Dialog und Subtext

Vor einer Woche hat mir meine Lektorin den Text für den zweiten Teil der Albenbrut zurückgeschickt. Das heißt, in meiner Freizeit sitze ich zuvörderst vor meinem Computer, finde Stilmängel und flicke kleinere Plotlöcher. Große hat sie keine gefunden, worüber ich sehr erleichtert bin.

Der Witz an der Sache ist, dass ich auf einmal viel mehr Mist finde als meine Lektorin. Unschöne Wiederholungen von Wörtern und gleichen Satzkonstruktionen, überflüssige Adverbien, etc. pp.

In diesem Zusammenhang fiel mir ein, dass ich vor einiger Zeit mal ein Tutorial für eine Schreibkollegin gemacht habe, die ihre liebe Not mit dem Konzept „Dialog“ hatte.

Dialog dient immer der Informationsvermittlung, und zwar an die Leser_innen. Wir bekommen Informationen über die Welt und die Figuren. Wer geschickt damit arbeitet, kann auf Infodumps* verzichten. Außerdem sind Dialoge bestens dafür geeignet, Konflikte zu erzeugen und zu vertiefen. Konflikte sind Spannungen zwischen den Figuren, und wie Autor_inn_en von Fiktion wissen sollten: Ohne Spannung geht gar nichts. Di_e_r Leser_in klappt das Buch zu, beziehungsweise schließt die Datei, und nix war’s mit der guten Rezi bei Amazon.

Nun ist kein erster Entwurf perfekt, und um der Kollegin zu zeigen, wozu Überarbeitungen alles gut sind, habe ich für sie die frühe Version einer Szene zerpflückt. Unter dem Cut also einmal, „wie schreibe ich einen Dialog?“, oder, besser gesagt, „wie überarbeite ich einen Dialog?“. Wer gerne weiterhin dem Genieglauben anhängen möchte, klicke den Link nicht an.

*Infodump: Mit der Mistkarre sämtliche relevanten und irrelevanten Infos über die Leser_innen kippen. Die werden’s schon sortieren …

Hier geht’s in Gruselkabinett:

Dies ist die um Tippfehler bereinigte Version 1:

Im Schloss war deutlich mehr los als sonst an einem frühen Morgen. (1) An jeder Ecke stand ein Wachposten, misstrauisch alles beäugend, was vorbeiging. Selbst Tankred und sein Lehrer, der Ritter Ingfried, blieben nicht ausgenommen, obwohl sonst die Ritter vom Sonnenorden mit Ehrfurcht behandelt wurden.

Tankred hatte ein flaues Gefühl im Magen. Was auch immer da passiert war, ein Übel, über das der Bote nichts gewusst hatte, es würde zumindest die Welt auf den Kopf stellen.

Der Rosengarten selbst war mit ein paar Schranken abgeriegelt, und im Hauptgang wimmelte es von Leuten. Wachen in den Farben des Königs, blau und gold, Heiler in grüner Tracht und zwei Dienerinnen der Dunklen Herrin in schwarz.

Ganz offensichtlich war jemand gestorben. (2)

Sie hielten an der Schranke, und Ingfried winkte einen Wächter herbei. „Ritter Ingfried, und mein Knappe, Tankred. Wir wurden vom Hauptmann hergebeten.“

„Ich gehe ihn holen. Wartet hier. Bitte.“ (3) Der Wächter eilte davon, und kam schließlich mit dem Hauptmann zurück.

Der Hauptmann war klein, dick, mit einem vor Aufregung rotem Gesicht, und war der einzige Wächter, der eine lederne Kappe statt eines Helms trug. An der Krempe wippte eine schmale blaue Feder.

„Ehrwürdiger Ritter, Knappe. Ich bin Dietmar von Dreiberg“, sagte er, und salutierte. „Vielen Dank, dass Ihr so schnell erschienen seid.“

„Wie es unsere Pflicht ist“, sagte Ingfried milde. „Es gab einen Todesfall?“

„Unglücklicherweise. (4) Wenn Ihr mir folgen wollt?“

Er hob die Schranke für sie und führte sie den Hauptgang entlang.

