CN: Mäander über Transfeindlichkeit mit Erwähnungen sexueller Gewalt
Also, J. K. Rowling, die Frau, die Harry Potter erfunden hat, bekommt seit einiger Zeit Internet-Gegenwind wegen Transfeindlichkeit.
Gegen den Gegenwind schrieb sie einen langen Text. Sie sei gar nicht transfeindlich! Aber sie habe halt Bedenken.
Am Anfang klingt der Text vernünftig, zumal sie einen verständnisvollen, ruhigen Ton anschlägt. Frau gerät so ins Mitnicken, und wenn eine mal das Mitnicken angefangen hat, findet sie da selten schnell wieder raus. (Menschen sind halt so. Dreimal zugestimmt, da ist es echt schwierig, beim vierten Argument zu sagen: „Halt mal …“)
Trans für Dummies
Grundlage für den Streit ist Folgendes:
Bestimmen die Geschlechtsteile, die Menschen haben, automatisch deren Geschlecht? Also, ob sie Männer oder Frauen sind?
Oder ist das Geschlecht, das Menschen in ihrem Kopf und Herz haben (das Ich-Geschlecht, wie es eine großartige Person nennt), ausschlaggebend?
Je nach Standpunkt haben wir dann bei trans Menschen entweder Männer und Frauen, die einen an der Waffel haben und deswegen Namensänderungen, Hormone und/oder Operationen wünschen,
oder
Menschen, denen es in ihren Körpern und/oder den ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen Rollen nicht gut geht und die daran dann verständlicherweise etwas ändern wollen.
(Inter* Menschen kommen in der ersten Meinungskette wohl nicht vor.)
J. K. Rowling gehört zu der Fraktion Biologie = Geschlecht.
Ich nicht.
Trotzdem kam ich bei ihrer Verteidigung ins Mitnicken, was sie zu einer großartigen Autorin, macht, aber nicht unbedingt zu einem großartigen Menschen. Aber daran habe ich schon seit Dumbledore und vor allem seit Ron Weasley im Epilog von Band 7 gezweifelt.
Sezieren wir die Argumentationskette von JKRs Aufsatz mal.
Teil 1: Trans Männer
- Sogenannte trans-ausschließende Feminist*innen würden sich um alle Menschen kümmern, die als Frauen geboren seien, auch um trans Männer, also würden sie gar nicht grundsätzlich trans Menschen ausschließen.
- Was hat das mit dem Thema zu tun?
- Sie macht sich Sorgen um junge Menschen. Es gibt einen nachweislich zu verzeichnenden Anstieg von jungen Menschen, denen bei der Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugeordnet wurde, und die eine Transition anstreben. Angeblich sei das in manchen Freundinnenkreisen regelrecht ansteckend, wie Magersucht wohl manchmal. Und was ist dann mit Mädchen, die merken, dass sie nur angesteckt wurden, aber schon mit Hormonen oder Operationen ihren Körper unwiederbringlich verändert haben? (Text zu dem von JKR erwähnten Artikel samt Streit im englischen Wikipedia hier.)
- Das ist eine einzige Studie über die Befragung von Eltern, die sehr häufig als letzte eingeweiht werden.
- Trans Aktivist*innen würden behaupten, dass der Hauptgrund für die überdurchschnittlich vielen Suizide junger trans Menschen daran läge, dass man sie von der Transition abhalte.
- Ich halte das für eine fehlerhafte Behauptung. Wie viel Schaden richtet es an, wenn sich das Umfeld weigert, einen anderen Namen und Pronomen zu benutzen? Wenn das Umfeld mit Aggression auf die Überschreitung der derzeit geltenden Geschlechtsnormen reagiert? Wahrscheinlich mehr als die Frage, ob Hormone zur Pubertätsblockade verschrieben werden oder nicht.
- Also was ist nun mit den Leuten, die voreilig Hormone und OPs bekommen?
- Wie viele sind das, mal ehrlich, bei den derzeitigen Zuständen im deutschen und englischen Gesundheitssystem? Letzteres ist ja bekanntlich seit Jahren überfordert, mit allem.
- Und außerdem, wenn JKR sich so anschaut, was junge trans Männer so schreiben, dann erkennt sie sich als junger Mensch wieder. Vielleicht hätte sie sich auch eine Transition gewünscht, wenn sie heute geboren wäre? Immerhin sei es eine große Verlockung, dem Frausein permanent zu entkommen, und sie habe damit als Jugendliche gehadert.
