Linkspam: Statt Zensur

Für mich wichtiges Zeugs gerade:

Sara darüber, was in den Niederlanden wegen Amanda Gormans Gedicht passiert ist.

Der Zaunfink über „Identitätspolitik“: Wie viele normale Menschen verträgt die Demokratie? (Nicht so viele.)

Der Nollendorfblog über Lob von der falschen Seite: Gauland findet, dass Thierse recht hat. Oder warum ich gerade ein echtes Problem mit der SPD und beleidigten weißen Heten habe.

Etwas älter, aber da mein einer Verleger etwas fremdelt: Was ist eigentlich „Sensitivity Reading“? Oder: Wenn du als Schriftstellerin keine Ahnung von Panzern hast, recherchierst du und gibst es eventuell wem zu lesen, die sich auskennen. Oder du musst halt damit leben, dass sich wer drüber beschwert, wenn es falsch ist. Dieselbe Sorgfalt sollte eins wohl auch auf Menschengruppen anwenden, mit denen eins sich nicht auskennt. Oder es halt sein lassen und sich dann nicht wundern, wenn sich wer beschwert … (Das Internet ist trotz all seiner Fehler eine ersklassige Beschwerdestelle. Wie wir an den ersten drei Links sehen.)

Und zuletzt eine sehr ausführliche Kopfwäsche für neuheidnisch Interessierte von Stefanie von Schnurbein: Es ist mehr Nazi drin, als Sie gern hätten. Und da wäre ich ohne das Riesenheim nie drauf gekommen.

Der Kuchen und die Identität

ace_cake_by_galadnilien-d8qkuxx

Ich habe erst gestern ein paar Sätze von mir in einem Buch gefunden, in dem ich sie nicht erwartet hätte. Das Buch heißt „Feministisch streiten“. Es ist eine Aufsatzsammlung aus dem Querverlag. (Ich finde deren Sachbücher manchmal sehr nett, auch wenn sie noch nix über Asexualität machen wollen.)

Ich zitiere aus der Einführung von Koschka Linkerhand über „Das politische Subjekt Frau“, Seite 37/38 der ersten Auflage:

Der stetige, unreflektierte Wechsel von Identitätskritik und alternativer Identitätsfindung führt dazu, dass eine entlastende, nachsichtige, auch humorvolle Distanz zur eigenen Identität kaum mehr möglich ist. Identitäten müssen hautnah sitzen oder ausgewechselt werden. Das zeigt sich beispielhaft im Glossar von AVEN, eine Plattform für Asexuelle. Dort heißt es zum Begriff Kuchen (…) als asexuelles Symbol (…): „Entstanden aus dem Witz, dass Asexuelle lieber Kuchen als Sex mögen. Deswegen sollte sich aber niemand genötigt fühlen, Kuchen zu essen. Es gibt auch Asexuelle, die keinen Kuchen mögen.“

Zur Sicherheit: Gut, dass es AVEN gibt und dass Asexuelle hier Austausch finden. Aber bedenklich ist, dass ernstlich ausgeführt werden muss, dass ein zufälliges und ironisches subkulturelles Symbol nicht zum bezeichnenden Inhalt der asexuellen Identität gehört. Das heißt, es gehört durchaus dazu — aber es kann in bestimmten Einzelfällen davon abgesehen werden, ohne dass die asexuelle Identität komplett infrage gestellt wird.

Also, das Zitat im Zitat stammt aus der alten Broschüre von AktivistA und ist in der neuen wieder aufgelegt. Bei der Neuformulierung des FAQs 2012/13 kam die Idee auf, für Neulinge ein paar Insidersachen zu erklären, die zu diversen Witzen und Blognamen geführt haben. Ich habe diese Sätze damals geschrieben.

Logisch hätte ich es bei der Erklärung des Witzes belassen können, aber ich fand den Hinweis „nicht alle Asexuellen mögen Kuchen“ damals ganz witzig, da ich ja wusste, wie viel Kuchen ich seit meiner Anmeldung im AVEN-Forum konsumierte: Auch nicht mehr als vorher.

Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, dass irgendwer das Symbol als Aufforderung nehmen könnte, grundsätzlich mehr süßes Gebäck zu konsumieren. Oder sich gar seltsam zu fühlen, weil derjenigen Person Salzstangen viel besser schmecken als Torte oder sie gar: keine Meinung dazu hatte.

Ich könnte das Missverständnis jetzt witzig finden — meine humorvolle Distanz zu einem zufälligen Symbol und damit der eigenen Identität wird als Beispiel genommen, dass solche Distanz nicht mehr möglich ist.

Nun ist es aber so, dass vor ein paar Jahren eine Diskussion hochkochte, was eigentlich „asexuelle Kultur“ sei. Und wie manche Leute diverse Serien als Bestandteil derselben vorschlugen, wohingegen andere protestierten, dass sie sich aus der Community ausgeschlossen fühlten, weil sie weder zu Sherlock noch Doctor Who eine Meinung hatten.

