Das Fräulein ist ungnädig. (Wie so viele gerade.)

War der letzte Post über Gründe, nicht zu wählen, ein bisschen gemein? Üblicherweise versuche ich ja, sachlich zu bleiben und mich nicht von meinem Hang zum Sarkasmus völlig wegreißen zu lassen.

Sachlichkeit bringt mich gefühlt nicht so weit, wie ich gern wäre. Diese Frustration teile ich wahrscheinlich mit sehr vielen Menschen in diesem Land. Und mit Beschimpfungen sind wir dann bei der allgemeinen Debatten(un)kultur angekommen.

„Provokation, so wird […] deutlich, ist ein zentrales – wenn auch umstrittenes – Element populistischer Politik.“ (Wielowiejski 2024: 326)

Und eins lässt sich halt echt gern provozieren. (Case in Point: Petitionen gegen Musk sind öffentlichkeitswirksam, aber zahnlose Tiger. Kaufts halt keine Teslas mehr, legt den Xwitter-Account auf Privat, deinstalliert das Fratzenbuch und den Messenger auf eurem Handy, nutzt bevorzugt Signal.)

Aber zurück zum Rant. Vielleicht hätte ich einen weniger ungnädigen Text geschrieben, wenn es nicht kurz vor Migräne gewesen wäre.

Schmerzen haben strengt an und führt bei mir dazu, dass ich eigentlich niemanden sehen und hören möchte. In einem solchen Zustand bittet man mich besser nicht um Spenden oder wichtige Entscheidungen. Autofahren vermeide ich lieber.

In der Regel bekomme ich es hin zu kommunizieren, dass das mit dem Kommunizieren gerade nicht so gut ist.

Aber vor den Schmerzen kommt das Prodrom — zwei bis zwölf Stunden, bevor der Anfall richtig losgeht, habe ich oft eine Schniefnase und/oder Schokoladenhunger. Außerdem bin ich dann schon mal unkonzentrierter und grantig bin rücksichtslos und merke es nicht, bis der Unfug schon angestellt ist bzw. das Auto oder die Gefühle anderer Menschen eine neue Delle haben.

Thematisch gibt es eigentlich genug Literatur zum Thema, aber noch mal: Es gibt Kräfte in dieser Gesellschaft, die allgemeine Grantigkeit für eine gute Sache halten. Menschen, die Angst haben oder vor Neid oder echten und vermeintlichen Ungerechtigkeiten fast platzen, sind halt ein bisschen wie ich auf Migräne: für das Gemeinwohl nicht förderlich.



Quelle für das Zitat: Wielowiejski, Patrick. „Rechtspopulismus und Homosexualität.“ (2024). E-Book im Open Access.

Addendum: Demokratie ist kein Supermarkt, in höflich

»Demokratie ist nicht zu haben ohne Zugewandtheit, ohne die Bereitschaft,
die Präsenz der anderen zu vergegenwärtigen, ihr Leid wahrzunehmen, sie
mitzudenken, gar an ihrer Stelle zu denken, wie Arendt mit Kant sagt, und
ihr – enteignetes, entbehrlich gemachtes und von Gewalt bedrängtes – Sein
zu einem Anliegen der geteilten Sorge zu machen«.

Solcherart zitiert Patrick Wielowiejski auf Seite 59 von Rechtspopulismus und Homosexualität (E-Book im Open Access hier) wiederum aus Hark, Sabine_ (2021): Gemeinschaft der Ungewählten. Umrisse eines politischen Ethos der Kohabitation. Ein Essay.

Immer der gleiche Mist? Über das Nichtwählen.

Im letzten Jahr hat mein Vereinchen zwei Kampagnen unterstützt, die darauf abzielten, Nichtwählende für die Europa- und die Kommunalwahlen zu aktivieren.

Seit dem 8. Januar läuft eine Kampagne des CSD Deutschland, die „Wähl Liebe“ heißt und eben auch Nichtwählende aktivieren soll.

