Jungfrau, Mutter, Vettel, Ass?

Ich war im Juli in der Medienlandschaft präsent. (SpOn, Baby.)

CH-NB-Kartenspiel mit Schweizer Ansichten-19541-page057Jedenfalls wurde ich mal wieder danach gefragt, was ich in den vergangenen zwanzig Jahren sexuell so erlebt habe, und ich habe wie immer keine detaillierte Antwort gegeben.

Andere interviewte Menschen aus dem asexuellen Spektrum mögen das anders sehen (winkt), aber von mir gibt es prinzipiell keine Detailauskünfte. Vielleicht habe ich auf einem Konzert mit wem rumgemacht, vielleicht auch nicht. Vielleicht habe ich mich auf einer Fete aus Neugier betrunken abschleppen lassen, vielleicht auch nicht. Vielleicht habe ich nichts zu berichten, vielleicht auch nicht. Vielleicht hab ich etwas getan, auf das ich nicht besonders stolz bin, vielleicht aber auch nicht.

Es sollte eigentlich egal sein.

Oder? Es ist 2018.

Wenn wer freiwillig aus seiner/ihrer sexuellen Vergangenheit erzählt, dann finde ich das völlig in Ordnung und teils sogar bewundernswert. Denn einige sind mit Details großzügig, um unsicheren und fragenden Menschen zu versichern, dass das nicht nur ihnen so geht/ging.

Und wenn eine nicht mit Details rausrückt?

Dann sollte eins nicht danach fragen. Weil’s den Rest der Welt nichts angeht. Was ich getan oder nicht getan habe, ist sowieso je nach Gusto der Lesenden entweder zu viel, um noch als asexuell durchzugehen, oder zu wenig, um zu beweisen, dass ich versucht habe, „normal“ zu sein.

Abgesehen davon scheint es mir, dass Frauen mehr diesbezügliche Dinge gefragt werden. Mag auch daran liegen, dass in einschlägigen Interviews meistens Frauen  zu Wort kommen.

Insgesamt aber habe ich das nagende Gefühl, dass diese Gesellschaft sich immer noch auf einem geradezu mittelalterlichen Niveau dafür interessiert, ob, wie oft, wie und mit wem Menschen mit Gebärmutter ihre Geschlechtsteile benutzen. Um dann zu bewerten, ob es zu oft, zu selten, mit der richtigen Person (Notiz: es darf nur eine gleichzeitig sein) und in einer derzeit akzeptablen Weise stattfindet und ob zu wenige oder zu viele Kinder dabei rausgekommen sind.

Dabei leben wir nicht mehr im Mittelalter.

Es gibt mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Welt. Wir könnten im Grunde ein paar weniger gebrauchen, vor allem von denen, die per Gewohnheitsrecht jede noch so kurze Strecke mit dem Auto fahren, täglich tote Viecher essen und jedes Jahr mindestens eine Flugreise unternehmen. (Eigene Nase? Ich? Wo? … Habe außerdem den nagenden Verdacht, dass die Verfechter:innen des herbeifantasierten „reinen deutschen Blutes“ sowas ahnen und auch deswegen gegen Schulaufklärung sind.)

Die Menschheit stirbt nicht mehr aus, wenn ein paar gebärfähige Menschen gar nicht oder nur zum Vergnügen poppen und keine Kinder haben.

Ehrlich nicht.

Ob’s nun aus Profession Neugierige sind oder der Rest der Republik, der beleidigt ist, wenn wer nicht mit den Infos rausrückt, und auf jeden Fall die, die meinen, ein Recht darauf zu haben, über fremde Gebärmuttern zu bestimmen: Entspannt euch mal.

7 Gedanken zu „Jungfrau, Mutter, Vettel, Ass?

  1. Als Feld-Wald-Wiesen-Hetera werde ich ja höchstens gefragt, ob ich denn (wieder) mit jemandem „zusammen“ bin. Fragen nach meinem Sexleben würde ich mir noch ungnädiger verbitten als solche nach meinem Beziehungsstatus. Aber es fällt auf, dass ich als heterosexueller Mensch anscheinend weniger Neugier in punkto Sexualität wecke.

    • Wenn mich Leute für eine Wald-und-Wiesen-Hetera halten, bekomme ich derartige Fragen auch gestellt. Aber die Fragen sind dann von privat und nicht aus dem Radio oder der Zeitung.

  2. >> Was ich getan oder nicht getan habe, ist sowieso je nach Gusto der Lesenden entweder zu viel, um noch als asexuell durchzugehen, oder zu wenig, um zu beweisen, dass ich versucht habe, „normal“ zu sein. <<
    Ach ja, das leidige "Du hast zu früh aufgegeben."
    Hatte ich neulich auch wieder, gepaart mit der Feststellung "Mich an deiner Stelle hätte interessiert, woran es liegt." – "Ja, richtig. DICH hätte es interessiert. MICH hat es NICHT interessiert. Es gab keinen Grund, weil alles in bester Ordnung war. Nicht ICH hatte das Problem, sondern andere."
    Da würd ich manchmal gerne wissen, ob Leute überhaupt zuhören, wenn eins ihnen mitteilt, dass die Selbst-Akzeptanz der psychischen und physischen Gesundheit wesentlich zuträglicher ist als der niemals endende, krampfhafte Versuch, sich an eine "Norm" anzupassen.
    Der nächsten Person, die mir damit kommt, halte ich vor, sie müsse erst sämtliche Praktiken und Partnerschaftsmodelle ausprobiert haben, ehe sie sich zuverlässig hetero-/homo-/bisexuell schimpfen könne. Also auch mal eine asexuelle Partnerschaft ausprobieren, sonst könne sie ja gar nicht wissen, ob sie WIRKLICH Lust auf Sex habe oder vielleicht nur eine Hormonstörung habe oder konditioniert sei.

