Heidentum zum Zweiten. (Für Teil 1 hier klicken.)
Sobald du irgendwie erzählst, dass du „germanisches Heidentum“, Asatru oder wie auch immer praktizierst, landest du schnell in der rechten Ecke. Gleichermaßen wittern Rechte Sympathie für ihre Anliegen, wenn eins einen Thorshammer als Schmuckstück trägt.
Woher kommt das und was machen die ganzen Heidnischen, die sich nicht als rechts verstehen?
(Der Blogpost ist lang. Wie so häufig kann ich es mit den Rechtspopulisten und ihren Soundbytes nicht aufnehmen. Mit Bullshit über Geflüchtete Ärger, Hass und Neid zu provozieren, ist halt wesentlich einfacher, als fundiert zu argumentieren.)
Weiterlesen: Aber … Nazis? Ein kritischer Blick auf ein Kompendium
Germanenbild aufräumen – ein hehres Ziel
Um bezüglich neue Heiden und Rechtslastigkeit ein bisschen klüger zu werden – außerdem musste ich ja wissen, was Jasna in Lokis Fesseln so gelesen hatte – stöberte ich zwischen 2018 und 2020 bei riesenheim.net und beim Nornirs Aett, und zuletzt legte ich mir neben einer E-Version von Andreas Mangs Aufgeklärtes Heidentum noch Asatru – Die Rückkehr der Götter zu (derzeit nur antiquarisch erhältlich). Ursprünglich für die US-amerikanische heidnische Organisation „The Troth“ erstellt, wurde es für die deutsche Übersetzung von Mitgliedern des deutschen Eldaring e.V. überarbeitet und ergänzt.
Es bezieht laut Klappentext „klare Position gegenüber jenen, die das Bild der Germanen (…) auf völkische Muster zurückführen (…) wollen“.
Schon beim ersten Lesen des ersten Drittels – ein Schweinsgalopp durch die Religionsgeschichte Deutschlands, Großbritanniens und Skandinaviens von der Steinzeit bis zur „Wiedergeburt“ des Heidentums – roch einiges diesbezüglich eher nach Schwurbelei statt nach Aufräumen. Allerdings hätte ich meinen Finger nicht genau darauf legen können, was mich so störte.
Erst, nachdem mich ein Blogpost von Thursa zu einer beeindruckend umfangreichen Analyse von Stefanie von Schnurbein schickte, begriff ich, was da schieflief. Von Schnurbeins Arbeit zeigt auf, wie sich klassisches völkisches und nationalistisches Denken entwickelte, wie die Neuen Rechten es zum etwas gesitteter klingenden Ethnopluralismus machten, und dass weder Gesamtgesellschaft noch Asatru/Alte Sitte/Neuheidentum vor derartigen Denkweisen gefeit sind.
Von da aus kletterte ich weiter zum Rabenclan und dem Ariosophieprojekt, wo hauptsächlich Hans Schuhmacher die völkische Denke in der Neuzeit und besonders im Heidentum untersuchte.
Und wenn eins dann „Asatru“ von vorn liest, fallen einem ein paar Sachen auf.
Kapitelweise Zerlegung – was bleibt vom Ziel übrig?
Im ersten Kapitel geht es um die Steinzeit. „Am wichtigsten ist vielleich, dass die genetischen Wurzeln der meisten Europäer sich bis in die Steinzeit zurückverfolgen lassen.“ (S.27) Das Buch verbindet das mit der Ahnenverehrung, die im Asatru einen hohen Stellenwert hat.
Es hinterlässt aber ein „Geschmäckle“, wie wir Süddeutschen sagen. Die Affirmation, dass deine Vorfahren hier immer schon gelebt haben und dass das Land das angestammte Geburtsrecht sei (vulgo „Blut und Boden“), haben wir ja schon anderswo gehört. Dass das mit der Ahnenverehrung dann im hinteren Teil des Buchs eher kurz angerissen wird? Honi soit qui mal y pense.