- Also: Wie viele junge trans Männer kommen zustande, weil die Gesellschaft so beschissen frauenfeindlich ist?
- Eine Antwort darauf habe ich nicht. Diesbezüglich habe ich aber etwas Ähnliches über nichtbinäre Menschen gehört, die in JKRs Text gar nicht vorkommen, die aber in meinem aktivistischen Bekanntenkreis viel häufiger sind als trans Männer. Aber wenn ich überlege, dass eine Transition mit mehr Hindernissen verbunden ist als feministischer Aktivismus, holpert das irgendwie.
Widersprüchliches Fazit 1:
JKR unterstützt als Feministin trans Männer, auch wenn das ihrer Meinung nach zu 60 bis 90% Frauen sind, die einfach keinen Bock mehr haben, vom Patriarchat unterdrückt zu werden.
Teil 2: Trans Frauen
- Trans Frauen und cis Frauen haben unterschiedliche biologische Wirklichkeiten. Mit diesen biologischen Wirklichkeiten wird Politik gemacht. Es wird unterdrückt und dagegen gekämpft.
- Ja.
- Es könnte sein, dass der Kampf gegen die Unterdrückung aufweicht, wenn wir aufzeigen, dass das biologische und das Ich-Geschlecht nicht unbedingt was miteinander zu tun hat.
- Den Vorwurf, dass trans Menschen den Feminismus unterhöhlen würden, habe ich bereits gehört und für Unfug befunden. Nur weil eine Person trans ist, heißt das ja nicht, dass Menschen, die das nicht akzeptieren, selbige nicht als Frauen und damit minderwertig behandeln. Insofern ist Feminismus quasi ein Mitinteresse jeder halbwegs mitdenkenden trans Person.
- Die Entscheidung, bei machen Themen beispielsweise von „Menschen, die menstruieren“ statt von „Frauen“ zu sprechen, ist für manche inkludierend und für andere befremdlich.
- Kann sein. Neue Sachen sind für viele Leute befremdlich.
- Frauen werden sehr häufig aufgrund biologischer Gegebenheiten beleidigt, es sei also abwertend, biologische Gegebenheiten als Beschreibung zu verwenden.
- Blicke ich nicht. Man könnte sich die auch zurückerobern? Und halt mal nicht hinter vorgehaltener Hand rumflüstern, dass „Erdbeerwoche“ sei.
- JKR hat sexuelle Gewalt überlebt und immer noch mit den Folgen zu kämpfen.
- Wo ist der Typ, damit ich ihn umbringen kann? Und wieso verknacken wir eigentlich nicht alle Täter sexueller Gewalt lebenslänglich, um weitere Menschen vor ihnen zu schützen? Es handelt sich nachweislich bei fast allen um Serientäter.
- Trans Frauen verdienen mehr Sicherheit. Cis Frauen und Mädchen verdienen aber auch mehr Sicherheit. Sie will nicht, dass ihre Töchter das mitmachen, was sie erlebt hat.
- Wieso schließt sich das aus?
- Es gibt Pläne, dass in Schottland zur Personenstandsänderung bald nur noch eine einfache Erklärung nötig ist. Also muss jetzt ein Typ nur noch hingehen, behaupten, dass er eine Frau sei, und auf einmal habe er Zugang zu Räumen, die sonst nur Frauen offen sind.
- Täter könnten das ausnutzen!
- Äh. Okay. Also, die Kerle, die in Südkorea Kameras auf Damentoiletten installieren, können das prima ohne wechselnden Geschlechtseintrag. JKR glaubt doch nicht ernsthaft, dass ein potentieller Täter erst mal über eine bürokratische Hürde springt, um an nicht von Putzpersonal beaufsichtigten Orten (egal ob Klos, Umkleiden, Parks, Clubs oder daheim) Frauen zu vergewaltigen? Und was ist mit den trans Personen, die in Toiletten beschimpft, verprügelt oder vergewaltigt werden, weil sie irgendeiner übergriffigen, transfeindlichen cis Person nicht passen?
Widersprüchliches Fazit 2:
JKR akzeptiert trans Frauen und will sie beschützen, aber im Grunde verdächtigt sie alle trans Frauen, potentielle Täter für sexuelle Gewalt zu sein.