Am 15. Februar um 5 vor 12 sind in zahlreichen Städten Demos und Kundgebungen geplant – für Vielfalt und Menschenrechte. Personen von außerhalb der Buchstabensuppe sind herzlich willkommen.

Ich habe in meiner mittelnahen Umgebung mindestens zwei Personen, die lieber nicht wählen. Die Begründung lautet jeweils im übertragenen Sinne: „Die Parteien sind doch alle Scheiße, warum soll ich da noch wählen gehen?“

Scheiße ist ein Spektrum

Wir sollten uns hierbei zunächst ins Gedächtnis rufen, dass „Scheiße“ kein digitaler, sondern ein analoger Zustand ist: Also, es ist selten etwas nur Scheiße oder nur keine Scheiße.

Klar, Hundekacke auf dem Gehweg oder sogar im Sandkasten: 100 % beschissen.

Frische Kuhfladen auf dem nicht geteerten Weg: Gibt Schlimmeres.

Dung von pflanzenfressenden Tieren getrocknet und gepresst als Naturdünger für den Garten? Per definitonem Mist, geben Leute beim Aldi aber Geld dafür aus.

Wenn wir das mal aufs echte Leben und meine Lebensrealität als gebärfähige Person übertragen:

Absolutes Verbot von Schwangerschaftsabrüchen: 100 % beschissen.

Derzeitiger Zustand mit Fristregel: Nicht optimal, gibt aber offensichtlich Schlimmeres. Siehe oben bzw. USA oder Goethes Faust, der Tragödie Erster Teil.

Abschaffung von Paragraph 218 Strafgesetzbuch: 0 % beschissen.

Wir sehen also: Was den einen „alles der gleiche Scheiß“ ist, ist für andere durchaus überlebenswichtig. (Ja, Frauen können an Schwangerschaftskomplikationen sterben. Auch 2025 noch. Und sich einen Schwangerschaftsdiabetes für ein ungewolltes Kind einzufangen, find ich jetzt auch nicht so prickelnd.)

Demokatie ist kein Supermarkt

Wenn verschiedenes Zeugs von außen nach dem gleichen Kackhaufen-Emoji aussieht, lohnt sich vielleicht ein genauerer Blick. Was dem einen ein Kackhaufen, ist dem anderen die Drohung einer Gefängnisstrafe oder eben nicht.

Wenn es dir egal ist, ist es vielleicht deinem Freundeskreis oder deiner Verwandtschaft nicht egal? Dann erweist du manchen deiner lieben Menschen mit deiner Verweigerungshaltung vielleicht einen Bärendienst.

Aber so ein genauer Blick ist anstrengend, genauso, wie verschiedene Positionen zu hören und abzuwägen? Und am Ende passiert immer weniger, als du gehofft hast.

Ich weiß. Demokratie ist halt kein Supermarkt, wo du reinlaufen kannst, was raussuchen und dann hast du am Ende genau das Produkt, was du haben wolltest. Du musst erstens was reintragen: zumindest die Disziplin, dich ein bisschen zu informieren und dich nicht über jede Aufreger-Überschrift blindlings aufzuregen.

Zweitens musst du mit Kompromissen leben können – in dem Land wohnst du ja nicht allein.

Sonst ist am Ende die Demokratie weg und deine ganzen Möglichkeiten, jede Partei öffentlich Scheiße zu finden zu dürfen, mit dazu.

Oh ja, und dann gibt es da noch diese total irrwitzige Möglichkeit, in eine Partei einzutreten und an deren Programm mitzuarbeiten

(… aber du hast keine Zeit?

Hm-hmm.

Wie viel von deiner Zeit verbringst du eigentlich mit Doomscrolling?)


Edits: Am 16.1. einen Tippfehler ausgebessert. Die Autorin ist so eingebildet, derartige Texte ohne Rechtschreibkorrektur oder gar KI in den Editor zu tippen und dann manchmal sogar noch am gleichen Tag zu posten.