Fünfzehn Buchseiten lang beschreibt „Asatru“ die „Indoeuropäer“ (S. 29 ff.). Wer waren die? Gute Frage.
Aufgrund von Ähnlichkeiten zahlreicher Sprachen scheint es wahrscheinlich, dass es eine Kultur gab, die deren gemeinsame Urform sprach. Diese ur-indoeuropäische Sprache verbreitete sich dann (wie, ist nicht mehr nachzuvollziehen) und spaltete sich in verschiedene Sprachfamilien auf, die aber wieder untereinander Einfluss nahmen. Die germanische Sprachfamilie ist wohl ein recht junger Zweig dieses Baums und keine dreitausend Jahre alt.
Nun ist es zwar ganz unterhaltsam, von verschiedenen Wortformen auf deren Urform zu spekulieren und von da aus auf die Entstehungskultur und gar auf die religiösen Vorstellungen und die Opferkultur und Riten. Wir haben dazu aber keine Funde. Es gibt die These, dass die Kurgan-Kultur der vorderasiatischen Steppe eine indoeuropäische Ursprache nutzte, gesichert kann das jedoch niemals sein, denn die Menschen damals hatten keine Schrift. Demnach erscheint es etwas müßig, so viel Text auf eine Spekulation zu verwenden. Das alles dient dazu zu beweisen, dass die „Wurzeln unseres Glaubens sehr weit und tief in die Vergangenheit“ reichen (S. 44).
Abgesehen davon, dass ich nicht wegen des Glaubens da bin, und dass Mythen selten aus der leeren Luft entstehen, sondern Geschichten über Gottheiten sind, die historischen Einflüssen unterliegen … wieder ein Geschmäckle. Außerdem: Wenn ich als neue Heidin nicht den Hintern in der Hose habe zuzugeben, dass ich mir da aus historischen Quellen was zusammenstückle, dann sollte ich mir das mit den nordischen Gottheiten noch mal überlegen. (Vergleiche: Heidnische Tugenden: Mut.)
Die real existente Bronzezeit mitsamt ihren großartigen Funden (wie die Himmelsscheibe von Nebra) hat dann nur fünf Seiten Platz. Und auch die erste Epoche, wo es wenigstens Fremdberichte gibt, die tatsächlich von „Germani“ sprechen, nämlich die Eisenzeit samt der Römer, die von den Sueben bis zu den Goten mit allerlei germanischsprachigen Stämmen zu kämpfen hatten, erhält gerade mal elf Seiten. Also weniger als die sprachlichen Spekulationen.
Klar, Tacitus war tendenziös und wollte die dekadenten Römer*innen maßregeln. Aber so ein paar erwiesene Dinge – Sakralkönigtum, mythische Stammesvorfahren, wobei die Verwandtschaft wohl sozial statt genetisch gedacht wurde, Thingversammlungen, Frauen als in der Zukunftsdeutung Befähigtere – wären im Detail schon interessanter gewesen als spekulative Frühlingsrituale von vor 8000 Jahren. Auch interessanter als die immer wieder erwähnten Männerbünde, deren Existenz laut Stefanie von Schnurbein keinesfalls so sicher ist wie behauptet – und die in der deutschen Geschichtsschreibung seit 1900 immer wieder dazu herangezogen wurden, um männliche Herrschaftseliten zu legitimieren.
Sprache, Kultur und die Völkerwanderungszeit
Auch aus der Völkerwanderungs- und Vendelzeit hätten wir mehr Fund- und Schriftzeugnisse als zu „den Indoeuropäern“, aber auch die bekommt weniger Platz eingeräumt. Und hier finden wir gleich auf der ersten Seite recht entlarvende Zitate.