„Man hat sie heute gefunden, kurz vor Sonnenaufgang. Einer meiner Wächter, auf einem der zwei üblichen Kontrollgänge, die wir hier nachts machen. Er hat zunächst einen Heiler aus dem Schloss gerufen, aber der konnte nur noch den Tod feststellen.“

Der Haufen Schaulustiger wich beim Anblick von Ingfrieds und Tankreds gelben Umhängen zurück. Ein paar machten erleichterte Gesichter, da sich jetzt die Zauberer fürs Grobe darum kümmern würden.

Am Boden lag eine Frau in grüner Tracht. Auf ihrem Gesicht war Blut getrocknet, und es sah so aus, als wäre es mit Fingern verschmiert worden. Die tote Heilerin hatte ein etwa faustgroßes Loch im Bauch, schwarz versengt an den Rändern. Wenn man nahe genug heranging, konnte man den Kiesweg durch das Loch hindurch sehen. Tankred schluckte und hoffte, dass sein Frühstück dort bleiben würde, wo es sich im Augenblick befand. (5)

„Dies hier war die Erste Heilerin der Königin, Brünn“, erklärte der Hauptmann. „Wie Ihr seht, ist sie mit Zauberei um ihr Leben gebracht worden.“

„Möge die Dunkle Herrin ihr gnädig sein“, sagte Ingfried. Er rückte seine Ärmel zurecht und ging neben dem Leichnam in die Hocke. Zunächst begutachtete er das Loch. „Das hier ist von so starker Hitze versengt worden, dass es nicht geblutet hat.“ Er ließ eine Pause. „Ich gehe von einem Blitz aus.“

Tankred begutachtete die Hecken ringsum, dankbar, nicht weiter die Tote sehen zu müssen. „Es hat nur sie verbrannt. Es gibt sonst keine Brandspuren.“

„Also war es gut gezielt. Jemand mit sehr großer Macht hat sie sich zum Opfer erwählt.“

Und die einzigen, die irgendwen mit einem Zauber töten würden, waren Schwarzmagier. Tankred bis sich auf die Unterlippe, kein Wunder, dass er ein schlechtes Gefühl bei der Sache hatte – aber offensichtlich hatten ihre Zuschauer noch nicht begriffen. (6)

„Nun denn.“ Ingfried griff der Toten ans Kinn, aber es ließ sich nicht bewegen. „Sie liegt hier schon eine Weile. Ihr Gesicht ist unversehrt, ich gehe davon aus, dass dieses Blut nicht ihr eigenes war. Ein Heiler, bitte?“

Ein junger Mann trat vor. Sein Gesicht hatte fast die gleiche Farbe wie seine grüne Robe.

„Ich habe einen Verdacht. Wenn Ihr ihr bitte den Mund öffnen wollt?“

Der Heiler knetete seine Hände für einen Moment, ging dann aber neben Ingfried in die Hocke und griff nach ihrem Kiefer. Tankred konnte den Zauber im magischen Feld sehen, und dann klappte auch schon der Mund auf.

Ingfried langte nach einen kleinen Fetzen, der zwischen braun verfärbten Schneidezähnen hing, und zog.

Der Heiler schüttelte sich. (7)

„Das hier ist ein Stück Haut“, sagte Ingfried, nachdem er seinen Fund ausgiebig betrachtet hatte. „Vermutlich von einer Handinnenfläche. Man kann die Linien sehen.“

„Sie hat den Angreifer gebissen?“, fragte der Hauptmann.

„Das glaube ich. Und seht Euch die Spuren an. Eine linke Hand. Hier der Daumen“, er zeigte auf den obersten der blutigen Fingerabdrücke. „Wahrscheinlich ist der Mörder Linkshänder.“ Ingfried stand auf und schüttelte den Hautfetzen von seiner Hand. „Darf ich, Tankred?“

Tankred nickte, obwohl er nicht wusste, was sein Lehrer da plante. Solange er bloß nicht mit den Händen an sein Gesicht kam.

„Wissen wir, was die Erste Heilerin hier im Garten tat?“ (8)

„Sie hat sich nach Vorschrift bei der Wache am Inneren Tor abgemeldet, und zurückgemeldet. Sie sagte, sie sei ihre Schwester in der Stadt besuchen gewesen, die hat vor einer Woche ihr erstes Kind geboren“, sagte der Hauptmann.