Ende
Und das, meine lieben Mitmenschen, ist dann in gleich zwei Varianten transfeindlich. Aber halt echt verdammt gut versteckt.
Danke für den Artikel!
Dass „Männer“ dank des geplanten Gender Recognition Act ohne jede Hürde juristisch als Frauen anerkannt werden sollen, ist einfach auch sachlich falsch.
Ganz abgesehen davon, dass ein cis Mann so etwas weder tun würde noch müsste. Die Idee, dass ein cis Mann, der Frauen vergewaltigen will, an der moralischen Hürde scheitert, Frauentoiletten ja nicht legal betreten zu dürfen und sich deswegen erst mal rechtlich zur Frau erklären lässt, ist dermaßen gaga, dass ich mich frage, wie man so etwas veröffentlichen kann, ohne dass irgendein Stimmchen einem zuflüstert, dass man sich vielleicht gerade ein klitzekleines bisschen verrennt.
Bürokratie hin oder her (ich habe mir nicht die Mühe gemacht, mir das Gesetz anzuschauen): Selbst wenn ihre Zusammenfassung korrekt wäre, zöge das Argument immer noch nicht.
Da hast du vollkommen recht. Ich finde es aber aussagekräftig, wenn jemand mit Millionen Followern und in dem Wissen um eine riesige Aufmerksamkeit nicht nur eine üble Argumentation präsentiert, sondern diese auch noch auf objektiv falsche Fakten gründet.
Da fragt man sich doch, wie kommt es dazu? Entweder plappert Rowling die fake news aus der transfeindlichen Blase, in der sie sich offenbar gern bewegt, unbesehen nach, was mindestens extrem fahrlässig wäre, oder sie kennt die Fakten und lügt bewusst. Beides spricht für mich noch mal eine andere Sprache als nur ihre gruselige transfeindliche Argumentation allein.
Um zu verstehen um welche Kontexte es geht muss man sich mit Magdalena Berns Videos auseinandersetzen. JKK scheint sich hier auf einen Teilaspekt fixiert zu haben, der mir aber nicht unbedingt der zentrale zu sein scheint. Es geht dabei nicht wirklich um Toiletten oder Umkleidekabinen sondern um die zumindest subjektiv so wahrgenommene „Unterwanderung“ weiblicher Räume und weiblicher Identitäten (oder sogar der Gesellschaft ansich) über die Hintertür einer (behaupteten) weiblichen Geschlechtsidentität durch Männer. Wenn man ließt wie aggressiv JKK offensichtlich dafür angegangen wird ihre Perspektive zu vertreten habe ich persönlich 0 Sympathien für ihre Gegenseite.
JKR natürlich. JKK ist dann die Kreuzung mit AKK und ein Gender für sich ;)
„JKR akzeptiert trans Frauen und will sie beschützen, aber im Grunde verdächtigt sie alle trans Frauen, potentielle Täter für sexuelle Gewalt zu sein.“
Hm? Wolltest du einmal „trans Männer“ sagen? Oder ist JKRs Logik so verschwurbelt, dass ich nicht mehr folgen kann?
Sie hackt einmal auf trans Männern rum (also auf Männern, die gleichzeichtig trans sind) und einmal auf trans Frauen, von denen sie offenbar sehr viele für Männer hält, die sich nur an cis Frauen vergreifen wollen.
Logik ist das nicht, aber rhetorisch brilliant.
Letztlich geht es dabei ja um den auch medial ausgetragenen Machtkampf zwischen dem Queerfeminismus (der mir ein Problem mit dem Geschlecht ansich zu haben scheint und bei dem man sich daher manchmal schon die Frage stellen kann ob das dann überhaupt noch ein Feminismus im eigentlichen Sinne des Wortes ist) vs. dem klassischen 2nd wave Feminismus, bei dem es eben um Frauen geht und deren Vertreter von den Queerfeministen wohl ganz gerne schon allein deswegen als TERFs tituliert werden, weil sich eine Frau (=erwachsene weibliche Person) eben nicht über ihr „Gender“ sondern über ihr Geschlecht definiert.