„Innerhalb dieses Zeitraums siedelten sich germanische Völker in ganz Europa und sogar Nordafrika an und übernahmen (…) große Gebiete des römischen Reiches. Bei diesem Prozess verloren sie allerdings so manches an eigenem kulturellen Erbe, was dazu führt, dass die Nachfahren der Franken und Burgunder heute französisch (…) sprechen. Nur die Angelsachsen und die Stämme, die in Germanien und Skandinavien blieben, konnten ihr kulturelles Erbe bewahren.“ (S. 65)
Abgesehen davon, dass die Stämme sich damals wohl kaum als „Volk“ begriffen, enthält „verloren/bewahren“ eine Wertung, die ich in diesem Zusammenhang kritisch finde. Wir können hier davon ausgehen, dass der Grund für den Wandel und Austausch keinem gezielten Imperialismus entsprang, der eine eroberte Kultur mit allen Mitteln zu assimilieren trachtete. Tatsächlich nahmen die Zuwanderer ja die Sprachfamilie der Alteingesessenen an – offenbar erschien den Menschen das damals praktisch und keineswegs als Verlust?
Gleichzeitig wird hier Sprache mit Kultur gleichgesetzt, was ebenfalls kritisch ist. Nicht alle Menschen mit der gleichen Sprache haben die gleiche Kultur, innerhalb einer Kultur können verschiedene Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien miteinander friedlich leben.
Jedenfalls ist hiermit der völkische Mehrklang komplett: Landschaft – Genetik – Sprache – Kultur – Religion. Alles „natürlich“ entstanden, weshalb Menschen mit einer gewissen Genetik in einer gewissen Landschaft eine gewisse Kultur, Sprache und Religion am besten steht.
Kein Wunder muss der Autor die Züge der Angeln und Sachsen ins römisch-keltische Britannien und deren „Auffindung“ von Gottheiten wie Thonar und Wodan in der dortigen Landschaft als Beispiel hernehmen, das heutigen Heidnischen in den USA und Australien als Beispiel dienen kann.
Dass die beiden Länder Englisch als Amtssprache haben, hat damit wohl nicht unwesentlich zu tun. Auf diese Weise können sich weiße Menschen auf anderen Kontinenten getrost als Nachfahren der indoeuropäischen Germanen verstehen und sich daher auf die ihnen „von Natur aus“ zustehende Religion „ihrer Vorfahren“ etwas einbilden.
Auch die Wikinger, aus deren mythologischen Erzählungen das meiste Material stammen dürfte, das wir heute in Form der Edden und der Sagas kennen, werden kürzer abgehandelt als die Indoeuropäer. Hier reißt der Autor allerdings wenigstens an, wie sehr die Annahme des Christentums durch Herrschende oft machtpolitischem Kalkül diente.
Und die Neuzeit?
Eine „Wiedergeburt“ zeichnet das entsprechend benamste Kapitel dann seit dem 14. Jahrhundert nach. Sicher dürfen wir uns heute freuen, mit welcher Emsigkeit seitdem alte Schriften gesammelt, Märchen aufgezeichnet und Volksbräuche dokumentiert wurden.
Allerdings entsprang dieser Eifer oft politischen Motiven – oder wurde aus politischen Motiven gefördert. Zunächst diente die Besinnung auf das Eigene/die Nation dazu, sich nach der Reformation vom Einfluss Roms und der katholischen Kirche freizumachen. Auch eine Rolle dürfte gespielt haben, dass man eine eigene glorreiche Vergangenheit suchte im Vergleich zu jenen Ländern, die sich für ihre Geistesgröße auf die römische und griechische Antike berufen konnten. Und die das Christentum römisch-germanischer Prägung ja zunächst und wahrscheinlich vorsätzlich seinem Pöbel vorenthalten hatte, indem es die Schriftkunde dem Klerus und der Oberschicht vorbehielt. Im Nachhinein für die geneigten postmodernen Heid*innen ein saublöder Schachzug, damals aber cleveres Machtkalkül.