„Ihre Schwester“, wiederholte Ingfried.

Tankred verkniff sich eine ungläubige Bemerkung. Kein Begabter in Friedlant kannte seine Familie.

Der Hauptmann trat von einem Fuß auf den anderen, als sei es seine Schuld, dass gegen die Regeln verstoßen worden war.

„Bitte…“, sagte der Heiler, der noch immer neben der Leiche hockte. „Die Schwester ist ein gleicher Zwilling. Keiner wusste, dass sie hierher heiraten würde, und es war ganz zufällig, dass sie die Erste Heilerin konsultierte, als die noch in der Stadt tätig war.“

Ingfried nickte. „Ein unglücklicher Zufall, will ich meinen, aber nicht mehr zu ändern. Wir werden sehen, ob der Rat davon wusste.“

Der Heiler zuckte die Schultern. „Sie sagte, es sei genehmigt.“

„Diese Schwester werden wir als nächstes sprechen müssen. Aber zurück zur Tat. Brünn kam von der Stadt her.“ Ingfried nahm Tankred bei den Schultern und stellte ihn in die Mitte des Hauptganges. Die kleine Gruppe machte einen Kreis um sie. „Gesetzt den Fall, ich wollte jemanden überraschen, dann ist dieser Gang hier ein gutes Versteck, weil die Spaliere mehr als mannshoch wachsen und die Hecken sehr dicht sind. Ein Schatten würde also nicht auffallen.“ Er machte einen Schritt hinter Tankred. „Wenn ich mein Opfer nur töten wollte, könnte ich das von hier aus mit einer Keule, jeder anderen Waffe oder Zauberei bequem tun. Warum also das Blut in ihrem Gesicht?“

Tankred fand den rechten Arm seines Lehrers vor seinen Schultern schweben und die linke Hand vor seinem Mund. Er bemühte sich, das abgeschilferte alte Blut nicht zu beachten.

„Er – oder sie – hat sich die Erste Heilerin von hinten gegriffen. Sie hat ihn gebissen, und vielleicht hat sich daraus ein Zweikampf entsponnen. Als Heilerin wird sie zumindest gewusst haben, sich zu verteidigen.“ (9)

„Das ist alles schön und gut“, brummelte der Hauptmann. „Aber wie viele Zauberer kennt Ihr, die zu so etwas fähig wären?“

„Einige. Aber kein Heiler, Ritter oder Gottesdiener könnte so etwas tun.“

Nur jemand, der nicht in Friedlant ausgebildet war, konnte ohne Befehl töten, und da die fremdländischen Zauberer streng überwacht wurden, hieß das, dass ein gesetzloser Zauberer unterwegs war.

„Wir haben einen Einwanderer ohne Erlaubnis“, schlussfolgerte Ingfried. „Vermutlich einen Schwarzkünstler.“ (10)

Die Zuschauer ließen kleine Laute des Entsetzens hören; einige spreizten die Finger, um das Böse abzuwehren.

„Wie kann das sein?“, fragte der Hauptmann. „Ich denke, Schwarzkünstler sind nirgendwo gern gesehen, es sei denn, sie sitzen auf einem Thron.“ …

(1) Eine Behauptung sollte bewiesen werden. Zweitens: Wer spricht?

(2) Tankred weiß genau, warum er hier ist, der Kommentar erübrigt sich.

(3) Wo ist die Ehrfurcht von vorhin? Gibt es etwas, woran man die Ritter vom Sonnenorden erkennt?

(4) Es wird über das Offensichtliche geredet. Wir müssen davon ausgehen, dass Ingfried wusste, dass er es mit einer Leiche zu tun bekommt, bevor er von seinem Kloster losgegangen ist. Also: Nicht gut. Außerdem Konfliktpotential verschenkt.

(5) Das ist in Anbetracht von Ingfrieds Lieblingsbeschäftigung – die in der Szene erwähnt werden sollte – mehr verschenktes Konfliktpotential

(6) Erstens: Der Hauptmann ist clever genug, um selbst auf einen Schwarzkünstler als Täter zu kommen, sonst hätte er den Job nicht. Figuren müssen immer am oberen Rand ihrer Möglichkeiten agieren.