Drücken wir es mal so aus: Serien ohne explizit asexuelle Figur als Teil der asexuellen Kultur (sofern diese überhaupt existiert) hochzuhalten, ist schon reichlich wagemutig. Andere von oben herab zu behandeln, weil sie ebenjene Serien nicht kannten, mochten, keinen Zugriff darauf hatten: Was zum Henker geht in manchen Leuten vor?

Ich konnte mich anno 2015 nur am Kopf kratzen, dass das überhaupt diskutiert wurde, und fühlte mich mit meinen damals 34 auf einmal sehr alt. Es erinnerte mich an die Leserbriefe in der Rock Hard von 2000, ob nun jemand, der nur zu einem Konzert Kutte und Band-T-Shirts trägt, ein echter Metalhead sei oder „fake“. Mit neunzehn hatte ich dazu noch eine Meinung, wenn auch keine Kutte, mittlerweile störe ich mich an derartigem tribalistischem Gedöns ums „wahre Fan“-Sein. Wobei das Wort „Fan“ hier gerne durch jeden anderen Identitätsbegriff ersetzt werden darf.

Anscheinend herrschte in Falle der „asexuellen Kultur“ eine „Ganz oder gar nicht“-Mentalität, oder ein Glaube, dass, wenn wir schon alle so verschieden sind, dass manche Leute hundert Wörter für die Nuancen brauchen, wir wenigstens das gleiche Zeug mögen müssen.

Völlig Banane, um einen Lieblingsspruch meines damaligen Co-Autors zu zitieren.

Aber offensichtlich ein Problem.

Nun gibt es ja Leute, die Identität überhaupt doof finden und bei jeder passenden Gelegenheit über trans mit Sternchen und so was lästern und eine jederzeit ermahnen, das mit der „(Selbst-)Bezeichnung“ aus dem Sprachgebrauch zu streichen.

Die Argumentation geht irgendwie in folgende Richtung und kommt aus der Semiotik, also der Zeichenlehre:

Beschreibe ich mich selbst als asexuell, ist das eben eine Beschreibung, die mich mit anderen Dingen eben beschreibt (wie „Schriftstellerin“, „färbt sich die Haare rot“ etc.).

Bezeichne ich mich, markiere ich mich damit selbst als zur geanderten Gruppe gehörig und mache mich damit den anderen so Bezeichneten gleich. Dadurch müsste ich mit dem kompletten Konvolut der Identität/Subkultur leben, die dann eine eindeutige Postionierung zum Thema Kuchen und Doctor Who erforderlich machen würden.

Andererseits kommen wir bei der Formierung von Gruppen, die politsch etwas bewirken wollen, nicht um eine Identität herum. Ich rücke eine gemeinsame Eigenschaft zahlreicher Individuen in den Vordergrund. Ich führe aus, welche Ausschlusserfahrungen und Abwertungen diese Menschen aufgrund dieser Eigenschaft gemeinsam haben. Ich arbeite daran, andere Menschen darauf hinzuweisen, dass Ausschlussmechanismen und Abwertungen existieren und im zweiten Schritt diese Mechanismen zu verringern.

Und nun kommt der Witz: Ich verstehe die ganze Aufregung nicht so richtig, weil Identität für mich doch ein bisschen komplexer ist. Nämlich eine Antwort auf die Frage: „Wer bin ich?“ Und damit kann sie sich im Laufe der Zeit ändern.

Die Antwort enthält sowohl politische Identifizierungen wie „Frau“, „asexuell“, „mit Gesundheitsberuf“, „Schriftstellerin“ (ja, ja, das ist politisch, nicht zuletzt wegen des „-in“ am Wortende), als auch Selbstbeschreibungen, die teilweise mit den politischen Identifizierungen überlappen. Weil sie beschreiben, wie ich andere Menschen betrachte, worauf ich achte, womit sich ein Großteil meiner Gedanken beschäftigen, wo ich mich in dieser Gesellschaft einordne.

Ich finde es schon reichlich seltsam, wenn irgendwer glaubt, aus meinen politischen Identifizierungen darauf zu schließen, dass ich daraus meine komplette Identität ziehen muss. Oder dass ich anderen Leuten vorschreiben will, wie deren Ausdruck einer gleichlautenden Identität auszusehen habe.

Aber es gibt offenbar Leute, für die es einen größeren Widerspruch darstellt, wenn sich Teile der Selbstbeschreibung und der eigenen Erfahrungen mit den (vorgeblichen) Forderungen der politischen Identifizierung nicht decken. Egal, ob dieser „Makel“ bei ihnen oder bei anderen festzustellen ist.

Erklärt mir jemand, wie wir aus diesem Dilemma wieder rausfinden?


 

Für diejenigen, die sich für die Mindestanforderungen für Asexualtiät interessieren:

  1. Asexuelle Menschen empfinden keine sexuelle Anziehung und/oder kein Verlangen nach sexueller Interaktion.
  2. Asexuell ist, wer sich selbst so beschreibt.

Heißt: Fremddiagnosen sind nicht zulässig, auch wenn Punkt 1 objektiv auf eine Person zutrifft. Genauso darf eine Person sich als asexuell beschreiben, obwohl Punkt 1 nicht exakt zutrifft.

Der Kuchen stammt von Galadnilien.