Als Nächstes reißt das Buch die Romantik an – dabei das unterschlagend, was diese „Betonung der individuellen Identität und der spirituellen Entwicklung des Einzelnen, die der Leitfunktion von Seele und Gefühl vor der des Intellekts, Begeisterung für die unverfälschte Natur“ (S. 88) mit ausgelöst hatte. Nämlich ein Widerstreben gegen die naturwissenschaftliche Denkweise. Zur naturwissenschaftlichen Empirie passten weder Götter, Alben noch Seelen. Sodass die Welt fortan ein großes Uhrwerk wurde, und menschliche Körper waren mechanische Apparate, in deren Kopf der menschliche Geist saß und sie steuerte.
Neben den individuellen Sehnsüchten enthielt die Romantik den Glauben „an eine verklärte Vergangenheit, die angeblich von ritterlichen Werten und einer ‚Volksseele‘ als natürlicher Quelle höchsten künstlerischen Ausdrucks geprägt gewesen sei“ (ebd.).
Nebenbei war Napoleon auf Eroberungsfeldzug aus, und die „nationale Unabhängigkeit“ (lies: die Interessen des alteingesessenen Adels) musste gegen den fremden Usurpator (mit seinen Gesetzesreformen, die er den eroberten Gebieten angedeihen ließ) verteidigt werden, egal wie en vogue bis dato das Französische in der Oberschicht gewesen war.
Dazu mussten eine Nation und das dazugehörige „Volk“ für die „Volksseele“ aber erst einmal erfunden werden. Und damit waren die Germanen als Ur-Deutsche mal wieder in. Zudem suchten vor allem die Geisteswissenschaften wie die Linguistik, diese Idee der Volksseele zu beweisen und stellten sich (sicher oft unbewusst) in den Dienst der politischen Ziels eines geeinten Deutschlands. (Statt der zahlreichen Teilstaaten, die es damals gab.)
Ohne diese Erfindung des „deutschen Volks“ könnte es die „Völkischen“ aber gar nicht geben. (Vgl. u. a. Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter.)
Wie sich diese Konstruktion von Völkern (im Gegensatz zu Staaten) und der „Volksseele“ nicht nur im wilhelminischen Deutschland zu Nationalismus auswuchs und wie die europäische Naturwissenschaft sich in einer Begeisterung für Darwins Evolutionstheorie zu Rassentheorien als Kolonial-Apologetik verstieg und den seit Jahrhunderten bestehenden Antijudaismus fröhlich als Antisemitismus mit integrierte, steht nicht im Buch. Wir bekommen dann vor allem die esoterischen Nazi-Inspirationsgeber in Form der Ariosophen und deren allzu reale Auswüchse serviert. (Witzigerweise hielt Hitler selbst jegliche Rekonstruktion des Heidentums offenbar für Spinnerei.)
Gegen Rassismus, oder auch nicht …
Danach fabuliert das Buch anhand eines einzigen konkreten (und eher zweifelhaften) Beispiels von „Unterdrückung“ (S. 102).
Völkische und andere politsch rechtslastige Menschen halten sich übrigens auch gern mal für unterdrückt. So etwas gehört zur Selbstinszenierung, denn Unterdrückte halten eher auf Gedeih und Verderb zusammen und können sich dazu noch für besonders mutig halten, wenn sie „das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“ für sich reklamieren und jeglicher sachlicher Kritik mit Geschrei von „Zensur!“ begegnen.
Eher wertungsfrei berichtet dann die „Entstehung von Asatru“ von diversen Gruppen, die entstanden – wie viele davon ein „ethnisches“/„folkish“ Asatru vertreten, muss zwischen den Zeilen oder am besten auf der entsprechenden Homepage der besagten Truppen nachgelesen werden.
Wie sich das anhört, auch wenn „ethnisch“ nirgendwo steht: „Das traditionelle germanische Heidentum ist die indigene (eingeborene) Naturreligion der germanischen Völker Nord- und Mitteleuropas, die sich aus den religiösen Erfahrungen hier heimischer Menschen in Einklang mit der Natur ihres Landes organisch entwickelt hat. Als Naturreligion beruht es auf der Heiligkeit der Natur, als indigene Religion auf der Verwandtschaft zwischen der heimischen Natur, den Gottheiten, die in ihr sind, und den Menschen, die ihr angehören. Da die Natur und somit auch die Götter in ihr vielfältig und überall anders sind, lehnen wir Ansprüche auf universale Gültigkeit ab und vertreten das gleiche Recht aller Menschen auf ihre eigene Religion.“ (Einstmals auf den Einstieggseiten des VfGH zu finden, mittlerweile in ein PDF verbannt.)
