In der Hoffnung, dass ich den Elan nicht verliere, ist dies Post 1 von 3 zum Thema Heidentum.
Glaube oder Verehrung?
Im Verlauf meiner Recherchen zu Albenerbe fiel ich bei einer rekonstruktionistischen Vereinigung zum Thema Religio Romana über das schöne Wort „Orthopraxie“. (Der originale Link ist leider nicht mehr auffindbar.)
Demnach sei das Christentum vom rechten Glauben, der Orthodoxie, geprägt, von orthos (recht, richtig), und doxa (Meinung). Der Streit darüber, was ein korrekter Glaubensinhalt ist, führte zur Aufsplitterung des Christentums in zahlreiche Konfessionen.
Aber wir müssen uns gar nicht über die Natur der Dreifaltigkeit streiten. Selbst wenn ich noch so brav im nächstenliebenden Sinne bin: Sobald ich nicht an Gott glaube, ist das mit der Erlösung nicht garantiert. Daher auch (stark verkürzt) der Missionsanspruch des Christentums – denn Teil der Nächstenliebe ist ja, dass ich anderen die Möglichkeit gebe, nach Ende ihres Lebens ebenfalls erlöst zu werden.
Hingegen sei die antike römische Religion eine Religion der korrekten Verehrung gewesen. Wie sich die Einzelperson eine Gottheit oder einen Genius Loci vorzustellen hatte, war nicht festgelegt. Viel wichtiger war, dass diesen Wesenheiten Respekt gezollt wurde. Denn sie befanden sich in der Welt – waren also keineswegs „überirdisch“, sondern real handelnde Wesenheiten – und würden die Verehrung mit ihrer Gunst zurückbezahlen, in Form einer sicheren Reise, einer guten Ernte, einer Genesung, Kriegsglück oder was auch immer.
Dass diese Wesenheiten keinesfalls allmächtig waren und ihre Interessen sich teilweise widersprachen, stand dabei außer Frage. Sonst würde ja allen Menschen, die opfern, alles immer gelingen. Diese Wesenheiten konnten aber Hinweise auf die beste Entscheidung geben, wenn eins sie korrekt um Hilfe bat – daher die ausgeprägte Wahrsagepraxis der römischen Antike.
Was glaub ich da eigentlich?
Nachdem ich im Zuge der Recherchen für Lokis Fesseln beim Nornirs Aett zum zweiten Mal über die Bemerkung gestolpert war, dass Religion nicht unbedingt einen Glauben beinhalten muss, wurde mir klar, dass mich das die ganze Zeit gestört hatte: Ich habe Schwierigkeiten, religiöse Versprechen zu glauben.
Das verhindert keineswegs, dass ich anderen Mist glaube – unsere Gesellschaft ist voll von Glaubenssätzen („Doxa“). Die Inhalte vieler Doxa widersprechen den hehren Zielen der Menschenrechte teils diametral und haben sich auch bei mir festgesetzt. Als da wären, dass es ohne Kapitalismus nicht gehe (wobei der Sozialismus als Gegenentwurf längst ausgespielt hat) und jede*r des eigenen Glückes Schmied sei. Dass arme Menschen tendenziell dumm und die meisten dicken Menschen faul seien und daher irgendwie Verachtung verdienen. Dass Ethnie, Kultur und Religion das Gleiche seien und sich menschliche Kulturen daher in ihrer Essenz fundamental unterscheiden – eine Weiterentwicklung des Rassismus, der auch Ethnopluralismus genannt wird. Und allerlei Unfug mehr.
Aber auch, dass Religion einen Glauben beinhalten muss. Oder dass Geist und Materie getrennt sind. Auch viele Kategorien (wie beispielsweise „Zivilisation“, „Natur“, „sexuelle Orientierung“) werden als absolut und gegeben hingenommen, und werden damit zu einer Art Glaubenssatz.
Ohne Kategorien zu denken, ist unmöglich, möchte eins nicht immer bei Null anfangen. Ich kann aber hinterfragen, woher sie kommen und was sie bedeuten.
In diesem Fall habe ich meinen Glauben aufgegeben, dass eine Religion einen Glauben beinhalten muss. Am Rest arbeite ich.