    • Jupp. Torpfostenverlagerung, wie das so schön heißt. Die kritische Stimme stellt die Torpfosten nach eigenem Ermessen auf, und wenn du dann zufällig das Tor getroffen hast (sagen wir, einmal Sex zum Probieren), sagt sie, es zählt nicht, hier ist der neue Pfosten, bitte nochmal (sagen wir, Sex mit mindestens zwei biologischen Geschlechtern probiert) etc. pp…

  3. Fremde Menschen, die dich/mich intime Sachen fragen oder aufdrängen – klingt total abstoßend. Ich selbst hab sowas konkret erst einmal erlebt, als ein Bekannter mich mehr oder minder bat, mich „genau“ zu outen. Dass ich queer bin war schon durchgesickert, aber nicht dass ich aro-ace bin. Der Bekannte war auch deshalb unangenehm, weil er andauernd ungefragt über Sex geredet hat.

    Nur ein kleiner Hinweis: Ich hab den Text so verstanden, dass mit „Menschen mit Gebärmutter“ Frauen gemeint waren. Die meisten denken sicher, dass es aufs Gleiche rauskäme, aber ganz überschneidet sich das nicht: Manche Frauen haben keine Gebärmutter (z.B. trans Frauen) und erleben trotzdem, wenn sie als Frau anerkannt werden, dass ihr Sexualleben streng beurteilt wird. Manchmal sogar noch mehr, ob hetero, lesbisch, bi, asexuell, etc., denn durch gesellschaftliche Transfrauenfeindlichkeit werden sie gern mal auf bloßen Fetisch reduziert. Umgekehrt bekommen trans Männer oder nonbinäre trans Personen, die bei der Geburt weiblich einsortiert wurden, diese Urteile nicht unbedingt (mehr) zu hören, wenn sie als Männer „durchgehen“. Auch wenn manche von ihnen natürlich eine Gebärmütter haben und schwanger werden könnten. Dass gerade Frauen nach ihrem Sexleben gefragt werden hat sicher damit zu tun, dass Leute von der geschlechtlichen Zuordnung meist 1:1 auf (Art der) Fortpflanzungsfähigkeit schließen. Aber um die zu benennen, die diese Urteile so erleben, würde einfach ‚Frauen‘ bzw. ‚Menschen die als Frauen eingeordnet werden‘ etwas genauer sein und nicht manche Betroffenen ausschließen.
    Das nur zur Info und Möglichkeit zu noch mehr Inklusivität :) Habe mich übrigens sehr gefreut, eine Bloggerin gefunden zu haben, die nicht nur Fantasy schreibt (hab einen größeren Teil meiner Jugend mit dem Genre verbracht und es auch in Zukunft wieder mehr vor ;) und (!) sich zu feministischen Themen, queeren Themen und das aus einer asexuellen Perspektive (von denen ich damals nicht wusste, dass ich sie brauche) zu beschäftigen! Danke dafür! :)

    • Hui, sorry für die Verzögerung, ich war in Urlaub und der Meinung, das schon freigeschaltet zu haben.
      Und bitteschön, freut mich, dass du mit dem Blog was anfangen kannst.
      (Die Problematik mit der Gebärmutter ist mir durchaus bewusst, und in diesem Falle habe ich tatsächlich Menschen gemeint, die potentiell gebären könnten. Und die Gesellschaft will ja immer noch darüber bestimmen, was ein Mensch mit dem Potential zum Gebären damit tun soll. Wenn das Häuflein klein ist, mag das angehen, aber wir leben nicht nach der Zombieapokalypse, also ist die Sorge um den Erhalt der Menschheit gerade nicht aktuell bzw. nicht durch Geburten zu beheben.)

  4. Ja, das war ja schon, ganz nebenbei, im Text erwähnt, das mit dem Mittelalter (und davor und danach). Es ging nämlich wirklich darum, das weibliche, potentiell gebärfähige Geschlecht zu domestizieren (von Domus, das Haus und von dem Vorgang, der die Haustierwerdung wildlebender Arten beschreibt). Lest die 10 Gebote: Du sollst nicht begehren deines Nächsten… was wohl? Na, seinen Besitz halt. Ob Gold, ob Esel, ob WEib ist völlig egal. Umgekehrt wird der ungetreue Hund oder Esel oder eben, ja genau, halt totgeschlagen. Das war bei den alten Patriarchen usus. Kein Diskussionsbedarf. Und da sich das so lange gehalten hat ist das immer noch in den Köpfen. Es hat sich noch nicht hier und nicht, wenn man die Welt betrachtet, tatsächlich grundlegend geändert. Dürfte auch noch ein langer Weg sein, wobei ich sogar zu sehen glaube, dass es eine starke Gegenbewegung gibt bzw. eine große Einigkeit in diesem Punkt zwischen Menschen aus Ländern, in denen Gleichberechtigung eine unvorstellbare Ungeheuerlichkeit darstellt und Menschen, die miterleben wie sie zu sein versucht und dies mit ihrem Seelenleben überhaupt nciht vereinbaren können.
    Zu lang für die Quintessenz: ja, die Neugier bezieht sich auf das weibliche Geschlecht. Denn traditionell dürfen die Männer, aber die Frau hat sich auch in dieser Hinsicht heimisch häuslich zu beschränken und ausschließlich der Fortpflanzung zur Verfügung zu stehen. Ist so gewesen und hat sich nicht in dem Maße verändert wie oft gedacht.

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