Nach der Schule kam die Meieredermutter, um mir das Kochen beizubringen. In meinem Beisein sagte der Vater, wenn sich’s das Dirndl nicht merkt, haust du ihr eine runter, da merkt sie es sich am schnellsten.
Diese Raufereien wurden auch unter den Burschen auf dem Tanzboden ausgetragen. (…) Damals kam es auch oft zu Messerstechereien, jedes Mannsbild trug damals ein feststehendes Messer mit sich.
Einmal schaute der Herr Pfarrer alle Kinder durch, ob sie auch ihr Gebet- und Gesangbuch dabeihatten. Er kam zu mir und erkannte sofort, dass ich ein anderes, ein kleineres Buch hatte. Ich musste zu ihm kommen, er sah es an und (…) schlug mich mit seinen schweren Händen links und rechts so ins Gesicht, dass mir der Hut vom Kopf flog.
Am nächsten Sonntag kam auch schon der nächste Haufen Wäsche, und wenn ich nicht alles fertig hatte, beschimpften mich die Brüder. Oft stand ich in der Ecke, und ein jeder kam her und schlug mich ins Gesicht.
Nach den Ungarn kamen dann Sudetendeutsche, die wollten nur kurze Zeit bei uns bleiben, weil ihnen neue Häuser versprochen worden waren (…). Bald aber zogen sie nach Hessen, weil bei uns die Wohnung zu schlecht war und in Hessen Bekannte waren. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder zu uns zurück, weil man in Hessen die Wildsäu [Bayern, Anm. d. Blogerin] und die Flüchtlinge nicht leiden konnte.
Die Mutter sagte, wir haben gar nichts zum Essen, geh doch wieder hin, vielleicht wird er doch noch gescheiter. Da ging sie wieder. Am nächsten Tag machte er das gleiche, und weil sie keinen anderen Ausweg wusste, gab sie nach. Nun war sie ihm ausgeliefert, und oft hat sie geweint. Wegen dem bisschen Essen machte der Hammel mit ihr, was er wollte. (…) Das ging gut ein Jahr, dann sagte sie zum ihm, Bauer, ich bin schwanger! Da wurde er ganz narrisch und schrie, aber nicht von mir! Du Hure! (…) Sie sagte es der Bäuerrin. Da halfen der Bauer und die Bäuerin zusammen und jagten die Magd vom Hof. Ihr bisschen Gewand haben sie ihr über die Stiege nachgeworfen.
Eine Auswahl aus „Herbstmilch — Lebenserinnerungen einer Bäuerin“ von Anna Wimschneider. Erschienen 1984. In meiner Generation oder jünger dürften das nicht so viele gelesen haben.
Diese Geschehnisse haben sich alle zwischen etwa 1925 und 1955 in Niederbayern zugetragen, sind also noch nicht so lange her.
Zitat Wikipedia: „1980 wurde die Prügelstrafe an Schulen auch in Bayern abgeschafft.“ Seit 2000 dürfen Eltern (und andere) Kinder auch daheim nicht mehr schlagen.
Wie fortschrittlich.
Wobei, Kanada und die USA haben es immer noch nicht so richtig gerafft, dass geprügelte Kinder eher gewalttätig werden als welche, die gewaltfrei aufwachsen.
Nur mal für Leute, die immer noch glauben, dass „die Muslime“ oder „die Flüchtlinge“ ja ach so furchtbar altmodisch sind und Frauen verachten und sich prügeln und sich Messerstechereien liefern.
„Altmodisch“ ist sehr, sehr relativ.
Die Prügeleien und die Sachbeschädigungen von Stuttgart sind natürlich verwerflich. Wir brauchen unter anderem Präventionsmaßnahmen, Chancengleichheit und müssen offensichtlich an die Planung für einen Lockdown anders herangehen, selbst wenn wir es bis dahin (utopischerweise) hinbekommen, arme und völlig mittellose Menschen nicht zusammenzupferchen.
Und die Sozialen Medien erweisen sich mal wieder als asoziale Empörungs- und Like-Tretmühlen.
Ich möchte hiermit also darauf hinweisen, dass der Firnis dünn ist und die Nationalität der Hälfte der in jener Nacht festgenommenen Täter*innen ein größerer und vor allem ein zeitbedingterer Zufall ist, als eins auf dem hohen Ross der Selbstgefälligkeit annehmen sollte.