(7) Perspektive: Tankreds Innenansicht fällt ganz raus, als Resultat wackelt die Kamera. Das Problem zieht sich durch die gesamte Szene. Außerdem: oben habe ich die Sorge um sein Frühstück erwähnt, da wird er jetzt nicht unbewegt zuschauen.

(8) Hier fehlt das Follow-up. Ingfried tut erst mal nichts, wozu eine Erlaubnis nötig wäre.

(9) Ingfried wird Tankred irgendwann auch wieder loslassen, das sollte erwähnt werden

(10) Siehe Nummer 4: da hätte jeder in dieser Gesellschaft drauf kommen können. Ein Fall von Worldbuilding mit dem Vorschlaghammer.

Fazit: Das geht auch viel besser. Mehr Konfliktpotential suchen, die Figurenkapazitäten auf zwölf drehen, Wiederholungen streichen, Kamera festschrauben, also nächster Versuch… und dann noch einer, und noch ein paar mehr, weil ich nämlich nicht gut genug bin, um das alles in einem Aufwasch zu erledigen. Zwischenzeitlich haben Testleser_innen und Lektorat was zu meckern.

Am Ende steht die Druckversion: Immer noch nicht perfekt, aber irgendwann muss gut sein:

Im Schloss stand an jeder Ecke ein Wachposten, misstrauisch jeden beäugend, der vorbeiging – selbst Tankred und Ingfried blieben nicht ausgenommen, obwohl der Sonnenorden sonst mit Ehrfurcht behandelt wurde.

Tankred hatte ein flaues Gefühl im Magen, das nichts mit seinem heruntergeschlungenen Frühstück zu tun hatte. Was auch immer da geschehen war, ein Übel, über das der Bote nichts gewusst hatte, es würde zumindest die Welt auf den Kopf stellen.

Der Rosengarten war mit ein paar Schranken abgeriegelt, und im Hauptgang wimmelte es von Leuten. Wachen in blau und gold, den Farben des Königs; tuschelnde Dienstboten, zwei Heiler in grüner Tracht und drei Godinnen der Dunklen Herrin in schwarz. (1)

Tankred und Ingfried hielten an der Schranke, und Ingfried winkte einen Wächter herbei. „Ritter Ingfried, und mein Mündel, der Knappe Tankred. Wir wurden vom Hauptmann hergebeten.“ (2)

Der Blick des Wächters huschte über ihre gelben Mäntel, suchte die goldene Borte an Ingfrieds und den silbernen Streifen für Knappen an Tankreds. (3) „Ich gehe ihn holen, ehrwürdige Herren. Wartet hier, bitte.“

Der Wächter eilte davon, und kam schließlich mit dem Hauptmann zurück, einem stämmigen Mann mit einem vor Aufregung roten Gesicht. Als einziger Wächter trug der Hauptmann statt eines Helms eine lederne Kappe, an deren Krempe eine schmale blaue Feder wippte.

„Ehrwürdige Herren. Ich bin Dietmar von Dreiberg. Vielen Dank, dass Ihr so schnell erschienen seid.“

„Wie es unsere Pflicht ist“, sagte Ingfried milde. „Auch wenn Todesfälle nicht unser eigentliches Aufgabengebiet sind.“ (4)

Tankred unterdrückte ein Lächeln. Angestammtes Aufgabengebiet oder nicht, Ingfrieds Begeisterung für rätselhafte Verbrechen dämpfte das keineswegs.

Von Dreiberg hingegen verzog den Mund. „Wir haben Euch nicht gerufen, weil uns fähige Ermittler fehlen. Wenn Ihr mir folgen wollt?“ (5) Er hob die Schranke für sie und führte sie den Hauptgang entlang. „Einer meiner Wächter hat die Leiche heute gefunden, kurz vor Sonnenaufgang, auf einem der zwei üblichen Rundgänge, die wir hier nachts machen. Er hat zunächst einen Heiler aus dem Schloss gerufen, aber der konnte nur noch den Tod feststellen.“

Der Haufen Schaulustiger wich beim Anblick von Ingfrieds und Tankreds gelben Mänteln zurück. Ein paar machten erleichterte Gesichter.

