Löffel und Prioritäten

Es gibt die oft zitierte Weisheit, dass du erst merkst, wie wichtig etwas ist, wenn du es verlierst oder wenn es bedroht ist. Und es gibt Tage, da zweifle ich an meiner Berufswahl.

dr dewinter in heroischer pose

Heute ist so eine Gelegenheit. Etwas kurzfristig dieses Jahr, wie alles eben kurzfristig ist – in diesem Fall Anfang Mai – fing ich ernsthaft an, nach dem CSD Stuttgart zu schauen. Was war am berühmten letzten Samstag im Juli geplant?

Sie hoffen auf eine Demo und echte, anfassbare Infostände. Demo am Samstag, Infostände diesmal Samstag und Sonntag. Allein dass ich dieses Jahr zwei Tage Infostand organisieren müsste statt einen Sonntag, ließ mich erst mal hilflos mit den Armen rudernd zurück. Bis ich das mit dem finanzierenden Verein abgesprochen hatte (zwei Tage kosten logischerweise mehr Miete als einer, und ich brauche einen Parkplatz für je mindestens 20 Euro) und mit dem Orga-Team in Stuttgart geklärt hatte, dass wir bei einem Randplatz auch nur samstags kommen dürften, waren zehn Tage vergangen. Das ist etwas langsamer als mein übliches Tempo. Offenbar ist mit mein Energiekonto doch leerer, als ich gern glauben möchte.

Und selbst, wenn der Infostand nicht klappt wegen der Leute, die ich dafür brauche: Die Demo startet um 14 Uhr statt wie üblich um 16 Uhr. Das ist bei Feierabend um 13 Uhr (plus hinterher Kasse zählen) nicht mal als Zuschauerin pünktlich zu schaffen von meiner Provinzgroßstadt aus.

Dann brauchte ich drei Tage, um mich so weit zu pimpen, dass ich der Apotheker-Kollegin mitteilen konnte, dass ich am Stuttgarter CSD-Samstag gern frei hätte.

Warum pimpen? Weil wir schon einiges an Diskussionen zu Terminplänen hatten dieses Jahr. Derzeit ist die Kollegin nämlich wegen Long Covid in Wiedereingliederung, darf maximal fünf Stunden am Tag arbeiten und hat verständlicherweise keinen Bock, mehr als zwei Samstage hintereinander zu übernehmen.  (Ich hab auch keinen Bock, was aber während ihrer vier Wochen Krankheit auch niemand gestört hat.)

Weil ich außerdem den Karlsruher CSD-Samstag am 5. Juni frei will, bot ich an, am Samstag vor meinem Urlaub vormittags zu arbeiten. Und ach, da ist ja noch Notdienst, der ab 18 Uhr zu leisten wäre. Und weil Notdienst plus Wiedereingliederung halt so eine Sache ist, sage ich Idiotin, dass wir uns das ja teilen können, mit dem tariflich vorgesehenen Split um 22 Uhr. Was im schlechtesten Fall heißt, dass ich am Sonntag frühestens um 9:30 Uhr daheim bin und den kompletten Tag als Zombie verbringe, weil ich nachts rausgeklingelt wurde und selbst ohne Kundschaft die Nacht neben einem brummenden Kommisionierautomaten geschlafen habe. Also gute Aussichten auf einen super erholsamen Urlaubsanfang./Sarkasmus Ende.

Die DeWinter ist nett und rücksichtsvoll und versteht natürlich, wenn jemand krank ist.

Dann frage ich vorgestern, am Pfingstsamstag, die Kollegin, ob ich den Stuttgarter CSD-Samstag freihaben kann. Der halt zufällig vor dem Urlaub der Kollegin liegt. Die da gern frei hätte und dann verspricht, dass sie mal bei der Filiale fragt, ob wir wen ausgeliehen bekommen.

Und weil das abends nach einem anstrengenden Vortrags- und Kongresstag ist und vor einem Sonntagsnotdienst (von 8:30 bis 20:30 bis zur Ablöse), habe ich keinen Nerv, per Messengerdienst oder am Telefon deswegen eine Diskussion anzufangen, sondern fühle mich dankbar, dass sie bereit ist, nach Ersatz zu fragen.

Und heute bin ich nach dem lebhaften Notdienst müde und habe außerdem dank Wetter einen Migräneschädel. Zum Wütendsein über mich und die Ironiefreiheit der Kollegin reicht die Energie nicht, aber traurig geht. Jedenfalls kann ich mich gerade über das asexy Bullshit-Bingo nicht so richtig freuen, das fink erstellt hat.

Warum überhaupt so viele Gefühle? Weil so ein CSD mir halt doch wichtig ist, obwohl er auch beschissen viel Arbeit macht, selbst wenn du nicht die komplette Veranstaltung, sondern nur einen Stand organisierst.

Und weil das ja kein religiöser Feiertag ist, muss ich außerdem erst mal erklären, warum ich das überhaupt wichtig finde. Was mich ankäst. Und weil garantiert nur die Mitlesenden mit Minderheiten-Buchstabe blicken, wie kacke das sich anfühlt, überhaupt erkären zu müssen, warum das wichtig ist.

Die Erklärerei wäre natürlich nicht nötig, wenn ich mir einen Job gesucht hätte, bei dem die Samstage nicht als Arbeitstag gewertet werden.

(Und mal wieder die Beobachtung, dass die fünf Tage arbeitende Bevölkerung es zwar selbstverständlich findet, dass andere am Samstag die Läden für sie öffnen, aber sich dann wundern, warum ich für ihre Frage nach „dem Brückentag“ nach einem Donnerstags-Feiertag mittlerweile eher einen gestreckten Mittelfinger übrig habe.)


Bildchen freundlicherweise zur Verfügung gestellt von JJ Link.