Geschlecht ist eine biologische Kategorie und als solche schlicht nicht verhandelbar und an diesem Umstand entzündet sich letztlich wohl die ganze Kontroverse. Obwohl es also natürlich auch im biologischen Sinne „Grenzfälle“ gibt (die ja nicht erst bei uneindeutigen Genitalien anfangen weshalb man z.B. auch hormonelle Faktoren, die in der Folge dann vielleicht sogar manchmal die Ursache einer Identifikation mit dem anderen oder keinem Geschlecht sind, auch als „milde“ Inter- Phänomene und nicht (nur) als Trans-Phänomene einordnen könnte) kann man sich sein Geschlecht nicht aussuchen. Übrigens finde ich es ja ganz witzig wenn einerseits Gender als eine soziale Kategorie gesehen wird und dann anderseits selbstidentifizierte Transgender dann doch z.B. Hormone (etwas biologisches) nehmen wollen. Vielleicht wäre es daher manchmal auch in der medialen Diskussion besser begrifflich etwas genauer zwischen z.B. Transgender und Transsexuellen und vor allem auch den Leuten, die vielleicht nur temporär mal ein „Rollenspiel“ spielen wollen (Transvestiten, etc.) oder die sogar eine (womöglich traumabedingte und da wird es dann richtig schwierig) psychische Problematik haben, die sie veranlasst mit ihrem Geschlecht nicht klar zu kommen, zu differenzieren und nicht gleich immer alles unter einen einzelnen Sammelbegriff zu packen, nur weil man Angst hat ansonsten jemanden zu diskriminieren.
Die komplette Diskussion entzündet sich an dieser Gender/Sexus-Sache, ja, und trans ist ein extrem weites Feld, so wie viele Dinge. Ich bin da auch nicht in allen Punkten mit dem Queerfeminismus d’accord — Hormone haben halt einen Einfluss auf den Körper UND oft auf die Psyche, egal ob’s nun Östrogen, Testosteron, Testosteronblocker, L-Thyroxin oder Vitamin D ist.
Aber JKRs Argumente dafür und dagegen funktionieren halt vorn und hinten nicht und sind auch herablassend denen gegenüber, die sie zu unterstützen vorgibt.
Um den Beweis ging es mir.
Um ehrlich zu sein kann ich viele Schlussfolgerungen auf Grundlage des Textes nicht so ganz nachvollziehen, z.B. „JKR unterstützt als Feministin trans Männer, auch wenn das ihrer Meinung nach zu 60 bis 90% Frauen sind, die einfach keinen Bock mehr haben, vom Patriarchat unterdrückt zu werden“. bzgl.der 60-90% fand ich nur die Aussage, dass laut Studienalge eben so viele Jugendliche aus ihrer Dysphorie auch wieder rauswachsen. Ich kenne die Studienalge nicht aber wenn das so ist fände ich das nicht verwunderlich, denn mit dem eigenen Körper in der Pubertät Probleme zu bekommen ist gerade bei Frauen ja nun wirklich nicht selten.
Ob nun in der Realität mehr biologische weibliche Menschen vergewaltigt werden weil sie Männertoiletten benutzen oder sich mehr biologisch männliche Menschen mit dem Argument Frauen zu sein in rein weibliche „Safe Spaces“ einschleichen (bzw. nicht damit klar kommen in reinen Frauengruppen ggf. unerwünscht zu sein) weiß ich nicht aber ohne die Datenlage zu kennen wirken solche Argumente ganz generell schon etwas konstruiert. Dass jede von einer bestimmten Linie abweichende Perspektive auch immer gleich als Sexismus oder schlimmeres betrachtet wird macht es im Grunde genommen leider unmöglich sich zu dem Thema überhaupt zu äußern wenn man an solchen Shitstorm-Battles gar kein Interesse hat (ein Grund warum ich mich sicher niemals auf Social Media rumtreiben werde ;) )
Hmmm. Ich weiß auch, warum ich nicht auf Twitter bin. ^^
Jedenfalls, den ersten Punkt gebe ich dir, sie schreibt nur von Dysphorie, trotzdem unterhöhlt sie damit die Zusage der Unterstützung, wie ich finde. (Sie impliziert, dass trans Männer halt nur kurzfristig einen Dachschaden haben. Mir wurde oft genug ein Dachschaden, kurzfristig oder nicht, vorgeworfen, um zu wissen, wie nutzlos so was ist.)
Und den zweiten Punkt mag sie meinen, aber es bleibt hängen, dass sie alle trans Frauen für (potentielle) Täterinnen hält. Das ist halt minder differenziert für diese doch recht diffizile Diskussion um Raumverteilungen.
Laurie Penny hat einen, wie ich finde, extrem lesenswerten Artikel dazu geschrieben:
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