Am Boden lag eine Frau in grünen Gewändern, mit einem Handabdruck auf ihrem Gesicht, Blut wahrscheinlich, und mehr davon an ihrer linken Schulter. Getötet haben musste die Heilerin die etwa faustgroße Wunde in ihrem Bauch, schwarz versengt an den Rändern; wenn man nahe genug heranging, konnte man den Kiesweg durch das Loch hindurchsehen. Tankred schluckte und hoffte, dass sein Frühstück dort bleiben würde, wo es sich im Augenblick befand. Ganz gleich, wie viele Leichen er besichtigte, der Würgereiz wurde nicht besser.

Ingfried warf ihm einen warnenden Blick zu. (6)

Tankred entfernte sich einen Schritt und hob das Kinn.

„Dies hier war die Heilerin der Königin. Brünn“, erklärte von Dreiberg leise. „Wie Ihr seht, ist sie mit Zauberei getötet worden. Offensichtlich gibt es einen Schwarzkünstler in der Stadt.“ (7)

Obwohl Tankred der Letzte war, der etwas dagegen hätte unternehmen können, fühlte er sich schuldig. Er biss sich auf die Unterlippe und sah zu Boden.

Ingfried zuckte nur mit der Nase, und schien vom Vorwurf der Hauptmanns nicht weiter beeindruckt. „Möge die Dunkle Herrin ihr gnädig sein.“ (8)

Tankred murmelte ihm die Worte nach.

Wie immer machte Ingfried eine Schau daraus, seine langen Haare zurückzubinden, die Handschuhe auszuziehen und die Ärmel hochzukrempeln. Dann ging er neben dem Leichnam in die Hocke, begutachtete zunächst das Loch. „Das hier ist von so starker Hitze versengt worden, dass es nicht geblutet hat. Ich gehe von einem Blitz aus.“

Tankred suchte die Hecken ringsum ab. „Ein paar Blätter da drüben sind schwarz.“

Ingfried drehte den Kopf, um es sich anzusehen. „Da muss man sehr genau hinschauen. Also war es gut gezielt. Jemand mit großer Macht hat sie sich zum Opfer erwählt.“

Einige ihrer nicht begabten Zuschauer machten Zeichen gegen böse Einflüsse.

„Nun denn.“ Ingfried griff der Toten ans Kinn, ruckelte, aber es ließ sich offenbar nicht bewegen. „Sie liegt hier schon eine Weile. Ihr Gesicht ist unversehrt, ich gehe davon aus, dass dieses Blut nicht ihr eigenes ist. Ein Heiler, bitte?“

Ein junger Mann trat vor, dessen Gesicht fast die gleiche Farbe hatte wie seine grüne Robe. Immerhin einer hier mochte Leichen also genauso wenig wie Tankred.

„Ich habe einen Verdacht“, sagte Ingfried. „Wenn Ihr ihr bitte den Mund öffnen wollt?“

Der Heiler knetete für einen Augenblick seine Hände, ging dann aber neben Ingfried in die Hocke und griff nach Brünns Kiefer. Tankred sah den Zauber im magischen Feld leuchten, und dann klappte auch schon der Mund auf.

Ingfried langte nach einem Fetzen, der zwischen rotbraun verfärbten Schneidezähnen hing, und zog.

Brr. Tankred schluckte. Der Heiler schüttelte sich.

„Das hier ist ein Stück Haut“, stellte Ingfried fest, nachdem er seinen Fund ausgiebig betrachtet hatte. „Vermutlich von einer Handfläche. Man kann die Linien sehen.“

„Sie hat den Angreifer gebissen?“, fragte der Hauptmann.

„Das glaube ich. Und seht Euch die Spuren an. Eine linke Hand. Hier der Daumen“, er zeigte auf den obersten der blutigen Fingerabdrücke. „Wahrscheinlich ist der Mörder Linkshänder.“

„Albenbrut“, flüsterte irgendwer.

Tankred rollte mit den Augen. Einer dieser Ewiggestrigen, die glaubten, dass die Linkshänder von den Alben auserwählt waren, Unruhe zu stiften.

