Es ist zwanzig vor zehn, als ich losgehe. Es dämmert schon, außerdem sorgt ein Wolkenschleier für trübes Licht. Es hat neunzehn Grad. An diesem Donnerstagabend begegnet mir nur ein Mann mit Boxerhund, der sich mit einem Typen in einem tiefergelegten Benz unterhält. Der Benz hält dazu mitten auf der Straße. Niemand sonst kann es seltsam finden, dass ich bei diesem Wetter eine knallpinke Softshelljacke unter dem Arm trage. Ich spaziere an menschenleeren Vorgärten vorbei.
Hinter dem Wohngebiet beginnt der Wald. Ich ziehe den üblichen Bogen für einen Spaziergang bis zu einer Bank, die direkt gegenüber einer hohen Eiche steht. Die Eiche ist geschätzte hundert Jahre alt und besitzt ein Kind, das sie fast umarmt. In unmittelbarer Nachbarschaft haben Stürme oder Forstwirtschaft die meisten hohen Bäume entfernt, sodass ich große Stücke des hellgrauen Himmels sehe. Dahinter und außenrum wuchern kürzere Buchen, Tannen, Fichten, eine Robinie und reichlich Brennnesseln.
Hier ist es so kühl, dass ich in die Jacke schlüpfe, bevor ich mich auf der Bank niederlasse.
Es ist laut. Von mindestens einer Richtung weht das Röhren der Autos auf der Autobahn her, die sich aus dem Enztal wieder in die Höhe kämpfen. Ein Großbetrieb im Gewerbegebiet auf dem Berg brummt unablässig. Zahlreiche Vögel unterhalten sich von Baumkrone zu Baumkrone. Ich tippe auf Amseln und Buchfinken, vielleicht auch die eine oder andere Nachtigall. Trotz der eleganten Tonfolgen klingt das alles bitterernst: „Hau endlich ab aus meinem Revier“ werfen sie sich wohl an den Kopf.
Die Fledermäuse, die das Eichenduo umschwirren, würde ich so oder so nicht hören. Sie flattern und flirren über meine zwei Stücken hellen Himmel. Eine Mücke sirrt zehn Zentimeter über meiner Nase durch die Luft.
Irgendwann verschwimmt alles zu Grautönen. Nach und nach verstummen die Vögel. Jetzt knackt es deutlich im Unterholz hinter mir, ich bilde mir ein, die Bäume beim Wachsen belauschen zu können. Etwas knirscht minutenlang bedrohlich wie eine Baumaschine, bevor ein Radfahrer mit Mountainbike und Stirnlampe über den hellen Kiesweg brettert.
Keine Ahnung, ob er mich wahrnimmt.
Einige Zeit später sehe ich die ersten Trolle – hellerleuchtete Fratzen weit hinter den Fledermauseichen. Ich schüttele den Kopf, die Fratzen verschwinden – es waren nur die Nadelbäume, die sich vor dem Rest hellen Himmels abgezeichnet haben.
Bevor mich noch mehr Sinne täuschen oder gar die Alben mich ärgern, stehe ich auf und spaziere heimwärts. Nach zehn Schritten umschwirrt mich das erste Glühwürmchen. Die schönen Irrlichter schweben dutzendweise auf den nächsten hundert Metern. Grün leuchtende Punkte tanzen über den Weg, über den Brennnesseln und verstecken sich halb hinter hüfthohen Buchen.
Ich verkneife mir, eins zu fangen.

Etwas Helles kommt aus dem toten Winkel, ich schrecke zurück, aber es ist nur ein Falter, der mich begucken wollte. Er begleitet mich zwei Meter weit, bevor er das Interesse verliert.
Mittlerweile hat sich meine Tiefenwahrnehmung verabschiedet, der dunkle Fleck vor mir könnte Rindenmulch auf dem Weg, eine Fallgrube oder ein Tor nach Riesenheim sein. Aber dann rettet mich ein Glühwürmchen, indem es drüber hinwegfliegt: Es ist wirklich nur Rindenmulch.
Zwanzig Meter später der erste Gartenzaun, das Wohngebiet hat mich wieder. Zauber und Elfenwesen müssen im Wald bleiben.
Das Bild habe ich nicht selbst gemacht, mein Handy hätte das nicht hergegeben, selbst, wenn ich es mitgehabt hätte.
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