Ah ja. Und wer entscheidet noch mal, was die „eigene“ Religion ist? Nicht die Leute, die sie ausüben wollen, sondern wo die Leute herkommen, also Gene und Landschaft, die als das Gleiche gedacht werden. Aber offen rassistisch oder völkisch ist das nun nicht mehr, auch wenn „Volk“ drin vorkommt und die germanischen Stämme keine Völker waren. Somit ist es ethnopluralistisch. Alle Sandkästen sind gleich gut, aber jedes Kind möchte bitte in seinem eigenen Sandkasten bleiben. Austausch von Sand oder Kindern ist gleichermaßen abzulehnen.
Was es nicht unbedingt besser als offen geäußerter Rassismus macht. Immerhin habe ich dann als Kind das Recht, andere Kinder aus meinem Sandkasten rauszuwerfen, wenn sie nicht seit Generationen in diesem Sandkasten verwurzelt sind. Diese Denke ist nicht besonders originell, wenn aus den Massenmedien der Ruf nach einer „deutschen Leitkultur“ herbeihallt, Pegida geschichtsvergessen das „christlich-jüdische Abendland“ bemüht und eine Kollegin es irgendwie seltsam findet, dass sie trotz ihrer Eltern (mit türkischen Pässen) deutsche Staatsangehörige ist, weil sie eben hier geboren wurde. (Fragt sich, ob sie das auch denken würde, wenn ihr „die Deutschen“ nicht ständig das Gefühl geben würden, eine „Ausländerin“ zu sein. Eine Denke, die dem römischen Reich wie auch den germanischen Stämmen wohl völlig abgegangen wäre.)
„Die Sippentreue unsererseits gilt nicht nur den Göttern, sondern allen Wesen, die durch gemeinsame Herkunft aus unserem Land mit uns verwandt sind. Nach unserer Überzeugung dürfen wir unser Land und seine Pflanzen und Tiere ebenso wenig ausbeuten und sinnlos schädigen wie seine Menschen.“ (Quelle: https://web.archive.org/web/20211203135019/https://www.vfgh.de/heidentum/grundlagen/)
Und was ist mit anderen Ländern und deren Pflanzen, Tieren und Menschen? Also doch nicht so gleichwertig wie behauptet.
Wenn Alte und Neue Rechte bei solchen Verlautbarungen Morgenluft wittern, muss sich eins nicht drüber wundern.
Aber sind derlei Einstellungen extrem genug, um der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ zuwiderzulaufen? Darunter fallen „Rechts- und Linksextremismus, homophobe und rassistische Einstellungen, Sexismus, der Aufruf zur Gewalt sowie die okkulten Weltanschauungen der Theosophie bzw. der Ariosophie“. So was will der Eldaring e. V. (und damit die Erstellenden der Übersetzung des hier zerlegten Buchs) nämlich nicht vertreten, obwohl er sich ansonsten „politisch neutral“ verhält. (Quelle: https://eldaring.de/verein/selbstverstaendnis/)
Kann sich eine Religion politisch neutral verhalten?
„Die germanische Religion war Sache der politischen Gemeinschaft und stand mit dem rechtlichen, staatlichen und sozialen Leben in engstem Zusammenhang …“, so „Asatru“, das Buch (S. 129).
Also entgegen der Behauptung auf der Webseite: Religion regelt das Zusammenleben einer Gruppe. Religion kann sich nie völlig politisch neutral verhalten – sonst wäre eine Partei wie die CDU gar nicht möglich, die Kirchen würden niemals zu sozialen und politischen Fragen Meinungen raushauen und ich hätte niemals eine evangelikale Abtreibungsgegnerin aus der Apotheke rausekeln müssen.
