoren sind (zumal die Bewertung von Gruppen auch stark kontextabhängig ist) und Resultate daher neben allgemeinen Lebensumständen, die jeden betreffen können (z.B. das Verhalten der Eltern, die Finanzen oder das Lebensumfeld), auch ganz erheblich mit dem individuellen Sozialverhalten und den eigenen Reaktionen auf die Umwelt zu tun haben könnten wird in (queer)feministischen Kreisen anscheinend grundsätzlich ausgeschlossen. Es ist somit letztlich völlig egal wie man persönlich mit einer Eigenschaft umgeht („man kann nur verlieren“) sondern es ist immer nur die Eigenschaft als solche, die ja grundsätzlich vom „Rest der Menschheit“ als negativ bewertet wird, am ganzen Unglück „schuld“. Die „anderen“ sind/bleiben immer Täter man selbst als Teil einer beliebig dehnbaren Gruppe von Menschen mit (vermeintlich) negativ markierten Eigenschaften ist/bleibt immer Opfer. Die Möglichkeit, daß homosexuelle Pärchen völlig unbehelligt händchenhaltend durch die Stadt laufen könnten existiert in diesem Weltbild also quasi nicht. Prosoziales Verhalten existiert nicht oder wird als Einmischung interpretiert und Zuspruch wird negativ umgedeutet „toll daß du das mit dem kranken Kind schaffst“ wird in dieser Logik dann zu einer Herabwürdigung. Wie aus dieser ständigen Negativät und anhaltenden teilweise sogar ganz offen präsentierten Schuldzuweisungen heraus positive Veränderungen in der Gesellschaft bewirkt werden sollen ist mir schleierhaft.

    • Maz, WordPress hat den Kommentar verschluckt, die fehlende Freischaltung hatte nichts mit dem Inhalt zu tun.
      Ich meine eigentlich, gleich im ersten Teil der Serie darauf hingewiesen zu haben, dass markierte Eigenschaften immer kontextabhängig sind. Und der Witz an der Sache ist ja: Wenn wer ausreichend schlechte Behandlung aufgrund einer markierten Eigenschaft erfahren hat, ist ab einem gewissen Grad eine unbelastete Interaktion mit der Umwelt kaum mehr möglich. Weshalb dann manche Menschen mit markierten Eigenschaften auf Außenstehende recht unverstänldich wirken.
      Auf häufige Denkfallen auf beiden Seiten – wie sie entstehen und zu welchem Verhalten sie unter Umständen führen – wollte ich eigentlich raus. Wenn ich nämlich einen Roman über eine Figur mit einer marginalisierten Eigenschaft schreiben will, ist es ganz nützlich, sich so was mal klarzumachen.

      • Komisch, dann hatte die wohl Firma WordPress was dagegen. ;-)
        Vielleicht liegts auch daran, dass ich das eingebundene Javascript von WordPress und Gravatar blocke.

        >Und der Witz an der Sache ist ja: Wenn wer ausreichend schlechte Behandlung aufgrund >einer markierten Eigenschaft erfahren hat, ist ab einem gewissen Grad eine unbelastete >Interaktion mit der Umwelt kaum mehr möglich.

        Klar keine Frage und gerade bei Romanen hat man ja dann auch die Möglichkeit den Charakter als Individuum ins Zentrum zu rücken. Das ist sicher eine gute Möglichkeit um vom Gruppenfokus wegzukommen und trotzdem noch über mit Eigenschaften verbundenen Probleme zu berichten. Problematisch ist meiner Meinung nach nur der umgekehrte Fall/Effekt, also wenn eine Eigenschaft X die ggf. nicht mal etwas wirklich besonderes ist von einem Individuum oder individuellem Schicksal ausgehend erst ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird (von wem auch immer) und anschließend dann quasi per „Induktion“ auf alle Menschen mit dieser Eigenschaft übertragen wird, obwohl die Eigenschaft nicht wirklich geeignet ist um eine Gruppe daraus zu konstruieren. Mal als einfaches Beispiel solche Eigenschaften wie „dick“ oder „alt“ oder noch extremer z.B. „blond“. Menschen mit diesen Eigenschaften sind ja sehr unterschiedlich und um nicht mehr Teil der letzten Gruppe zu sein muss man sogar nur die Haare färben. Zu sagen „die Blonden werden diskriminiert“ wäre daher denke ich nicht viel hilfreicher als zu sagen „die Blonden sind blöd“, weil „die Blonden“ es letztlich überhaupt nicht verdient haben von egal welcher Seite aus als Gruppe angesehen und mit bestimmten Aussagen belegt zu werden. So lange man aber einen konkreten Fall mit konkreten Erfahrungen schildert („ich wurde ständig von Peter, der braune Haare hat, nicht ernst genommen weil ich Blond bin“) aber den anschließenden Induktionsschluss auf eine Gruppe vermeidet (z.B. „Braunhaarige nehmen Blonde nicht ernst“) wirkt das nicht mehr so als wollte man die halbe Menschheit (in dem Fall z.B. alle mit Brauen Haaren) anklagen und dann passiert es denke ich auch nicht so leicht, dass die „Outgroup“ sich dazu veranlasst fühlt eine Abwehrhaltung einzunehmen.

        • Hmm. Die Gruppenbildung anhand von Eigenschaften wie sexueller Orientierung, Gewichtsklasse, Hautfarbe etc. ist an sich schon willkürlich, findet aber eben so statt. Und diese willkürlich festgelegte Gruppe wird unvermeidlicherweise mit Eigenschaften belegt, nämlich Stereotypen.
          Weshalb es, wie ich zu demonstrieren versuchte, ein zweischneidiges Schwert ist, sich zusammenzutun, dieses Gruppenkriterium als Identität zu nutzen und damit politisch aktiv zu werden.
          Grundsätzliche Lösung wäre daher, möglichst darauf zu achten, dass Menschen so wenig Ingroup/Outgroup-Verzerrungen wie möglich erlernen und vor allem wissen, wie sie eine solche erkennen.

  5. Pingback: Wer bin ich? – Die Frage nach der Identität. – Nixblix´ simple Sicht der Dinge

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