Was sich die Autorin gedacht hat: Heilika

Nachdem es an anderer Stelle Widerspruch gab, als ich Heilika als butch präsentierend bezeichnet habe, dachte ich, ich muss das mal ausführen. Außerdem ist morgen offiziell großer Tag, und ich schreibe lieber was, als mir an den Nägeln zu kauen und auf Rezensionen zu warten.

Üblicherweise überlappen sich ja „was di*er Autor*in sich dabei gedacht hat“ und das, was die Wissenschaft später glaubt, das di*er Autor*in gedacht hat, nicht zu hundert Prozent. (Hier geht’s zu einer englischsprachigen Analyse, dass Iago nicht neidisch auf Othello war, sondern eifersüchtig. Mein lokales Theater hat derletzt Antonio aus „Was ihr wollt“ als verliebt in Sebastian gezeichnet, was eine Zeitung gar nicht lustig fand. *kopfkratz* Der Text kann slashig gelesen werden, sogar ohne rosa Brille.)

Nun bin ich weit entfernt von Shakespeare. (Größenwahn irgendwer? Ich hätte welchen abzugeben.) Aber Heilika – Betonung auf der zweiten Silbe – ist kompliziert genug, um ein paar Worte über sie zu verlieren, ohne all zu viel darüber zu verraten, wie die Geschichte ausgeht. Für extrem Spoilerscheue gibt’s trotzdem einen Cut.

Heilika ist genderqueer/agender. Sie hat kein Bedürfnis, einen Satz „lästige Teile“ gegen einen anderen Satz lästige Teile zu tauschen, fühlt sich aber weder männlich noch weiblich. Mit dem Pronomen „sie“ hat sie keine größeren Schwierigkeiten.

Trotzdem läuft sie mit kurzen Haaren durch die Gegend und bindet ihre Brüste flach. Die meisten Menschen, die sie sehen, halten sie deswegen für einen jungen Mann, und das ist Heilika auch sehr recht.

Um diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen, müssen wir uns zuerst anschauen, in welcher Welt sie eigentlich lebt.

Als da wäre ein Staat, in dem nur Männer Immobilien und Ämter erben können. (Ohne Stern, siehe nächster Absatz.) Erbinnen werden grundsätzlich nur an der beweglichen Habe beteiligt.

Die Existenz von transidenten Personen ist bekannt, und wird als nicht kurierbare Folge eines Drudenbisses wahrgenommen. Üblicherweise lässt mensch diese Leute einfach ihr Leben leben, solange sie kein Aufhebens machen, also zum Beispiel heiraten wollen. Als FAAB (female assigned at birth) oder Trans*frau werden sie in Erbschaftsfragen grundsätzlich als weiblich behandelt.

Die einzigen Frauen, die an der Macht institutionell beteiligt sind, sitzen im Königlichen Rat: Vier Ratsgodinnen – also vier Priesterinnen der wichtigsten weiblichen Gottheiten. Davon eine Gesundheitsministerin, eine für Seefahrt und Gewässerschutz, und zweimal eher Dekoration. Zu der Zeit, als die Geschichte spielt, vertritt eine Rätin den Sonnenorden, quasi als Verteidigungs- und Polizeiministerin in Personalunion.

Aber alle diese Rätinnen und Priesterinnen sind erstens, zauberbegabt, und zweitens, deswegen an einen Eid gebunden, der dafür sorgt, dass sie sich um Familienplanung keine Gedanken machen müssen/dürfen.

Wohingegen von nicht begabten Frauen erwartet wird, dass sie jungfräulich heiraten, und dann ihrem Ehegespons den Haushalt führen, Kinder bekommen, etc. pp., oder, so kein Geld zum Heiraten vorhanden, bei ihren Eltern und/oder einem Bruder bleiben, und da den Haushalt machen. Berufstätigkeit bei Geldnot erfolgt entweder als Magd/Dienstmädchen oder als Krämerin. Gelernte Berufe stehen Frauen nicht offen.

Frauen wird nicht zugetraut, andere Dinge zu können als den Haushalt zu führen und Kinder zu erziehen. Die einzigen Frauen, die diesem Bild widersprechen, sind die Heilerinnen – ebenfalls begabt und damit Nonnen – und weibliche Ritter vom Sonnenorden. Schon die Tatsache, dass Ritter und Knappen alle ohne weibliche Form benamst werden, sagt etwas darüber aus, dass eine weibliche Form in diesem Land dazu führen würde, dass der betreffenden Person weniger zugetraut würde als einem Kollegen.

Da Heilika außerdem nicht transident ist, wird ihr trans*-Dasein als eine heilbare Form von Irrsinn wahrgenommen. Diverse Versuche gut gemeinter magischer Gehirnwäsche sind an ihr gescheitert – alle mit dem Ziel, sie zu einer „richtigen“ Frau zu machen. Sie leidet daher an verinnerlichtem Sexismus und einem Groll gegen alle Personen, die als „richtige“/Stereotype-Frauen dazu beitragen, dass sie nicht ernst genommen wird.

Nebenher ist Heilika asexuell – sie schaut nicht, und angeschaut werden will sie schon gar nicht. Frauen werden aber als „Objekt der Begierde“ gelesen, und niemals als Subjekt derselben. Frauen haben nicht zu umwerben, sie haben umworben zu werden. Sexuell aggresive Frauen sind lose Weibsbilder und bekommen die volle Wucht gesellschaftlicher Nichtakzeptanz zu spüren.

Insofern hat Heilikas Äußeres zwei für sie angenehme Effekte: erstens ist sie seltener Flirts ausgesetzt, und zweitens wird ihre Autorität eher respektiert.

5 Gedanken zu „Was sich die Autorin gedacht hat: Heilika

  1. Hat dies auf Der Torheit Herberge rebloggt und kommentierte:

    Nun hatte ich ja mal vor Ewigkeiten was über das Schreiben von asexuellen Figuren zum Besten gegeben, und die Figur damals mit H. bezeichnet. Hier ist nun eine Charakterstudie in aller Ausführlichkeit auf dem anderen Blog.

  2. Pingback: [Gastartikel] Er, sie, xier, nin: Genderneutrale Pronomen | Weltenschmiede

  3. Pingback: Verliebte Mädchen aus Druckerschwärze « fructus dulces

  4. Pingback: Heilika, Gender und die Abstinenz | Carmilla DeWinter

  5. Pingback: Zur Konzeption von Homophobie in „Albenerbe“ | Carmilla DeWinter

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