Und über diesem Statement der politischen Eingebundenheit von Religion verliert sich „Asatru“ dann weiterhin in dem Versuch, mit der Berufung auf die Religionswissenschaftler Sundermeier und Assmann, Religionen aufzuteilen. Es gebe primäre und sekundäre Religionen. „Ziel der primären Religion ist die Beheimatung des Menschen in der Welt und seine Integration in die Ordnung des Irdischen. Die sekundäre Religion hingegen zählt auf Weltüberwindung, auf Erlösung des Menschen von den Zwängen dieser Welt …“ Und dass die sekundäre Religion, die „immer eine Buchreligion“ sei, irgendwie schlechter ist, versteht sich im Subtext natürlich von selbst.(S. 130).
Religiös wenig aufgeschlossene Menschen (das Gros der Bevölkerung) verstehen unter „Buchreligion“ das Judentum, das Christentum und den Islam, eventuell noch den Buddhismus. (Wer hätte an den Sikhismus gedacht? Bitte melden.)
Das Judentum ist aber nach der Definition von Sundermeier/Assmann eine primäre Religion. So etwas sollte eins dem geneigten Publikum erklären, sonst hört die mittlerweile zynische Lesende den Antisemitismus trapsen.
Desgleichen wirkt die nachfolgende Gegenüberstellung von Erlösungs- und Versöhnungsreligion nach Sundermeier etwas lächerlich, zumindest für Menschen, die das Vaterunser mal auswendig lernen mussten. („Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, nicht?)
Im Schlussabsatz wird beklagt, dass in Deutschland die „universalistischen“ Gruppen und die „folkish“ Gruppen aus politischen Gründen nicht zusammenarbeiten könnten. Die „Darstellung in den Medien“ würde von dieser Abgrenzung abhängen und „das Überleben“ für deutsche Asatru-Gesellschaften wäre sonst nicht möglich (S. 131). Dieses Lamento ist dann so konsequent wie apolitisch und trotz der 130 Seiten langen Geschichtsstunde ein wenig geschichtsvergessen.
Und wie anderswo schon bewiesen wurde: Die Rechten brauchen keine Mehrheiten, die brauchen nur Leute, die sie tolerieren und sie ihre Ideologie der Ungleichwertigkeit ungestört verbreiten lassen.
Also … wenn das alles so ideologisch besetzt ist, wieso ein langer Exkurs statt einfacher Urteile?
Ich will keineswegs behaupten, alle Personen, die an der Erstellung des Textes von „Asatru“ mitgewirkt haben, seien rassistisch, völkisch oder verträten den Ethnopluralismus. Oder dass sie sich sonst wie für etwas Besseres hielten, weil sie zu Asatru gefunden hätten.
Sonst hätte ich ja einfach „Rassismus!“ krähen können und es dabei belassen. Passiert weiß Frigg oft genug.
Wie schon Stefanie von Schnurbein meinte: Derlei Gedankengut ist ob seiner Allgegenwart perfider und invasiver als die besten Absichten.
Und Hans Schuhmacher konstatiert: „Nicht etwa Naturreligiöse der 80er Jahre schufen eine nationalistisch-rassistische, verklärte Vergangenheit. Sie fanden sie bereits vor und hielten sie für die historische Wahrheit – da man ihnen ja auch von nahezu allen Seiten die Richtigkeit dieser Annahme bestätigte. (…) Die Öffentlichkeit, die dann die Alarmglocken läutete, aber zumeist beispielsweise am deutschen Staatsbürgerrecht nicht das Geringste auszusetzen fand, prügelte vehement auf ihren eigenen Schatten ein.“ (Quelle: http://www.rabenclan.de/index.php?n=Magazin.HansSchuhmacherNationalismus03)
Es gilt demnach, aufzupassen und die eigenen Meinungen konsequent zu hinterfragen.