„Albenbrut hin oder her.“ Ingfried stand auf und schüttelte den Hautfetzen von seiner Hand. „Wissen wir, was Brünn hier im Garten tat?“

„Sie hat sich nach Vorschrift bei der Wache am Inneren Tor ab- und zurückgemeldet“, sagte von Dreiberg. „Sie wollte ihre Schwester in der Stadt besuchen, die hat vor einer Woche ihr erstes Kind geboren.“

„Ihre Schwester“, wiederholte Ingfried dumpf.

Tankred verkniff sich eine ähnlich ungläubige Bemerkung – kein Begabter in Friedlant kannte seine Familie. Durfte sie nicht kennen.

Von Dreiberg trat von einem Fuß auf den anderen, als sei es seine Schuld, dass gegen die Gesetze verstoßen worden war.

„Bitte …“, sagte der Heiler, der noch immer neben der Leiche hockte. „Die Schwester ist ein gleicher Zwilling. Keiner wusste, dass sie hierher heiraten würde, und es war Zufall, dass sie Brünn traf, als die noch in der Stadt tätig war.“

Ingfried nickte. „Ein äußerst unglücklicher Zufall, will ich meinen. Wussten Eure Oberen davon?“

Der Heiler zuckte die Schultern. „Sie sagte, es sei genehmigt.“

„Diese Schwester werden wir als nächstes sprechen müssen. Aber zurück zur Tat. Brünn kam von der Stadt her.“ Ingfried nahm Tankred bei den Schultern und schob ihn in die Mitte des Hauptweges. (9) „Gesetzt den Fall, ich wollte jemanden überraschen, dann ist dieser Gang hier ein gutes Versteck, weil die Hecken mehr als mannshoch wachsen und sehr dicht sind. Ein Schatten würde nicht auffallen.“ Er machte einen Schritt hinter Tankred. „Wenn ich mein Opfer nur töten wollte, könnte ich das von hier aus mit einer Keule, jeder anderen Waffe oder Zauberei bequem tun. Warum also das Blut in ihrem Gesicht?“

Tankred zuckte zusammen, als Ingfried ihn mit rechts umklammerte und seine linke Hand vor Tankreds Mund schweben ließ. Um das alte Blut an Ingfrieds Fingern nicht sehen zu müssen, drehte er den Kopf weg.

„Er – oder sie“, fuhr Ingfried mit seinem Vortrag fort, „hat sich Brünn von hinten gegriffen. Sie hat ihn gebissen, und daraus entspann sich ein Zweikampf. Als Heilerin wird sie zumindest gewusst haben, sich zu verteidigen.“

„Das ist alles schön und gut“, brummelte von Dreiberg. „Aber damit finden wir den Mörder auch nicht.“

Endlich ließ Ingfried Tankred los. (10) „Wir wissen, dass der Mörder etwas wollte, außer Brünn zu töten. Falls letzteres überhaupt beabsichtigt war.“ (…)

(1) Gode/Godin klingt doch gleich viel hübscher als Gottesdiener_in.

(2) Rangabzeichen for the win!

(3) Mit der Änderung von Lehrer nach Mündel sorge ich für ein größeres Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden, was alle späteren Konflikte verstärkt.

(4) Subtext: Wieso behelligt ihr uns wegen so was?

(5) Subtext: Ich kann meinen Job schon alleine.

(6) Subtext: Bring mich jetzt bloß nicht schon wieder in Verlegenheit.

(7) Subtext: Ihr habt euren Job nicht gemacht.

(8) Tankred und Ingfried reagieren auf den Vorwurf im Subtext, aber sehr unterschiedlich. Ein Wunder, dass die beiden miteinander zurechtkommen …

(9) In Version 1 fragt Ingfried noch, ob er darf. Hier ist mehr Konflikt drin.

(10) Logikloch fertig gestopft.

Wir stellen fest: Etwa die gleiche Menge Text, aber mehr Infos, sowohl zu den Figuren als auch zur Welt, und mehr Logik im Gesamtpaket.

Ein Gedanke zu „Dialog und Subtext

  1. Pingback: Plot und Konflikt: Die Vorher-Nachher-Schau | Carmilla DeWinter

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